Bodo Ramelow hat sich in Thüringen einiges vorgenommen. Doch mit dem Festhalten an der Schuldenbremse nimmt er sich selbst die Chance, Reformen umzusetzen, meint Nils Böhlke.
Der neue LINKE-Ministerpräsident in Thüringen hat eine hohe politische Symbolkraft. Die Wahl von Bodo Ramelow zeigt eine hohe gesellschaftliche Verankerung der LINKEN in Thüringen und ist für viele Menschen ein Hoffnungsträger angesichts der neoliberalen Politik der Regierungen der letzten Jahrzehnte.
Viele erwarten einen Einstieg in sozialere, ökologischere und demokratischere Politik. Gleichzeitig gibt es von Seiten konservativer Politiker und einiger Medien eine Kampagne gegen die rot-rot-grüne Regierung, die ein sehr dürftiges Demokratieverständnis der Kritiker offenbart. Da wird eine Einstimmen-Mehrheit im Parlament für eine bestimmte Koalition schlicht ignoriert und das Wahlergebnis in Frage gestellt. Nun kommt selbstverständlich mit einem LINKE-Ministerpräsidenten weder die SED zurück an die Macht, noch wird es bald einen „Sozialistischen Freistaat Thüringen“ geben. Tatsächlich gibt es aber einige Veränderungen, die anhand des Koalitionsvertrags bewertet werden sollten.
Diese Bewertung des Koalitionsvertrags ist allerdings nicht einfach. Welche Kriterien sollen für diese Bewertung gelten?
Sozialdemokratische Politik reicht nicht aus
Zunächst gibt es nicht wenige, die jede Verbesserung gegenüber der bisherigen Politik für ausreichend halten, um eine LINKE-Beteiligung an der Landesregierung zu befürworten. Gregor Gysi hat die Kriterien für die Bewertung allerdings weiter gesteckt. Für ihn muss deutlich werden, dass ein linker Ministerpräsident andere Politik macht als die anderen Parteien[1]. Das bedeutet, dass Verbesserungen, die auch sozialdemokratische Regierungen ohne die LINKE in anderen Bundesländern durchgesetzt haben, nicht ausreichen, um eine LINKE-Regierung erfolgreich zu führen.
Ein Koalitionsvertrag muss daher Punkte enthalten, die es ausschließlich unter einem LINKEN Ministerpräsidenten gibt. Ein weiteres Kriterium, dass in unserer Partei einen hohen Stellenwert haben sollte, sind die sogenannten „Roten Haltelinien“, die im Programm stehen und ausschließen sollen, dass sich die LINKE an Regierungen beteiligt, die Privatisierungen vornehmen, Sozialabbau betreiben, die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert oder Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr zulässt. Letzteres spielt auf Landesebene keine Rolle, die ersten drei Punkte allerdings schon und sollten deshalb berücksichtigt werden. Das letzte Kriterium, das für die Bewertung des Koalitionsvertrages wesentlich ist, ist die Frage, ob eine solche Regierung uns dem programmatischen Fernziel der Partei, dem demokratischen Sozialismus, ein Stück näher bringt oder ob er uns eher davon entfernt.
Einiges soll besser werden
Tatsächlich soll es Veränderungen gegenüber der bisherigen Politik geben. In der öffentlichen Diskussion werden insbesondere der Schwerpunkt „Gute Arbeit“, kostenlose frühkindliche Bildung und die Abschaffung des V-Mann-Systems beim Verfassungsschutz hervorgehoben. „Gute Arbeit“ bedeutet unter anderem, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse zurückgedrängt, ein Branchentarifvertrag in der Pflege eingeführt, die Arbeitsbedingungen für Hebammen verbessert, ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, ein sozialer Arbeitsmarkt eingerichtet[2] und Sonn- und Feiertagsarbeit auf ein Minimum beschränkt werden sollen.
Der zweite Punkt bedeutet, dass es ein Kindergartenjahr kostenlos gibt. Darüber hinaus soll längeres gemeinsames Lernen gefördert werden, allerdings ohne, dass das Gymnasium angetastet wird . Zudem sollen 500 neue Lehrerinnen eingestellt werden. Weitere positive Vorschläge sind die Prüfung der Einführung eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs, das Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen und eine humanere Flüchtlingspolitik, die auf dezentrale Unterbringung setzt.
