Seit 2007 ist die Weltwirtschaft im Griff der Finanzkrise. Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble denken nicht daran, die Banken und Konzerne zur Verantwortung zu ziehen. Den Menschen in Deutschland und Europa diktieren sie dagegen »Sparen«. Linke Wissenschaftler und Politiker legen eine Reihe von Gegenvorschlägen vor. Thomas Walter prüft Für und Wider dieser Empfehlungen
Im Mai 2011 haben die Professoren Heinz-J. Bontrup und Mohssen Massarrat vom wissenschaftlichen Beirat von Attac eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche vorgeschlagen, um der Arbeitslosigkeit beizukommen. Attac hat diesen Vorschlag jetzt erneut vorgelegt und Sahra Wagenknecht von der LINKEN hat diesen Vorschlag in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenfalls begrüßt. Der Vorschlag knüpft an die Kampagne für die 35-Stunden-Woche der IG-Metall der 80er Jahre an.
Der Grundgedanke der Arbeitszeitverkürzung ist einfach und leicht nachvollziehbar. Während im Kapitalismus auf der einen Seite unter immer schlechteren Bedingungen die einen lange schuften müssen, sind auf der anderen Seite Menschen arbeitslos und müssen sich mit prekären Jobs abfinden. Würde man die Arbeitszeit gleichmäßig auf alle verteilen, hätten alle Arbeit.
Bei einem Lohnausgleich für die Arbeitszeitverkürzung würden die Arbeitnehmer mit ihrer 30-Stunden-Woche nicht weniger verdienen als vorher in z.B. einer 40-Stunden-Woche. Ein solcher Lohnausgleich ist schon deshalb angesagt, weil die Löhne schon seit längerem nicht mehr mit der wirtschaftlichen Entwicklung mithalten. Eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich würde diese Fehlentwicklung ein Stück weit rückgängig machen.
Mehr Macht für Gewerkschaften
Man kann hier auch den in den Wirtschaftsmedien beklagten »Anlagenotstand« anführen. Anlagenotstand soll heißen, dass die Kapitalisten gar nicht mehr wissen, wo sie ihre Profite anlegen sollen. Die meisten Märkte sind längst fest in den Händen weniger Konzerne. Bleiben die Kapitalisten aber auf ihren Profiten sitzen, vertieft dies die Krise.
Müssten die Kapitalisten hingegen einen Teil ihrer Profite an die Arbeitnehmer abgeben, dann wüssten diese schon, was sie damit kaufen könnten. Führt kürzere Arbeitszeit zu weniger Arbeitslosigkeit, stärkt dies auch die Macht der Gewerkschaften. Die Konkurrenz durch verzweifelte Arbeitslose um Arbeitsplätze würde wegfallen. Die Gewerkschaften könnten besser für Arbeitsbedingungen und Sozialstaat kämpfen.
Arbeiter müssen kämpfen
Um die Vorteile einer Arbeitszeitverkürzung zu begreifen, muss man kein Genie wie Albert Einstein sein. Dabei hat auch dieser, wie Bontrup und Massarrat ihn zitieren, es für notwendig gehalten, dass das »chronische Übel« Arbeitslosigkeit gegen den »Kapitalismus, oder besser gesagt, das freie Unternehmertum« gesteuert werden muss.
Der Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung ist für die Arbeitnehmer sogar lebenswichtig. Sie können nur ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten verkaufen, wenn sie nicht kaputt gearbeitet werden. Dazu gehören erträgliche Arbeitszeiten. Die Arbeiter müssen um ihre Selbsterhaltung, um ihren Lohn und ihre Arbeitszeiten gegen die Kapitalisten kämpfen. Sie bekommen das nicht automatisch.
Nur in diesem Sinne, dass die Kapitalisten letztlich auf arbeitsfähige Arbeiter angewiesen sind, könnte man von einem »gemeinsamen« Interesse sprechen. Doch dieses »gemeinsame« Interesse muss gegen die unmittelbaren Interessen der Kapitalisten durchgesetzt werden.
