Kurse brechen ein, der Euro geht in die Knie und der Spiegel verkündet den »Gelduntergang«. Die richtige Zeit also, kompetenten Beistand in Wirtschaftsfragen zu suchen. Der Finanzjournalist Lucas Zeise erklärt, warum er nicht auf Eurobonds hofft, und enthüllt, was Multimilliardär Warren Buffett peinlich ist. Vorabveröffentlichung aus marx21, Heft 22, September/Oktober 2011
{nomultithumb}marx21: »Die unkontrollierbare Gier der Finanzmärkte bedroht die globale Gesellschaft.« So sieht der Spiegel die aktuelle Krise. Trifft das den Kern?
Lucas Zeise: »Unkontrollierbare Gier« ist schon mal Irrsinn. Denn was heißt hier Gier? Die Leute werden ja dafür bezahlt, dass sie soviel Geld wie möglich für ihre Arbeitgeber rausholen. Das ist keine Gier, sondern systematische Methode. Und dass wir uns inmitten einer globalen Krise befinden, ist ein Allgemeinplatz. Gemeint ist doch: So wie bisher gewurschtelt wurde, kann es nicht weitergehen.
Das wurde nun schon zu Beginn der Krise im Jahr 2008 gesagt. Auch damals standen Banken und Fonds wegen Spekulation am Pranger. Warum hat sich nichts geändert?
An mangelnder Empörung hat es jedenfalls nicht gelegen. Die einfache Antwort ist: Diejenigen, die weiterhin Geld aus diesem System herausziehen wollten, haben das verhindert. Sie haben Macht, den kürzeren Draht zu den Entscheidungsträgern und sitzen am längeren Hebel. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass nichts passiert ist.
»Zocker attackieren den Euro« titelte die Bild kürzlich. Wie kann so etwas funktionieren? Welche Rolle spielen dabei die Staatsanleihen?
Staatsanleihen sind die Schulden der Staaten. Wenn ein Unternehmen bei einer Bank als solide angesehen wird, dann bekommt es günstige Konditionen, ein Pleitekandidat eben nicht. Genauso ist das bei den Staaten auch. Je größer der Zweifel an der Zahlungsfähigkeit, desto höher die Zinsen, weil die Papiere massenweise abgestoßen werden und deshalb durch Zinserhöhungen attraktiver gemacht werden müssen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, dafür müssen wir nicht Zocker und Spekulanten zu bemühen.
Entscheidend ist dabei aber nicht das absolute Niveau der Staatsverschuldung – Japan beispielsweise ist höher verschuldet als Griechenland, hat aber weitaus niedrigere Zinsen. Der Unterschied ist: Die Griechen haben wenig Möglichkeiten, mehr Geld aus ihrem System herauszupressen – die meisten wirklich Reichen haben ihr Geld schon ins Ausland verschoben. Selbst wenn die Regierung wollte, würde sie diese Leute steuerlich nicht mehr belangen können. Die Japaner hingegen finanzieren ihre Staatsschulden seit zwei Jahrzehnten aus ihren eigenen Lebensversicherungen, aus den Guthaben in den Postsparkassen und ähnlichen Einlagen. Entsprechend ist hier auch kein Anleger unruhig, die Annahme ist, dass die das schon irgendwie regeln werden.
Ähnlich sieht es bei den USA aus. Exorbitante Schulden und Abwertung haben ja nicht dazu geführt, dass die US-Staatsanleihen jetzt schlecht dastehen und die Zinsen steigen. Im Gegenteil: Die werden immer noch gerne gekauft, die Zinsen sind niedrig. Denn der enormen amerikanischen Staatsverschuldung stehen noch enormere Anhäufungen von privaten Vermögen gegenüber. Wenn die amerikanischen Herrschenden sich morgen entscheiden würden, von den Reichen und Superreichen vom Schlage eines Bill Gates oder eines Warren Buffets ein paar Prozent Sondersteuer zu erheben, wäre der Haushalt komplett saniert. Da jederzeit die theoretische Möglichkeit besteht, die Verschuldung zu eliminieren, gibt es auch keine Panik.
Die Bundesregierung verlangt Sparprogramme von den betroffenen Ländern, um das »Vertrauen der Märkte« wieder herzustellen. Kann das funktionieren?
In der Frühphase hätte man die Eurokrise damit vielleicht eindämmen können – zu Lasten der Bevölkerung natürlich. Die Bankenrettung hat ja auch in dem Sinne geklappt, dass der Bankensektor nicht zusammengebrochen ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück haben im Jahr 2008 gesagt: »Liebe Bürger, Ihre Einlage bei der Bank ist sicher.« Die lieben Bürger haben das geglaubt, der Finanzmarkt hat das geglaubt und die Banken haben sich stabilisiert. Damals haben in der Tat alle geglaubt, dass die Staaten genug Knete haben, um die Banken – komme was wolle – zu stützen. Dann kam die Griechenlandkrise und mit ihr erste Zweifel, ob das Land die Schuldenlast bewältigt. Ein Wort der Bundesregierung hätte genügt, die nachfolgende Eskalation abzuwenden. Hätte Merkel gesagt: »Selbstverständlich, wenn das Land Probleme hat, dann bekommen sie einen Überbrückungskredit von soundso viel Milliarden Euro«, dann hätte es für das Hochtreiben der Zinsen und Spekulation gar keinen Raum gegeben.