Die Regierung will 123 mal „prüfen“
Diese Punkte sind zu begrüßen, allerdings relativiert der Koalitionsvertrag selbst diese Ziele, wenn es um die konkrete Umsetzung geht. Es liegt zwar in der Natur von Koalitionsverträgen, nicht alle Entscheidungen der nächsten fünf Jahre vorweg nehmen zu können, sondern zahlreiche Punkte im Ungefähren zu lassen. Allerdings steht das Wort „prüfen“ in zahlreichen Konjunktionen in dem 110-seitigen Text 123 mal. An 55 Textstellen will sich die neue Regierung für Ziele lediglich „einsetzen“, ohne sich festzulegen. Letzteres ist bei Themen, die im Bundesrat eingebracht werden müssen, nicht anders möglich. Aber auch in der Landespolitik bleiben viele Ziele eher unbestimmt. Hinzu kommen noch einige Punkte, bei denen die Regierung bisherige Ansätze verbessern, weiterentwickeln oder ausbauen will, ohne eine konkrete Zusage über den Umfang der jeweiligen Maßnahme zu machen.
Diese Herangehensweise hängt vor allem damit zusammen, dass alle finanzrelevanten Punkte in Frage gestellt werden, weil es ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse gibt, es keine weitere Nettokreditaufnahme geben soll und vor der Umsetzung jeglicher Maßnahmen ein Kassensturz steht, der die haushaltspolitische Handlungsfähigkeit des Landes erst noch entscheiden wird. Darüber hinaus hat sich die Landesregierung dazu verpflichtet, die Schuldentilgung fortzusetzen. statt mit diesem Geld weitere Investitionen für die Mehrheit der Menschen zu tätigen. Dementsprechend stehen nahezu alle angekündigten Verbesserungen unter Haushaltsvorbehalt. Es bleibt also trotz sehr vieler unterstützenswerter Punkte im Koalitionsvertrag unklar, ob und wie viel davon umgesetzt wird.
Kein Mindestlohn für staatliche Unternehmen
Im Vergleich mit der Politik anderer Landesregierungen gibt es weniger Punkte im Koalitionsvertrag, die herausstechen. Die Verbesserungen im Bereich „Gute Arbeit“ sind bereits von anderen Landesregierungen angekündigt oder teilweise umgesetzt worden. Diese Ankündigungen werden außerdem geschmälert, weil es laut Koalitionsvertrag keinen Landesmindestlohn geben wird, der zum Beispiel in Schleswig-Holstein bereits 9,18 Euro pro Stunde beträgt und von allen Unternehmen bezahlt werden muss, die vom Staat Zuschüsse bekommen. Gerade dieses Mittel, mit dem auf Landesebene niedrige Löhne bekämpft werden können, wird nicht genutzt. Der Vertrag erklärt sogar, dass bei der Prüfung einer Novellierung des Vergabegesetzes auf zusätzliche Belastungen für Unternehmen verzichtet werden soll. Da ein Mindestlohn selbstverständlich Unternehmen belastet, die niedrige Löhne zahlen, ist mit diesen Vorgaben auch in Zukunft kein Landesmindestlohn möglich. Dies wird auch vom DGB stark kritisiert[3].
Ohnehin ist eine Orientierung an den Interessen der Unternehmen zwangsläufig eine, die nicht den den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Tatsächliche Verbesserungen lassen sich nur im Konflikt mit den Unternehmen erringen. Es sollte die Aufgabe der LINKEN sein, genau diesen Konflikt zu suchen und ihn voranzubringen.
Leider nicht grundsätzlich gegen TTIP
Auch die Übernahme der Position des SPD-Konvents zu den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), bei dem lediglich Schiedsgerichte und eine Absenkung der bislang erreichten Standards abgelehnt werden, nicht jedoch das gesamte Abkommen, ist problematisch. Diese defensive Haltung verhindert effektive Proteste bereits während der Verhandlungen über das Abkommen, weil darauf verwiesen werden kann, dass noch nicht klar sei, ob die erwarteten Verschlechterungen tatsächlich eintreffen. Dementsprechend konnte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dieses Stillhalten jetzt nutzen, um Fakten zu schaffen und das Abkommen mit Kanada (CETA) auch ohne diese Bedingungen durchzusetzen.
