Die große Siegerin der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die »Alternative für Deutschland« (AfD). Was steckt hinter dem Aufstieg dieser Partei?
In Sachsen kam sie aus dem Stand auf fast zehn Prozent, in Thüringen auf 10,6 und in Brandenburg auf 12,2 Prozent. Ihre Etablierung im Parteienspektrum droht einen Rechtsruck auszulösen. Dies ist auch das erklärte Ziel der AfD-Führer: Sie hoffen vor allem, der CDU ihre politische Agenda aufzwingen zu können.
»Die AfD wird für die Union das, was die Linken für die SPD sind«, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Das ist nur eingeschränkt richtig. Bürgerliche Politik hat gerade in Krisenzeiten nach rechts breiten Spielraum. Nach links jedoch sind ihr durch die Funktionsweise der kapitalistischen Produktion enge Grenzen gezogen, welche die SPD seit 1914 nie anzutasten bereit war.
Zusammen hätten CDU/CSU und AfD nach neuesten Umfragen bundesweit eine Mehrheit von 47 Prozent (CDU/CSU vierzig, AfD sieben Prozent). SPD, LINKE und Grüne kämen zusammen nur noch auf 43 Prozent. Damit geht eine Ära zu Ende, die 2005 mit dem Einzug der LINKEN in die Parlamente begonnen hatte, eine parlamentarische Mehrheit links von CDU/CSU und FDP hat es zuletzt bei den Bundestagswahlen 2013 gegeben. Stefan Hebel schreibt in der Frankfurter Rundschau, dass Thüringen »als vorerst letzte Gelegenheit in die Geschichte eingehen werde, es mit Rot-Rot-Grün zu versuchen.«
Insofern muss man Prantl wahrscheinlich zustimmen, wenn er im Kommentar zur Sachsenwahl zu dem Schluss kommt: »Der politische Lebensraum verändert sich.«
Die Veränderung besteht aber nicht nur darin, dass die AfD sich mit dem Einzug in drei Landtage höchstwahrscheinlich auf Dauer als bundespolitischer Faktor etabliert und die FDP verdrängt hat. Auch die AfD selbst hat sich mit den Wahlerfolgen im Osten verändert. Im Bundestagswahlkampf ist die Partei mit einem konservativ-bürgerlichen, neoliberalen Image aufgetreten. Dabei unterdrückte sie ihren latent rassistischen und sexistischen Charakter. Islamfeindliche Parolen wurden nicht geduldet. In der Asylpolitik wurde sie von der CSU (»Wer lügt, der fliegt«) im Europawahlkampf rechts überholt. Die Parteiführung verhängte einen Aufnahmestopp gegen ehemalige Mitglieder der Pro-Parteien, der NPD und anderer faschistischer Parteien.
Einige Landesverbände, darunter Sachsen, Thüringen und Brandenburg, unterstützten diesen Kurs nicht. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die neue sächsische Landtagsfraktion ihren Kandidaten für das Amt des Alterspräsidents zurückziehen musste, weil dessen Nazivergangenheit bekannt geworden war. In Leipzig will die AfD ein Bürgerbegehren gegen den Bau einer Moschee unterstützen. In der Brandenburger Landtagsfraktion sitzen jetzt ein ehemaliges Mitglied der Republikaner und der Vorsitzende sowie der stellvertretende Vorsitzende der islamfeindlichen Partei »Die Freiheit«.
Die Spitzenkandidaten der AfD in Thüringen und Brandenburg, Björn Höcke und Alexander Gauland, haben sich im Wahlkampf als »Islamkritiker« positioniert. Gauland will die Grenzkontrollen nach Polen wieder einführen und behauptet öffentlich, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Höcke setzt noch einen drauf: Zum Moscheebau in Erfurt gefragt, antwortet er: »Jeder Moslem kann in Deutschland selbstverständlich seine Religion ausüben, auch ohne Moscheen.« Minarette sind für ihn ein Symbol der »Landnahme« durch den Islam.
Gaulands Erfolg erklärt sich auch dadurch, dass er nicht nur nach rechts, sondern auch nach links geblinkt hat. Neben Asylpolitik und Grenzkriminalität griff er auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland an. In einem Brief an die Wähler der LINKEN lobte er Sahra Wagenknechts Eurokritik und Gysis Kritik an den Sanktionen.
