In der Krise boomen Wirtschaftsbücher – besonders wenn im Titel Schlagworte wie »Crash« oder »Kernschmelze« vorkommen. Thomas Walter hat einige der neuen Werke gelesen und meint, dass Karl Marx noch immer die beste Erklärung für die aktuellen Ereignisse liefert.
Börsenmakler Dirk Müller sieht den Kapitalismus auf »Crashkurs«. Müller ist bekannter unter dem Namen »Mister Dax«. Sein Gesichtsausdruck dient in den Medien dazu, die jeweilige Stimmung an der Börse zu bebildern. In seinem Buch meint er, dass eine »Finanz- und Machthydra« die freie Marktwirtschaft zerstört habe. Die tiefere Ursache sei das »Zins- und Zinseszinssystem«: »1998 besaßen 10 Prozent der Deutschen etwa die Hälfte des Vermögens aller Bürger. Nur fünf Jahre später, also 2003, besitzen die reichsten 10 Prozent bereits zwei Drittel des Gesamtvermögens.« Freilich wächst jedes Kapital mit einer Profitrate grundsätzlich genauso wie ein Sparguthaben mit einem Zinssatz. Folglich müsste man nicht nur den Zins, sondern auch den Profit abschaffen.
Doch davor schreckt Mister Dax zurück: »Der Kommunismus ist doch auch gescheitert.« Die Alternative, zu der er rät, hat jedoch wenig mit »Freiwirtschaft« zu tun, mehr mit »europäisch-amerikanischer Freihandelszone«. Sein Vorschlag: »Wir bauen um unser gemeinsames Wertesystem eine Zollmauer auf.« Dieses Wertesystem soll auf dem Rücken der Menschen der Dritten Welt verteidigt werden. »Die Kontrollpunkte sind die Häfen und Flughäfen.«
Will Müller zur zinslosen »Freiwirtschaft«, sieht Ulrich Schäfer in seinem Buch »zur Marktwirtschaft keine Alternative«. Der Wirtschaftsredakteur der »Süddeutschen Zeitung« meint, der Staat solle aber im Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt den Unternehmen beim Export helfen. Dafür fordert er: »Für Investitionen muss es Steuervorteile geben. (…) Die Unternehmen benötigen verbilligte Kredite.«
Für Sahra Wagenknecht stellt genau diese Konkurrenzlogik einen »Wahnsinn mit Methode« dar. Die Krise sei »nicht nur das Werk unkontrollierter Spekulanten (…), die durch eine bessere Regulierung wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen wären.« Aus ihrer Sicht versuchen die Kapitalisten sich im Chaos der Märkte gegenseitig Marktanteile abzujagen. Dies führe für die Gesamtheit zu Überkapazitäten. Früher, im »Konkurrenzkapitalismus«, wie sie es nennt, sei es dann zu Krisen und Pleiten gekommen. So entstand wieder Raum für einen neuen Aufschwung. Doch immer weniger Konzerne überlebten diesen Konkurrenzkampf. Es kommt zur Kapitalkonzentration, wie sie Karl Marx bereits im ersten Band des »Kapitals« beschrieben hat. Heute sind die wenigen Konzerne so groß, dass sie den Krisen trotzen können. Aber ohne Pleiten gibt es keine Marktbereinigung. Die Krisen werden zur Stagnation.
Ein wackeliges Kettenbriefsystem entsteht
Konzernchefs wissen, dass Investitionen Überangebote schaffen und so Preise und Profite kaputt machen. Für sie herrscht daher zunehmend ein »Anlagenotstand«. Der Internationale Währungsfonds hat festgestellt, dass weltweit immer weniger investiert wird, obwohl die Gewinne zu Lasten von Löhnen und Sozialstaat gestiegen sind. Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Investitionen nicht mehr den Gewinnen folgen. Gewinne schaffen keine Investitionen mehr, geschweige denn Arbeitsplätze. Es mangelt an neuen profitablen Investitionsmöglichkeiten.
Um diesem Anlagenotstand auszuweichen, legen die Konzerne ihr Geld auf den Finanzmärkten an. Aber irgendwo müssen dann die Finanzmärkte das Geld anlegen. Es bleibt schließlich nur noch die Finanzierung von staatlichem und privatem Konsum auf Kredit. Ein verrückter Kreislauf entsteht. Chinesisches Kapital beispielsweise gewährt den USA billigen Kredit – also zu niedrigen Zinssätzen – und finanziert sich so seine eigenen Exporte und Profite.