Kapital gegen Arbeitszeitverkürzung
Unmittelbar haben die Kapitalisten kein Interesse, dass die Arbeitnehmer für sie kürzer arbeiten, womöglich noch zum gleichen Geld. Das läuft auf einen höheren Stundenlohn hinaus, den die Kapitalisten natürlich nicht zahlen wollen. Aber selbst wenn es keinen Lohnausgleich gäbe, wenn sozusagen die Arbeitszeitverkürzung für die Kapitalisten »kostenneutral« wäre, drängen besonders reaktionäre Kapitalideologen auf lange Arbeitszeiten.
Längere Freizeit, selbst mit niedrigerem Lohn erkauft, bringt die Arbeitnehmer auf dumme Gedanken und hält sie vom Arbeiten für das Kapital ab. Allein aus solchen ideologischen Gründen, nicht nur aus Gründen des Profits, lehnen die Kapitalisten eine Arbeitszeitverkürzung ab.
Mehr Leute einstellen
Manche Linke, auch aus den Gewerkschaften, wollen den Arbeitgebern eine Arbeitszeitverkürzung damit schmackhaft machen, dass Arbeitszeitverkürzungen ja auch mit einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität einhergehen. Das Angebot lautet also: Ihr lasst uns kürzer arbeiten, wir schuften dafür aber auch mehr.
Das macht natürlich die ganze Wirkung einer Arbeitszeitverkürzung zunichte. Warum sollen die Arbeitgeber zum Ausgleich mehr Leute einstellen, wenn die Beschäftigten in kürzerer Arbeitszeit genau so viel produzieren wie vorher in längerer? Nur wenn tatsächlich kürzer gearbeitet und weniger produziert wird, ergibt sich rechnerisch die Möglichkeit zum Ausgleich mehr Leute einzustellen.
Besser arbeiten
Auch Sahra Wagenknecht in ihrem Beitrag in der FAZ appelliert zumindest unterschwellig an die Vernunft der Kapitalisten, wenn es um Arbeitszeitverkürzung geht. Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt sollen nicht über Dumpinglöhne, sondern über Qualitäts- und Produktivitätsverbesserung erreicht werden. Ausgeruhte Arbeiter, die in der Woche nur 30 Stunden arbeiten müssen, können sozusagen als glückliche Kühe besser für die Kapitalisten arbeiten.
Je »besser« aber die Arbeiter arbeiten, desto weniger muss das Kapital zum Ausgleich mehr Arbeitnehmer einstellen. Abgesehen davon besteht natürlich die Gefahr, dass die besser arbeitenden Arbeiter so in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt Arbeitsplätze im Ausland zerstören. Arbeitslosigkeit würde so »standortlogisch« exportiert, was nicht das Ziel einer internationalistischen Arbeiterbewegung sein kann.
Schwache Punkte in den Vorschlägen
Hier liegen also einige schwache Punkte von Vorschlägen zur Arbeitszeitverkürzung. In ihrem Manifest sprechen Bontrup und Massarat von einer »gesellschaftlichen« Aufgabe. An dieser sollen die »Tarifparteien«, also nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeberverbände, mitwirken.
Die Kapitalisten werden aber alles tun, und haben das in der Vergangenheit auch getan, ihre Profitinteressen gegen die arbeitenden Menschen durchzusetzen. Der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung kann also nur ein Kampf der fortschrittlichen Kräfte der Gesellschaft gegen die konservativen Interessen des Kapitals, das auf seinen Profiten beharrt, sein.
Nur gegen das Kapital
Sahra Wagenknecht sieht, dass die »üppigen Gewinnmargen« durch eine richtig durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung sich verringern würden. Und genau das werden die Kapitalisten bekämpfen.
Die Linke muss klar sehen, dass sie eine Arbeitszeitverkürzung nur gegen das Kapital und nicht mit dem Kapital wird durchsetzen können. Und das wird weitreichende Eingriffe in die »unternehmerische Freiheit« nach sich ziehen, z.B. Kapitalverkehrskontrollen. Das Kapital muss daran gehindert werden, sein Geld ins Ausland zu verlagern.