Am Montag nach der Wahl in Sachsen positionierte sich Gauland gegen die Verwendung einer ehemaligen Kaserne als Flüchtlingsunterkunft. Stattdessen empfahl er, »sozial schwachen Brandenburger Familien darin Erholung und Entspannung zu ermöglichen«.
Prantl beschreibt also zu Recht einen Rechtsruck der AfD in den ostdeutschen Wahlkämpfen: »Weg von der bürgerlichen, hin zu einer kleinbürgerlichen, tendenziell nationalistischen, fremdenfeindlichen und ressentimentgeladenen Politik.«
Einige Kritiker, wie der Brandenburger SPD-Landtagsfraktionschef Klaus Ness, vergleichen die AfD deshalb mit den »Republikanern« Franz Schönhubers in den 1980er Jahren. Dieser Vergleich ist falsch. Die Republikaner waren keine Abspaltung der CSU, wie es Prantl in der Süddeutschen Zeitung behauptet, sondern der NPD. Schönhuber selbst hatte sich öffentlich zu seiner SS-Vergangenheit bekannt (»Ich war dabei«) und bei der Gründung der Republikaner in Bayern spielte eine Gruppe von Bundeswehrreservisten der NPD eine zentrale Rolle. Die Republikaner waren von Anfang an eine faschistische Organisation, die die parlamentarische Bühne zwar nutzen wollte, aber zugleich eine außerparlamentarische Massenbewegung aufzubauen trachtete, mit der sie dann die Demokratie und ihre Organisationen zerschlagen wollte.
Ebenso strickt Prantl an einer Legende, wenn er behauptet, die CDU habe durch strikte Kooperationsverweigerung die Republikaner isoliert und an »den äußersten rechten Rand« gedrückt. Umgekehrt hatte die CDU/CSU zunächst Anfang der 1990er Jahre mit der Asylflutkampagne versucht, die Republikaner rechts zu überholen. Damit war sie ebenso wenig erfolgreich wie die CSU im Europawahlkampf gegen die AfD. Die Republikaner eilten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Erst eine riesige antirassistische Demonstrations- und Protestwelle nach den mörderischen Brandanschlägen und Pogromen in Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen führten zu einem Stimmungsumschwung in Deutschland.
Im Juni 2014 gab die Zeitschrift Stern bei Forsa eine Untersuchung über die soziale Basis der AfD in Auftrag. In der Studie heißt es, dass »die Anhänger der AfD eher aus den Ober und Mittelschichten mit hohen Einkommen« stammen. Bei ihrer Gründung wurde die AfD nicht von ungefähr als »Professorenpartei« bezeichnet. Sie entspross aus dem Widerstand mittelständischer Unternehmerverbände und Wirtschaftsprofessoren gegen die Bankenrettung nach der Krise von 2008/9. Gründungsmitglied Hans-Olaf Henkel war sogar langjähriger Sprecher des Unternehmerverbandes BDI.
Die Gruppe um Henkel und Bernd Lucke war sich gleichwohl von Beginn an bewusst, dass die neue Partei allein mit einem neoliberalen Wirtschafts- und Sozialprogramm und der Kritik des Euros nicht massenwirksam werden könne. Deshalb hat sie von Beginn an auch auf »populäre« Vorurteile (Sexismus, Rassismus) orientiert – allerdings zunächst mit angezogener Handbremse, weil sie nicht gleich in der »rechten Ecke« landen wollte. Lucke und Henkel werden auch nach den offen rassistischen Wahlkämpfen im Osten nicht müde, sich gegen die Einstufung als »Rechte« zu wehren.
Hier bestätigt sich, was in der Langzeitstudie »Deutsche Zustände« unter Leitung des Soziologen Wilhelm Heitmeyer in den Jahren 2002 bis 2010 beobachtet wurde. Die Finanz- und Wirtschaftskrise verursachte ein höheres Abstiegsrisiko für die Angehörigen der sogenannten Mittelschichten. Die nachfolgende Schuldenkrise habe zu einer »explosiven Situation als Dauerzustand« geführt. Heitmeyer spricht von der Entstehung eines »entsicherten Bürgertums«, das nicht davor zurückscheue, »eigene Ziele mit rabiaten Mitteln durchzusetzen«. Die angebliche Liberalität der höheren Einkommensgruppen scheint in Auflösung begriffen.
