Mitte Juni hatte die griechische Regierung den staatlichen Rundfunk sowie das Fernsehen abgeschaltet. Sie kündigte ein kleineres, billigeres Staatsfernsehen an. Seither kämpfen die ehemaligen Angestellten um ihre Arbeitsplätze und erfahren viel Unterstützung. Panagiotis Sotiris über die anhaltenden Kämpfe, die Krise der Regierung und die Strategien der Linken.
Die Auseinandersetzung um die griechische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt (ERT) kennzeichnet einen Wendepunkt im Kampf gegen das Austeritätsprogramm und die gewaltsame Umstrukturierung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft durch die Regierung.
Wie auch immer das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ausfallen mag, die bemerkenswerte Mobilisierung der griechischen Bevölkerung zur Unterstützung des Kampfes um ERT hat die Phase beendet, in der die Pro-Austeritäts-Regierung jegliche Form von Aufständen verhindern konnte, wie beispielsweise durch die »Zurück-an-die-Arbeit-Verordnung«, die einen Lehrerstreik im Mai verhindert hatte.
Regierung in der Krise
Im Gegenteil: Die Besetzung von ERT-Niederlassungen, die Massenversammlungen von Menschen vor beiden ERT-Hauptsitzen sowie vor lokalen Standorten und die eigenmächtige Fortsetzung der Ausstrahlung von Fernseh- und Rundfunkprogrammen haben die politische Krise verschärft.
Das Resultat ist eine offene Regierungskrise. Zunächst hatten die sozialdemokratische Pasok und die Demokratische Linke die Taktik von Premierminister Samaras scharf kritisiert. Letztendlich ist die Demokratische Linke sogar aus der gemeinsamen Koalition ausgetreten.
Das war ein heftiger Schlag für Samaras, der stets versucht, das Image einer stabilen Regierung zu wahren, welche jegliche Maßnahmen, die sie beschließt, auch durchführt und die Vorgaben der Troika vollständig umsetzt. Jetzt ist Samaras derart geschwächt, dass auch Neuwahlen wieder in Betracht kommen.
Gewerkschaften wollen weiter kämpfen
All das macht den Kampf um ERT noch wichtiger. Unter dem Druck der Bewegung und durch die Krise der Regierung hat diese nun einen Vorschlag unterbreitet, der die »Neuanstellung« von zwei Dritteln der Belegschaft beinhaltet, bis der neue, schlankere staatliche Hör- und Rundfunk startklar und funktionsfähig ist. Eine Bedingung dafür ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die besetzten Gebäude aufgeben, andernfalls würde die Polizei sie räumen.
Die Gewerkschaften haben diesen Vorschlag abgelehnt, da er in dieser Form den Abbau von öffentlichem Fernsehen und Rundfunk und damit einhergehend freiem Journalismus sowie Massenentlassungen bedeuten würde. Stattdessen haben sie dazu aufgerufen, mit der Besetzung weiterzumachen und um Unterstützung und permanente Massenpräsenz vor den ERT-Gebäuden gebeten, um so die Räumung durch die Polizei verhindern zu können.
Breite Solidarität
Linke Organisationen wie Antarsya und die Gewerkschaften haben auch dazu aufgerufen, die Besetzungen besser zu organisieren und zu koordinieren, damit diese gesichert ablaufen. Ebenso gab es von Gewerkschaftsaktivisten Aufrufe zu einem erneuten Generalstreik, sowohl zur Unterstützung der ERT-Beschäftigten als auch zum Schlag gegen die Regierung.
Es ist offensichtlich, dass das Ergebnis des Kampfes bei ERT weitreichende politische Auswirkungen haben wird.
Die Besetzung der ERT, mit all der Unterstützung, die sie erfährt, um die Arbeit trotz des Verbots eigenständig fortzuführen und auf Sendung zu gehen und die Existenz einer kritischen Gegenöffentlichkeit, die empört ist über die Intention und die Strategie Samaras, haben einen politischen Kurzschluss der griechischen Regierung herbeigeführt und erklärt ihre Versuche, die Proteste niederzuschlagen. Ob ihr das gelingen wird, hängt davon ab, ob die griechische Linke die Menschen weiterhin dazu zu mobilisieren kann, den Kampf um ERT solidarisch zu unterstützen.