Investitionen kontrollieren
Außerdem muss die Gesellschaft entscheiden, was und wo investiert wird. Sonst nutzen Banken und Konzerne das Geld entweder, um Arbeitsplätze wegzurationalisieren oder sie parken das Geld einfach und warten auf bessere Zeiten für Profite. Hans-Werner Sinn in einer Antwort auf Sahra Wagenknecht im Handelsblatt meint, der Staat weiß nicht besser wo investiert werden sollte.
Auch der ehemalige SPD-Finanzminister Steinbrück meinte, der Staat sei nicht der bessere Banker. Seltsamerweise sehen die privaten Kapitalisten das anders. In der Krise sind sie froh, wenn der Staat Investitionen in die Krisenländer lenkt. Täte er das nicht, müssten die Banken ihre Investitionen dort abschreiben.
Der Staat ist auch genau dann der bessere Banker, wenn es darum geht, Verluste der Banken der Allgemeinheit aufzubürden. Das überlassen die Banken gerne dem Staat, so bei der teilverstaatlichten Commerzbank. Aber für die Bevölkerung ist der Staat nicht besser als die privaten Konzerne, weil auch er die Interessen des Kapitals vertritt.
Sparpolitik stoppen
Viele linke, nicht nur radikal-linke Ökonomen, sehen zu Recht den Wahnsinn, wie die europäischen Krisenländer jetzt »sparen« müssen, um so für die Verluste der Banken aufzukommen. Durch diese Sparpolitik, besser Austeritätspolitik genannt, geraten sie erst recht in die Krise.
Das Sparen führt zu Ausgabenkürzung, zu Nachfrageausfall, zu Arbeitslosigkeit und Elend, was den Absturz in die Krise verstärkt. Dabei gehen auch viele Unternehmen pleite, so dass auch manche Kapitalisten ein Interesse an staatlicher Nachfrage haben.
Keynes‘ Ideen als Leitbild
Linke Ökonomen empfehlen deshalb die Rezepte des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Staatliche Konjunkturprogramme sollen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren. So könnte ohne große Leiden der Bevölkerung die Krise überwunden werden. Viele Unternehmen müssten nicht pleite gehen.
Der Staat soll nicht für die Banken mit dem Geld der Bevölkerung gerade stehen. Er soll nicht den Kapitalisten Mut machen, ihr Geld bei den privaten Banken anzulegen.
Er soll lieber der Bevölkerung Mut machen, weiterhin zu konsumieren, indem er für die Beschäftigung der Bevölkerung mit Hilfe von Konjunkturprogrammen garantiert. Auch Unternehmen würden so ermuntert zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, meinen die Keynesianer.
Kapitalisten diktieren Bedingungen
Aber auch hier gilt, dass das, was dem gesunden Menschenverstand einleuchtet, von den Kapitalisten als »Milchmädchenrechnung« verunglimpft wird. Es stellt sich die Frage, wer die Konjunktur- oder Nachfrageprogramme finanzieren soll. Leiht sich der Staat das Geld bei den Kapitalisten, dann werden diese die Bedingungen diktieren.
Nur derjenige Staat bekommt Geld, der die Profite der Kapitalisten erhöht, indem er die Löhne der Arbeitnehmer senkt und den Sozialstaat abbaut. Das ist genau die jetzige so genannte Sparpolitik. Besteuert aber der Staat die Kapitalisten, um seine Nachfrageprogramme zu finanzieren, wird er diese Steuern gegen das Kapital durchsetzen müssen. Die Linke wird breite Kampagnen mit organisieren müssen, will sie dem Kapital Steuern aufzwingen.
Eine Frage der Macht
Sie wird auch dafür kämpfen müssen, dass die Bevölkerung diese staatliche Nachfrage für ihre Bedürfnisse einsetzen kann. In der Vergangenheit waren die Kapitalisten dann für staatliche Nachfrage zu haben, wenn diese die Lage der Menschen nicht verbessert, zum Beispiel staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern.
