In ganz Deutschland gibt es Warnstreiks der Beschäftigten der Bundesländer. Edmond Jäger, Sprecher der Jungen GEW Baden-Württemberg, erklärt, warum Verhandeln nicht viel bringen wird
marx21.de: Zurzeit gibt es viele Warnstreiks der Beschäftigten der Bundesländer für 6,5 Prozent mehr Lohn. Am 1. März streiken auch die Lehrer in Baden-Württemberg. Jammert nicht gerade ihr Süddeutschen auf hohem Niveau?
Jäger: Wir jammern nicht, wir kämpfen für unsere Rechte. Ver.di und GEW fordern 6,5 Prozent für alle 800.000 Beschäftigten der Bundesländer, darunter viele mit sehr niedrigen Löhnen. Warum sollten die Lehrer sich diesem Kampf nicht anschließen?
Weil sie genug verdienen.
Das ist ein Klischee aus den 90er Jahren. Viele Lehrer sind heute Angestellte aber keine Beamte. In Berlin werden seit neun Jahren überhaupt keine Lehrer mehr verbeamtet.
Worin besteht der Unterschied?
In einem deutlich niedrigeren Lohn. Neu eingestellte Grundschullehrer bekommen hier nur noch 1700 Euro netto. In Ostdeutschland sind es noch weniger.
Sinken die Löhne auch im öffentlichen Dienst?
Ja. Zum Beispiel sind unsere Gehälter zwischen 2000 und 2007 um 15 Prozent gestiegen.
Klingt nicht schlecht …
… aber gleichzeitig betrug die Inflation 13 Prozent und unser Weihnachtsgeld wurde gekürzt. Wir haben weniger Geld in der Tasche als früher, wie viele andere Beschäftigte auch.
Aber immerhin einen sicheren Arbeitsplatz.
Schön wär’s. Junge Lehrer finden oft überhaupt keinen festen Job und schlagen sich jahrelang befristet als Krankheitsvertretung durch.
Gibt es nicht zu wenig Lehrer?
Zu wenig für die Schüler, aber zu viele für die Politiker.
Hat die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hier etwas verbessert?
Nein. Bis 2020 sollen bis zu 11.600 Lehrerstellen vernichtet werden. Das gilt es zu verhindern. Beschlossen ist schon die Streichung von über 2000 Stellen bis 2014.
Sollten nicht neue Unterrichtsformen eingeführt werden?
Ministerpräsident Kretschmann will Gemeinschaftsschulen und gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern …
… was eine tolle Sache ist.
Ja. Aber dann brauchen wir auch mehr Lehrer und Betreuer. Wie soll ich einen geistig behinderten Schüler integrieren, wenn ich weiter allein eine 28-köpfige Klasse unterrichten muss? Die besten pädagogischen Ideen sind nichts wert, wenn in der Klasse keine Pädagogen sind, die sie umsetzen können.
Wie stehen die Chancen von ver.di und GEW die Forderungen durchzusetzen?
Die Länderregierungen haben noch nicht mal ein Angebot für eine Lohnerhöhung gemacht. Wir müssen einen Vollstreik beginnen, sonst gibt’s für uns nicht viel zu holen.
Ist im Bildungsbereich ein Vollstreik möglich?
Natürlich. Die Erzieherinnen haben 2009 über elf Wochen mit Unterbrechungen immer wieder gestreikt und ein gutes Ergebnis rausgeholt. Warum sollen Lehrer das nicht können?
Kann DIE LINKE die Streiks unterstützen?
DIE LINKE ist wichtig. CDU, FDP, SPD und Grüne sind in den verschiedenen Bundesländern alle Arbeitgeber. Kein Wort der Solidarität von einem ihrer Politiker.
DIE LINKE muss ihre Argumente unter den Kollegen besser verbreiten. Nicht nur, dass die Forderungen der Gewerkschaften richtig sind; sondern auch, dass es wichtig ist, sich am Streik zu beteiligen.
Kann eine Partei das leisten?
Sicher. Ich kandidiere für DIE LINKE im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, um gewerkschaftliche Positionen zu verbreiten und dafür zu werben, dass Gewerkschaften und LINKE zusammenarbeiten. Davon würden beide Seiten profitieren und damit auch die Beschäftigten.
Das sehen viele Gewerkschaftsvorstände anders.
Es gibt im Apparat der großen Gewerkschaften eine Tradition, eher mit den Herrschenden zu verhandeln, als mit den Beschäftigten zu streiken. Diese Strategie ist unter Rot-Grün genauso gescheitert wie unter Schwarz-Gelb. Damit müssen wir brechen und das ist für mich linke Gewerkschaftspolitik.
(Das Interview führte Hans Krause)
Zur Person:
Edmond Jäger unterrichtet die Fächer Geschichte, Gemeinschaftskunde und Deutsch am Gymnasium Gosheim-Wehingen. Er ist Sprecher der Jungen GEW Baden-Württemberg und Bundestagskandidat der LINKEN im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen.
Mehr im Internet:
- »Erneuerung durch Streik« vom 1.-3. März in Stuttgart: Anmeldung und weitere Infos unter www.rosalux.de/streikkonferenz
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