Doch es gibt auch einen Bereich, in dem sich diese Landesregierung positiv von allen anderen abhebt. Durch die weitestgehende Abschaffung des V-Mann-Systems und Schritte zur Demokratisierung des Verfassungsschutzes werden im Bereich der Demokratisierung des Landes tatsächlich weitergehende Fortschritte erreicht.
Wo wird Rot-Rot-Grün sparen?
Die oben genannten Roten Haltelinien werden nicht direkt gerissen. Vielmehr spricht sich der Koalitionsvertrag ausdrücklich gegen die Privatisierung des Klinikums in Jena und der Wasserversorgung aus. Auch sollen Chancen für Rekommunalisierungen genutzt und dafür gesorgt werden, dass keine Kommune gezwungen ist, Privatisierungen vorzunehmen. Bei letzterem bleibt natürlich die Frage, ob Kommunen, die dennoch privatisieren möchten, Gegenwind von der Landesregierung bekommen.
Auch Sozialabbau findet laut Koalitionsvertrag nicht statt. Hier muss allerdings gefragt werden, woher die finanziellen Mittel kommen, die in den Bereichen Kommunen, Bildung, Arbeit sowie Energiewende und Klimaschutz zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Laut Vertrag sollen diese nicht durch zusätzliche Schulden, sondern durch Umschichtungen aus anderen Bereichen und durch Mehreinnahmen finanziert werden. Da angesichts der sich abkühlenden Konjunktur vorerst nicht mit erheblichen Mehreinnahmen zu rechnen ist, muss in anderen Bereichen gespart werden. Welche das sein werden, wird nicht gesagt.
An der Grenze zu Haltelinien
Die ausgeschlossene „Verschlechterung der Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes“ ist eine etwas umständliche Formulierung, die im Programm der LINKEN enthalten ist, weil sich der grundsätzliche Ausschluss von Personalabbau nicht durchsetzen lies. Dennoch ist fraglich, ob sich die Aufgabenerfüllung des ohnehin schon personell stark ausgedünnten öffentlichen Diensts mit noch weniger Personal nicht zwangsläufig verschlechtert. Von daher ist die Ankündigung, das vereinbarte Stellenabbauziel beizubehalten, auch wenn die Auswirkungen dessen ständig überprüft werden sollen, zumindest scharf an der Grenze der Roten Haltelinien.
Ein Aufbau des Öffentlichen Dienstes, der einerseits wieder zu einer stärkeren Stabilität des Arbeitsmarktes und andererseits für eine bürgernahe Verwaltung sorgen könnte und angesichts des massiven Abbaus der vergangenen Jahrzehnte dringend notwendig wäre, findet jedenfalls sicher nicht statt. So kritisiert auch der DGB den Koalitionsvertrag an dieser Stelle:
„Die Arbeitsbelastungen und Arbeitsverdichtungen im öffentlichen Dienst sind aufgrund des bisherigen Stellenabbaus immens gestiegen. Außerdem wurden neue Aufgaben auf das verbleibende Personal zusätzlich übertragen. Dass die Landesregierung am bisherigen Stellenabbaupfad festhalten will, stößt auf unsere massive Kritik und wird zu weiterer unnötiger Unruhe im öffentlichen Dienst führen. Nicht weniger, sondern mehr Beschäftigung im Landesdienst ist erforderlich, damit das Land Thüringen seine gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben sowie die zahlreichen neuen Aufgaben im Koalitionsvertrag bearbeiten kann.“[4]
Keine höheren Einnahmen zu erwarten
Gerade die Fortschritte im Bereich der Demokratisierung der staatlichen Kontrollorgane machen Hoffnung auf weitere Schritte auf dem Weg zu einer demokratischeren Gesellschaft.