Den Kapitalisten kann nicht daran gelegen sein, dass staatliche Nachfrage die Lage der Menschen und damit ihr Selbstbewusstsein hebt. Auch aus diesem Grund wird sich also linke Politik auf harte Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberseite einstellen müssen. Es wird die Machtfrage gestellt.
Europäische Solidarität
Linke Politiker fordern auch mehr Solidarität mit den so genannten Krisenländern Europas. Diese bekommen auf den Kapitalmärkten keine Kredite mehr oder nur zu drückend hohen Wucherzinsen. Deshalb soll Europa als Ganzes Kredite aufnehmen, also Euroanleihen (Eurobonds) ausgeben.
Die Geldgeber würden keine so hohen Zinsen verlangen, weil Europa als ganzes noch als guter Schuldner gilt. Dieses Europa könnte dann die Kredite an notleidende europäische Staaten weiterreichen. Tatsächlich sind die Eurorettungsschirme eine solche Vergesellschaftung der europäischen Staats- und Bankenschulden. Allerdings machen diese Rettungsschirme ihre Hilfen davon abhängig, ob die Empfängerländer auch richtig »sparen«.
Ein ähnlicher Vorschlag geht in Richtung Bankenunion. Alle Banken zahlen in eine Risikokasse. Geht eine Bank pleite, hilft nicht der Staat mit dem Geld der Steuerzahler, sondern aus dieser Versicherungskasse wird der einzelnen notleidenden Bank geholfen.
Solidarität statt Konkurrenz
Auf den ersten Blick wirken alle diese Versicherungslösungen vernünftig. Doch es gibt hier Probleme. Das Schreckgespenst heißt »Moral Hazard« oder »sittliche Versuchung«. Kann sich der einzelne Kapitalist, die einzelne Bank, aber auch der einzelne Staat darauf verlassen, dass ihm notfalls geholfen wird, wird seine Risikobereitschaft natürlich höher – zu Lasten derjenigen, die für den Schaden aufkommen müssen.
»Sozialisierung der Verluste, Privatisierung der Gewinne« ist die Devise vieler Versicherungen. Dieses Problem tritt bei keynesianischer Nachfragepolitik, bei Eurobonds und Bankenunion, überhaupt bei staatlichen Rettungsmaßnahmen, wenn sie zur Regel werden, auf. Hier prallen unmittelbar kapitalistische Interessen gegeneinander. Das Problem kann letztlich nur gelöst werden, wenn das Konkurrenzprinzip des Kapitalismus durch die Solidarität der arbeitenden Menschen und eine gemeinsame Planung der Wirtschaft ersetzt wird.
Kampf für Alternativen
Die Linke muss in einem ersten Schritt Alternativen zur Kapitallogik entwickeln. Die Apologeten des Kapitals, ob der Ifo-Ökonom Hans-Werner Sinn oder die Sprecherin der Jungen Unternehmer Lencke Wischhusen in ihrem Contra-Beitrag gegen Sahra Wagenknecht, tun sich schwer, ihre Kapitallogik als allgemeine Vernunft darzustellen. Sinn macht sich lächerlich, wenn er in der Mitte der Weltfinanzkrise die »Effizienz des Kapitalismus« heraufbeschwört. Wischhusen macht es sich einfach Alternativen zum Kapitalismus als »Karnevalsscherz« abzutun.
In einem zweiten Schritt wird es für die Linke um die Umsetzung dieser Alternativen gehen. Manche Linke setzen darauf, dass auch die Kapitalseite durch Argumente zur Vernunft gebracht werden kann. Was geschieht aber, wenn die Kapitalisten und ihre Ideologen an der Vernunft des Kapitals festhalten? Für diesen Fall müssen auch Vorstellungen entwickelt werden, wie gegen den Widerstand des Kapitals die Interessen der Arbeitnehmer durchgesetzt werden können.
Zur Person:
Thomas Walter ist Ökonom und Mitglied der LINKEN.
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