Die Italienerschelte des SPD-Spitzenkandidaten ist weiterhin Thema der veröffentlichten Meinung, sogar der Meinungsforschung. Geht es dabei nur um Anstandsregeln im internationalen Meinungsaustausch? In der »Clown-Affäre« stecken gesellschaftspolitische Einschätzungen und Absichten – meint Arno Klönne
Der oberste Bundestagswahlkämpfer der deutschen Sozialdemokratie fertigt zwei italienische Spitzenkandidaten, die unerwartet hohe Wahlerfolge hatten, als »Clowns« ab. Ein rhetorischer Patzer, weil man in Steinbrücks Rolle so etwas denkt, aber nicht sagt?
Nur ein weiteres Beispiel für die arrogante Redeweise des sozialdemokratischen Politikmillionärs? Und noch dazu begrifflich danebengegriffen, denn Clownerie ist ja eine achtenswerte Profession? Der Kern dieser Affäre liegt woanders.
Steinbrück beschimpft Wähler
Denn, erstens: Beschimpfen wollte Steinbrück nicht nur die Spitzenmänner Berlusconi und Grillo, sondern auch ihre Wählerinnen und Wähler. Warum? Weil diese nicht den Anweisungen gefolgt sind, die ihnen nahezu unverhüllt der Finanzmarkt und seine politischen Chefdienstleister gegeben hatten, darunter auch die deutsche Bundesregierung und ihre sozialdemokratisch-grüne Opposition.
Bei der Wahl in Italien sollte das Diktat der europäischen Finanzelite eine stabile Mehrheit bekommen, so dass es durch Monti oder Bersani oder beide exekutiert werden kann. Steinbrück betätigte sich als verbaler Wutpolitiker dieses Programms einer finanzpolitischen »Stabilisierung« mittels sozialer Kahlschläge.
Angst vor einer Protestpartei
Zweitens: Bei dem Wahlerfolg der Grillo-Partei wurde vor allem eins wirksam: der Zorn italienischer, nicht zuletzt junger Bürgerinnen und Bürger auf die systematische Korrumpierung der politischen Institutionen Italiens, auf die Verwandlung von Demokratie in eine Fassade für persönliche Bereicherung parteipolitischer und unternehmerischer Cliquen.
Nun geht es zwar in der deutschen Offizialpolitik ordentlicher zu als in der italienischen, aber korrumpiert durch wirtschaftliche Gruppeninteressen werden staatliche Entscheidungsstrukturen auch hierzulande, wenn auch weniger auffällig. Der Erfolg einer Protestpartei in Italien ist deshalb für deutsche Spitzenpolitiker eine unangenehmer Erfahrung – wer weiß, ob da nicht transalpine Ansteckungsgefahr besteht…
Italiener als Sündenböcke
Drittens: In einer solchen Situation bietet es sich an, überkommene deutschchauvinistische Ressentiments zu beleben, das Bild von italienischer Leichtfertigkeit in politischen Farben auszumalen.
Die zu erwartenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch der Bundesrepublik und deren soziale Folgen können dann italienischen Polit-»Clowns« und deren Anhängerschaft demagogisch in Rechnung gestellt werden. Insofern hat Steinbrücks Schimpferei ihre meinungsmachende Funktion, für die gezielte Verwirrung deutscher Gemüter.
Zuletzt in Klönnes Klassenbuch:
- Gauck bekennt sich zu himmlischem Europa: Zu einem Ruck reichte es nicht, aber als propagandistische Pflichtübung ist die Europa-Rede des Bundespräsidenten dann doch der Beachtung wert – meint Arno Klönne
- Luxuswut? Demokratieforscher über den Bürgerprotest: Außerparlamentarische Einmischung in die Politik sei und werde immer mehr eine Spezialität gutbetuchter Ruheständler – so der Politikwissenschaftler Franz Walter. Mit dieser Momentaufnahme seine Instituts sollte man sich nicht begnügen, meint Arno Klönne
- Mit der Bundeswehr in den Drohnenkrieg: Die Bundesregierung will für ihre internationalen militärischen Operationen Kampfdrohnen anschaffen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur »Enttabuisierung« nicht nur des Militärischen, sondern auch des Angriffskriegerischen – meint Arno Klönne