Auf der einen Seite türmen sich so immer größere Schulden, auf der anderen entsteht ein immer größeres Geldvermögen. Das ist natürlich nur ein Aufschub, denn Kredite müssen zurückgezahlt werden. Damit es zu keinem Zusammenbruch kommt, müssen die Kredite durch immer größere Kredite abgelöst werden. Ein gigantisches, immer wackeligeres »Kettenbriefsystem« entsteht.
Letztlich ist es vielleicht ein kleiner Anlass, der das Gebäude einkrachen lässt. In den USA konnten einige Haushalte ihre Hypothekenkredite nicht abbezahlen. Investoren überprüften darauf hin, ob ihre Geldanlagen noch sicher angelegt sind. Vorsichtshalber werden Kapitalanlagen aus den Finanzinstituten abgezogen. Machen das viele, kann dem keine Bank mehr nachkommen. Der Zusammenbruch konnte nur abgefangen werden, weil die staatlichen Zentralbanken einsprangen und die Regierungen sich für die Geldanlagen verbürgten. Der Staat musste das private Kapital retten.
Noch vor kurzem hatten diejenigen Ökonomen die Oberhand, die zu hohe Kosten – gemeint waren: zu hohe Lohn- und Sozialkosten – für die Krisen des Kapitalismus verantwortlich machten. In der jetzigen Krise erleben aber die Nachfragetheoretiker zumindest ideologisch eine Renaissance. Sie beklagen schon lange, dass weltweit die Profite zu Lasten der Löhne steigen. Profite finanzieren vergleichsweise wenig Konsum, sie werden gespart, um zu investieren. Doch um profitabel investieren zu können, braucht es Konsumnachfrage. Löhne finanzieren Konsum, doch Löhne und der Sozialstaat werden gekürzt. Die Schlussfolgerung ist, dass eine Rückverteilung weg von den Profiten und erneut hin zu den Lohneinkommen den Kapitalismus wieder stabiler machen könnte. Wagenknecht hält dem entgegen, dass die Ursachen tiefer liegen. Zwar erwähnt die linke Europaparlamentarierin in ihrem Buch das Marxsche Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate nicht ausdrücklich; ihrem Szenario der Kapitalzentralisation, in welchem die großen Kapitalien die kleinen schlucken, liegt dieses Gesetz aber durchaus zugrunde.
Marx erklärt die Krise
Marx stellt fest, dass Kapitalisten die Produktivität ihrer Arbeiter erhöhen, indem sie immer mehr je Arbeitsplatz investieren, also rationalisieren. Diese Rationalisierungsinvestitionen gehen aber zu Lasten von Erweiterungsinvestitionen. Es werden immer weniger Arbeitsplätze geschaffen. Ulrich Schäfer drückt das in seinem Buch so aus: »Der Kurs an den Börsen schießt vor allem dann nach oben, wenn die Manager Personal entlassen und ihre Fabriken stattdessen mit mehr Robotern und Maschinen ausstatten.« Theoretisch kann die Beschäftigung schließlich sogar schrumpfen. Zur Reservearmee gesellt sich eine so genannte »Lazarusschicht«. Das ist jener Teil der Bevölkerung, der vom Kapital nicht einmal mehr in Phasen der Hochkonjunktur als Arbeitskräfte benötigt wird. Für diese ist Hartz IV gedacht. Die unmittelbar Leidtragenden dieser Entwicklung sind die Arbeiter. Etwas kompliziert lässt sich berechnen, dass mit immer weniger Arbeit gesamtwirtschaftlich immer weniger Profit entsteht – jedenfalls im Verhältnis zum schon akkumulierten Kapital. Robert Shiller, ein US-Experte für Finanzblasen, stellte zum Beispiel fest, dass technischer Fortschritt Profite nicht unbedingt steigert. Berücksichtigt man, dass alte Produktionsanlagen an Wert verlieren, weil sie jetzt nicht mehr auf neuesten technischen Stand sind, dann ist der gesamtwirtschaftliche Profit womöglich gesunken.
Bei der Analyse des Gesetzes ist auch wichtig, dass Profitraten berechnet werden, indem man die Profite ins Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten setzt. Das sind aber die Kosten der Vergangenheit. Für das Kapital sind die zukünftigen Kosten wichtiger. Die Kapitalisten müssen immer mehr investieren, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Manager drückte das so aus: »Wir haben die Rendite von 10 auf 15 Prozent erhöht. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, hätten wir sie auf 20 Prozent erhöhen müssen.« Mister Dax behauptet in seinem Buch, dass die »Inflationsrate« um ein Vielfaches höher sei, als die amtlich ausgewiesenen zwei Prozent. »Natürlich wissen die Profis ganz genau, dass die reale Inflation wesentlich höher ist. Daher jagen sie ja seit Jahren wie der Teufel hinter der armen Seele höherer Renditen für ihre eigenen Finanzanlagen hinterher, um diese echte Inflationsrate zu schlagen.« Der Hintergrund ist, dass für die Unternehmen die Kosten, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben, rasant steigen, ohne dass es sich im Sinken der gemessenen Profitrate niederschlagen muss.