Strategien der Linken
Und das ist tatsächlich eine offene Frage: Intervenieren die Akteure der griechischen Linken so, dass sie die Kämpfe um ERT, die die erste Phase der parlamentarischen Krise ausgelöst haben, verallgemeinern und so zur politischen Krise des Landes beitragen und diese intensivieren? Die Antwort ist nicht so einfach.
Trotz der massenhaften Anwesenheit von Syriza-Mitgliedern bei den Protesten scheint die Syriza-Führung es zu bevorzugen, darauf zu warten, dass sich die Regierung durch ihre eigenen Widersprüche selbst stürzt, anstatt sich für den Weg der Massenbewegung zu entscheiden, die diesen Prozess beschleunigen könnte.
Mehr noch: Die Syriza-Führung hat die Möglichkeit durch die Kämpfe bei ERT genutzt, um einen Wechsel im politischen Ton herbeizuführen – in Form einer Rhetorik von Demokratie vs. staatlicher autoritärer Regierung, die es vermeidet, tiefergehende Fragen nach politischen Programmen und Alternativen zu stellen (sowie z. B. die Frage nach der griechischen Mitgliedschaft in der EU).
Im selben Moment behandeln sie die Demokratische Linke (die als Partei neoliberale Reformen unterstützt) schon wieder als potenziellen Koalitionspartner für eine »demokratische Regierung«
Gleichzeitig kehrt die KKE (die Kommunistische Partei) trotz der anfänglich hoffnungsvollen Zeichen für eine Strategie der Einheit auf der Straße (z. B. durch Teilnahme ihrer Mitglieder an Demonstrationen und Kundgebungen vor den ERT-Gebäuden) zurück zu ihrem Sektierertum und lehnt es ab, dass wichtige Dinge geändert werden sollten, bevor nicht »gewisse Bedingungen« erfüllt sind.
Regierungskrise und Massenbewegung nutzen!
Diese Strategien von Teilen der griechischen Linken innerhalb der Auseinandersetzungen werfen eine wichtige Frage auf: Wie ist es möglich, dass eine Regierung unter dem Druck einer Massenbewegung gestürzt wird? Im Fall von ERT könnten mehrere Faktoren zusammenkommen: die Dauer des Kampfes, die enorme Unterstützung der Öffentlichkeit, die Rückkehr breiter Massen auf die Straßen, das Vorhandensein eines symbolischen (und materiellen) gemeinsamen Orientierungspunkts (die Ausstrahlung aus der besetzten ERT-Zentrale in Selbstverwaltung und die Möglichkeit einer alternativen sozialen Umgestaltung, also die Einheit im Kampf um eine sinnvolle Sache). All das, einhergehend mit einem allgemein schwierigen Zustand der wirtschaftlichen und sozialen Krise, schafft eine zunehmend schwierige Situation für die griechische Regierung.
Unter solchen Bedingungen sollte die Arbeit der Linken nicht darin bestehen, einfach abzuwarten bis sich die Regierung von alleine zersetzt (die bis dahin durchaus noch verheerendere Reformen einleiten könnte), sondern alles zu tun, was nötig ist, um diesen Prozess zu beschleunigen, indem sie die Besetzungen unterstützt, zu neuen Streiks aufruft, Massendemonstrationen und andere politische Aktionen organisiert. Stattdessen gehen anscheinend viele davon aus, dass es eine ebensolche Dynamik gäbe, wenn neu gewählt wird.
Kein Regierungswechsel, sondern Politikwechsel
Griechenland braucht aber keinen Regierungswechsel, sondern einen Politikwechsel. Unter den Umständen, dass eine Regierung unter den vorher genannten Bedingungen gestürzt würde, würde ein politisches Potenzial für soziale Transformationen zu Tage treten, insbesondere wenn die Linke nicht lediglich eine »Nein zu Sparmaßnahmen«-Rhetorik aufweisen würde, sondern eine alternative Antwort für die griechische Gesellschaft böte, die auf eine Loslösung vom europäischen Projekt hin zu Verstaatlichung, Selbstverwaltung und Beteiligung der Massen hinausläuft.
Historische Chancen wiederholen sich nicht so einfach von alleine. Sowohl die Rückkehr der Menschen auf die Straßen als auch die erste Regierungskrise dieser Art zeigen das Potenzial eines politischen Wandels und öffnen ein politisches Fenster voller Möglichkeiten, aber eben auch von Verantwortung. Es liegt an der griechischen Linken, sich der Herausforderung zu stellen.
(Übersetzt von Marijam Sariaslani)
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