Nach den Todesurteilen gegen 21 Fußballfans gehen wieder tausende Ägypter auf die Straße. Sie wehren sich gegen den Militärrat und Präsident Mursi
Die ägyptische Polizei erschoss 30 Menschen während der Massenproteste in Port Said am letzten Wochenende im Januar. Ägyptenweit fanden 50 Menschen den Tod.
Die Demonstrationen begannen, nachdem 21 Fußballfans, bekannt als Ultras, für die Ermordung von 74 rivalisierenden Al-Ahly-Fans zum Tode verurteilt wurden. Aber die Ultras sagen, die wahre Schuldige sei die Polizei.
Präsident Mohamed Mursi von der Muslimbruderschaft verhängte über die Städte Port Said, Ismailia und Suez den Ausnahmezustand. Er machte sich auch stark für ein neues Gesetz, das dem Militär freie Hand gibt, Zivilisten zu verhaften. Aber die Protestierenden ließen sich dadurch nicht einschüchtern.
Militärrat verantwortlich
Tausende strömten am Montag, den 28. Januar auf die Straßen der drei Städte und spotteten der Ausgangssperre. Sie forderten Mursi zum Rücktritt auf. In Ismailia veranstaltete die Bevölkerung Fußballspiele direkt vor dem Gouverneursgebäude, um ihren Trotz öffentlich zur Schau zu stellen.
Mostafa Fouly ist ein Ultra und Mitglied der Revolutionären Sozialisten. Er sagte: »Das Gerichtsurteil richtete sich nicht gegen die wahren Kriminellen. Das Gericht verurteilte nicht die Polizeioffiziere, die mit Kriminellen bei der Tötung der Märtyrer von Al-Ahly zusammenarbeiteten. Der Militärrat höchstpersönlich trägt die Verantwortung für die Planung des Massakers in Port Said.«
Die Ultras haben eine wichtige Rolle in der Revolution gespielt und bereits im Vorfeld Polizeigewalt konfrontiert. Das Massaker an den 74 Fans im Februar letzten Jahres war der Versuch seitens des Staats, sie zur Zielscheibe zu machen und die Menschen zu spalten.
System ist geblieben
Die Revolution hat den verhassten Diktator Hosni Mubarak 2011 aus dem Amt gejagt. Aber das Justizsystem ist geblieben.
»Die ägyptische Justiz verurteilt immer noch keine Polizeioffiziere, Geschäftsleute oder Militärpersonal zu Gefängnisstrafen oder zum Tode«, meinte Mostaf. »Sie opfern lediglich Arme und Menschen aus der Arbeiterklasse.«
Das Gerichtsurteil wurde einen Tag nach den ägyptenweiten Massenprotesten am zweiten Jahrestag des Beginns der ägyptischen Revolution gefällt.
Forderungen nicht erfüllt
Hatem Tallima von den Revolutionären Sozialisten legte dar: »Die Menschen skandierten die Forderungen der Revolution, die alle immer noch nicht erfüllt sind. Die Proteste sind sehr militant. In manchen Gegenden richteten sie sich unmittelbar gegen Reviere und Hauptquartiere der Polizei.«
Am Freitag, den 25. Januar, zogen Demonstrationszüge zum Tahrirplatz. Bissan Kassab von den Revolutionären Sozialisten marschierte mit dem Zug vom Stadteil Schubra. »Zu Beginn waren wir etwa 2.000 Leute«, meinte sie, aber bis wir den Tahrirplatz erreichten, waren wir 25.000 bis 30.000. Auf der gesamten Marschroute gesellten sich Menschen zu uns. Teilnehmer sahen ihre Freunde auf ihren Balkonen und forderten sie auf, auf die Straße runterzukommen.«
Frauen in der Revolution
Viele Frauen waren dabei – trotz der sexuellen Übergriffe seitens von Schlägertypen auf mehrere unter ihnen, um sie einzuschüchtern. »Mehr als ein Drittel der Teilnehmer waren Frauen«, meint Bissan.
»Eine Parole, die immer wieder zu hören war, lautete: ›Frauenstimmen sind keine Schande, sie sind die Stimme der Revolution.‹ Es war ein Angriff auf jene Islamisten, die sagen, Frauen sollte man nur sehen, aber nicht hören können.« Die zentrale Aufgabe jetzt ist, den Schwung aufrechtzuerhalten.
(Zuerst erschienen in der englischen Zeitung Socialist Worker – aus dem Englischen von David Paenson)
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