Eine andere Annahme des Marxschen Gesetzes ist es, dass sich Kapital im Gegensatz zu dem, was viele bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler behaupten, nicht frei zu den profitabelsten Wirtschaftszweigen bewegen kann. In der Autoindustrie zum Beispiel beobachtete der marxistische Ökonom Robert Brenner, dass die Autokonzerne den Automobilsektor nicht verlassen können, ohne den Wert ihrer bisherigen Milliardeninvestitionen zu gefährden. Sie stecken in der »Fixkostenfalle«. Auch Schwellenländer wollen keine Risiken eingehen und betreten lieber die ausgetrampelten Pfade vergangener Aufschwünge. Jeder Drittweltstaat versucht zuerst mal seine eigene Autoindustrie aufzubauen anstatt in internationaler Arbeitsteilung eine neue Industrie zu erschließen. In anderen Branchen sieht es ähnlich aus. Dieses Verhalten drückt auf die Profitraten.
Für die Arbeiter ist die Profitrate vielleicht weniger wichtig, die in diesem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang eine vergleichsweise abstrakte Größe darstellt. Unmittelbar problematisch ist, dass Profite für Investitionen verwendet werden, die Arbeitsplätze wegrationalisieren. Die Arbeitsproduktivität wird gesteigert, ohne dass dies den Menschen zugutekommt. In diesem Wettlauf werden die großen Konzerne immer größer, kleine verschwinden. Schließlich werden Profite immer mehr zur Finanzierung von Rüstung, von Luxuskonsum und vor allem von Krediten verwendet.
Bürgerliche Ideologen gespalten
Dieses Krisenszenario spaltet die bürgerlichen Ideologen in zwei Lager. Ben Bernanke ist Chef der US-Zentralbank und unmittelbar für die Interessen des Kapitals verantwortlich. Er ist Experte in Sachen »Deflationsbekämpfung« und will auf jeden Fall einen völligen Zusammenbruch vermeiden. Zu groß ist inzwischen die Verschuldung der US-Wirtschaft. Die Zinssätze hat er schon auf null gesenkt und jetzt soll eine Politik der »quantitativen Lockerung« weiter Geld auf die Märkte werfen.
Für den konservativen Wirtschaftsjournalisten der »Financial Times Deutschland« Wolfgang Münchau sind dagegen, wie er in seinem Buch zur »Kernschmelze im Finanzsystem« schreibt, gerade die staatlichen Zentralbanken an der Krise schuld, weil sie mit ihrer Politik des billigen Geldes die Krise schon viel zu lange hinaus gezögert hätten. »In der realen Wirtschaft gab es einen Boom, der durch billige Kredite entfacht wurde.« Jetzt müssten die »globalen Ungleichgewichte« wieder abgebaut werden. Wie lange das dauern und wer bis dahin leiden wird, verrät Münchau lieber nicht.
Für die Linke besteht die Herausforderung darin, die zunehmend verbreitete Kapitalismuskritik so zu ergänzen, dass klare Alternativen demokratischer Wirtschaftsplanung aufgezeigt werden. Sahra Wagenknecht macht dazu Vorschläge: Besteuerung von Finanzvermögen, kein Profit bei der Grundversorgung der Menschen, demokratische Kontrolle der Schlüsselindustrien und Mitbestimmung der Belegschaften. Konzerne, die sich sowieso nur noch durch Staatshilfe halten können und auch gehalten werden, weil sie »zu groß« sind »um zu scheitern« (»too big to fail«), müssten in öffentliches Eigentum überführt werden. Staatliche Eingriffe in diese Richtung würden den Menschen nützen – und nicht nur Spekulanten und Konzernen.
Die Bücher:
Dirk Müller: Crashkurs – Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen, Droemer, München 2009, 250 Seiten, 18 Euro.
Wolfgang Münchau: Kernschmelze im Finanzsystem, Hanser, München 2008, 240 Seiten, 21,90 Euro.
Ulrich Schäfer: Der Crash des Kapitalismus – Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte, Campus, Frankfurt/Main 2009, 320 Seiten, 19,90 Euro.
Sahra Wagenknecht: Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft, Das Neue Berlin, Berlin 2008, 250 Seiten, 14,90 Euro.
Foto: markus spiske
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