Demgegenüber steht allerdings die Vorgabe, keine neuen Schulden aufnehmen zu wollen und im Zweifelsfall weitere linke Projekte zugunsten eines ausgeglichenen Haushalts aufzugeben. Im Rahmen eines immer krisenhafter werdenden Kapitalismus wird aber nicht der Konjunkturaufschwung die Regel sein, sondern die Wirtschaftskrise. Diese ist begleitet von einbrechenden Einnahmen der öffentlichen Haushalte. Da gerade auf Landesebene quasi keine zusätzlichen eigenen Einnahmen erzielt werden können, bleibt dann nur eine Kürzungspolitik, die zwar ein wenig sozialer ausgestaltet, aber nicht grundsätzlich beendet werden kann. Somit wird sich auch die Lebens- und Arbeitssituation der Mehrheit der Menschen im Durchschnitt verschlechtern.
Die Tatsache, dass diese Verschlechterung sozialer ausgestaltet wird, wird der LINKEN nicht positiv zugerechnet werden, weil ein Verweis auf mögliche noch schlimmere Verschlechterungen unter einer CDU-geführten Regierung immer spekulativ bleibt. Entsprechende Erfahrungen haben zahlreiche linke Parteien in den letzten Jahrzehnten machen müssen, die mit dem Versprechen einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation gewählt worden sind und dann bei folgenden Wahlen massive Stimmen- und Substanzverluste hinnehmen mussten.
Eine enttäuschende LINKE macht die AfD stark
Dementsprechend ist es falsch, dass die Verluste der LINKEN in Regierungen vor allem damit zusammenhängen, dass sie ihre Erfolge als kleiner Koalitionspartner nicht ausreichend präsentieren konnte. Vielmehr war es die Enttäuschung angesichts großer Erwartungen von der LINKEN, die zu Stimmenverlusten geführt hat. Es ist zu befürchten, dass auch in fünf Jahren in Thüringen die Enttäuschung über die LINKE so groß sein wird, dass dann die CDU gestärkt zurück in die Staatskanzlei einziehen kann und nicht nur die kleinen Verbesserungen von rot-rot-grün zurückdrehen wird, sondern bei weiteren verschärften Angriffen auch mit weniger Gegenwehr von links rechnen muss, weil die LINKE aus Sicht vieler Bürger keine glaubwürdige Alternative mehr ist. Eine Politik bei der die LINKE sich am Kürzen beteiligt, wäre somit ein Garant dafür, dass sich die AfD oder andere rechte Parteien als vermeintliche Alternative präsentieren können und sehr stark werden.
LINKE verfehlt ihre Aufgabe
Der Grund dafür ist, dass mit der Durchsetzung der Schuldenbremse und der im Bundestag von Sahra Wagenknecht jüngst zurecht als irrationales Dogma bezeichneten „Schwarzen Null“, die LINKE ihre Aufgabe verfehlt. Was hingegen die Aufgabe unserer Partei wäre, hat der Vorsitzende Bernd Riexinger dieses Jahr auf dem Marx-is-muss-Kongress in Berlin auf den Punkt gebracht. Dort sagte er, „Bürgerliche Parteien haben die Aufgabe, Menschen in das kapitalistische System zu integrieren. Eine linke Partei steht vor der völlig konträren Aufgabe, die Gegenkräfte zum Kapitalismus zu mobilisieren.“[5]
Somit ist Rot-Rot-Grün in Thüringen insbesondere dann, wenn der Haushaltsvorbehalt und das Bekenntnis zu Schuldenbremse und Schuldentilgung bestehen bleibt, eben kein Schritt in Richtung des programmatischen Fernziels, sondern ein Schritt in die falsche Richtung.
[1] _ http://www.wdr5.de/sendungen/morgenecho/gysi112.html
[2] _ Allerdings ist parteiintern umstritten, ob es sich dabei tatsächlich um eine Verbesserung oder nicht vielmehr um ein Placebo für fehlende reguläre Stellen handelt.
[3] _ http://hessen-thueringen.dgb.de/presse/++co++708f455c-70c1-11e4-aced-52540023ef1a
[4] _ http://hessen-thueringen.dgb.de/presse/++co++708f455c-70c1-11e4-aced-52540023ef1a
[5] _ Etwas ausführlicher ist dies auch in dem Papier „Verankern, verbreiten, verbinden“ von Katja Kipping und Bernd Riexinger entwickelt worden: http://www.die-linke.de/partei/parteientwicklung/projekt-parteientwicklung/texte/verankern-verbreiten-verbinden/
Foto: DIE LINKE. Thüringen
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