Auch eine starke Linke kann solche Entwicklungen nicht unbedingt verhindern. Was sie aber hätte verhindern können, ist das Abgleiten nach rechts der unteren Schichten des Proletariats, der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten. Diese Schichten kann die Linke mit sozialen Forderungen erreichen. Stattdessen fand die AfD ein freies Feld vor. In einer Wahlauswertung konnte Alexander Gauland feststellen, die AfD habe es geschafft, ihre Themen Kriminalität und innere Sicherheit sowie Einwanderung ungehindert zu setzen.
Es ist ein deutliches Signal für einen allgemeinen Rechtsruck, dass in allen drei ostdeutschen Landtagswahlen AfD und NPD zusammen auf knapp 15 Prozent gekommen sind. Jüngste Studien über Rassismus bestätigen diesen Eindruck. Sie haben zunehmende Vorurteile gegen Sinti und Roma, gegen Flüchtlinge und Asylbewerber und gegen Muslime ermittelt. Und DIE LINKE hat einen Bogen um das Thema gemacht: in keinem der drei Bundesländer gab es von ihr antirassistische Plakate.
Das ist die erste und wichtigste Lehre aus den Wahlresultaten. DIE LINKE muss sich überall, wo rassistische Kampagnen entstehen – wie jetzt gegen einen Moscheebau in Leipzig oder bei den zahlreichen Aktionen gegen Flüchtlingsunterkünfte – öffentlich solidarisieren und beim Aufbau antirassistischer Kampagnen tatkräftig mitarbeiten. Sie muss sogenannte weiche Themen wie die Gleichstellung der Homo-Ehe oder das Abtreibungsrecht aufgreifen und dies in Verbindung bringen mit der sexistischen und rassistischen Ausrichtung der AfD.
Der bisherige Widerstand gegen die AfD findet entweder gar nicht statt oder als »antifaschistischer Kampf«. Die AfD ist aber keine faschistische Partei. Sie kann jedoch zum Sammelpunkt von Nazis werden. Auch heute schon ist sie als offen rassistische und sexistische Partei eine besondere Gefahr für die Arbeiterbewegung und die demokratischen und sozialistischen Kräfte. In England formiert sich gerade eine Bewegung gegen die rechtspopulistische UKIP, die in vielerlei Hinsicht ja auch Vorbild der AfD-Gründer war und ist. Die Bewegung mobilisiert überall, wo UKIP öffentlich auftritt. Aber sie versucht nicht, deren Veranstaltungen zu verhindern, wie wir es gegenüber Nazis und Faschisten tun müssen. Eine »antifaschistische« Kampagne gegen die AfD ist zum Scheitern verurteilt, weil die AfD eine parlamentarische Partei ist, die in den und durch die Parlamente zur politischen Macht strebt.
Bundeskanzlerin Merkel hat nach der Wahl widersprüchliche Aussagen zur AfD gemacht. Einmal hat sie wiederholt, dass es keine Zusammenarbeit in Bund und Ländern mit der AfD geben dürfe und dass die CDU an ihrem bisherigen Kurs festhalten wolle. Zugleich hat sie gesagt, es müsse darum gehen, die Sorgen der AfD-Wähler aufzugreifen und die zugrunde liegenden Probleme zu lösen. Das kann bedeuten, dass die CDU selbst ihr rassistisches Profil erhöht, was sie durch die Ankündigung neuer Asylgesetze auch schon in Angriff genommen hat. Auch hier droht die Gefahr eines Rechtsrucks: Es ist möglich, dass sich die CDU von der AfD vor sich her treiben lässt, um dieser den Wind aus den Segel zu nehmen. Doch hat das noch nie funktioniert. Wer sich solch ein Programm wünscht, wird im Zweifelsfall die konsequenteren und radikaleren Sexisten und Rassisten wählen.
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Alternative für Deutschland, Antimuslimischer Rassismus, Asylpolitik, Bernd Lucke, Björn Höcke, Brandenburg, DIE LINKE, Einwanderung, EU, Euro, Europa, Europawahl, Inland, Innere Sicherheit, Islamophobie, Landtagswahlen, NPD, Populismus, Protestpartei, Rassismus, Rechte, Rechtspopulismus, Rechtspopulisten, Rechtsruck, Sachsen, Sexismus, Thüringen, UKIP