Das wurde nicht gemacht, weil die deutsche Regierung dachte, das wäre zu teuer. Die Idee war, den Sanierungsdruck auf Griechenland zu erhöhen und zu hoffen, dass die Sache vorbeigeht. Das Gegenteil ist jedoch passiert: Die griechische Wirtschaft klappte infolge der Sanierung zusammen, die Rückzahlung der Schulden wurde dadurch immer unwahrscheinlicher und die vermeintlich billige Lösung ist jetzt eine sehr teure. Die Bundesregierung wollte beides: Einerseits die schöne Eurozone, die ihr aufgrund des Wegfallens von Währungsgrenzen einen enormen Markt für den sehr wettbewerbsfähigen Export bietet. Anderseits wollte sie nur Einnahmen, aber keine Kosten. Doch beides zusammen geht in einer solchen Situation nicht.
Die Europäische Zentralbank kauft momentan Staatsanleihen, DIE LINKE fordert die Ausgabe von sogenannten Eurobonds. Was hältst du davon?
Eurobonds wären ein nettes und auch richtiges Detail in einer funktionierenden Währungsunion gewesen. In Deutschland wäre es ja auch schlecht, wenn Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern ihre Schulden alle einzeln refinanzieren müssten. Das würde es richtig teuer machen, da die Zinsen bei diesen schwachen Ländern natürlich sehr hoch wären. Durch die Bundesanleihen profitieren sie von der besseren Situation in Bayern und Baden-Württemberg.
Das sieht auf der europäischen Ebene natürlich ganz anders aus. Daher wäre es nur vernünftig, in Europa gemeinsam auf diesem Finanzmarkt aufzutreten und gemeinsame Anleihen herauszugeben. Die Anleger haben dann gar keine Wahl mehr und können nicht einzelne Staaten abstrafen.
Die Bundesregierung sagt, das wird für den deutschen Staat sehr teuer, weil die Zinsen für die Schuldenlast teurer werden.
Ich denke, vor dem Ausbruch der Eurokrise wäre das Gegenteil passiert: Diese Anleihen hätten ebenso niedrige Zinsen abgeworfen wie die jetzigen Bundesanleihen oder sogar noch weniger. Der Markt für die Eurobonds ist ja viel größer als der für Bundesanleihen – ungefähr so groß wie die Anleihemärkte der USA und Japans. Diese Länder haben niedrige Zinsen aufgrund des unglaublichen Volumens. Es gibt richtig viele Schulden, da können die Anleger gut kaufen. Das Absurde am Finanzmarkt besteht ja gerade darin, dass der Großschuldner bessere Konditionen bekommt. Die Banker nennen das die Liquiditätsprämie. Die Staaten mit den meisten Schulden (USA und Japan) genießen die niedrigsten Zinsen. Erklären lässt sich das Phänomen dadurch, dass der Markt für diese Staatspapiere jederzeit liquide ist. Ich muss nicht wie bei einer österreichischen Anleihe lange einen Käufer suchen, wenn ich aussteigen will.
Dann liegt DIE LINKE also richtig, wenn sie Eurobonds fordert?
Die Forderung an sich ist nicht verkehrt – ich fürchte bloß, dass es zu spät ist. Jetzt, wo die Zinsen so irrsinnig hoch sind, ist natürlich auch die Einführung der Eurobonds mit Gefahren verbunden. Was passiert, wenn der Zinssatz über dem liegt, was Länder wie die Niederlande und Frankreich bisher bezahlen und diese Länder dadurch mit in den Strudel gerissen werden? Dann würde sich die vermeintliche Heilung als Infektionsmittel erweisen. Ich jedenfalls würde im jetzigen Stadium der Krise keine großen Hoffnungen in die Einführung von Eurobonds setzen.
Bislang hast du erklärt, was alles nicht hilft. Welche Lösung würdest du denn anbieten?
Bei Lösungsvorschlägen kommt man natürlich schnell ins Fantasieren, wenn man sie abseits von Kräfteverhältnissen diskutiert. Ich mach es trotzdem mal. Drei Dinge würden tatsächlich helfen: Zum Ersten eine realwirtschaftliche Maßnahme. Die Ungleichgewichte müssten abgebaut werden, die Umverteilung von unten nach oben gestoppt werden, um den wirtschaftlichen Einbruch infolge von Nachfrageentzug abzufangen und Profite abzuschöpfen, die so zum Beispiel in staatliche Investitionen statt in Spekulation gehen könnten.
Zum Zweiten könnte man tatsächlich Eurobonds rausgeben, den Preis aber nicht durch den Markt, sondern einfach selber setzen. Das wäre natürlich eine Revolution gegen die Finanzbranche, deren Profitfelder dann entschwinden. Aber wir müssen die Banken eindampfen und den Sektor in die öffentliche Hand geben, um überhaupt regulierend eingreifen zu können. Eine schöne Methode, um das Ganze aufzumischen, finde ich.
Die dritte Ebene ist natürlich, dass wir die Verursacher der Krise für die Finanzierung der Folgen heranziehen. Es ist doch bemerkenswert, dass jemand wie Warren Buffett sagt, es wäre ihm direkt peinlich, dass niemand Steuern von ihm verlangt. Der Mann ist milliardenschwer und hat trotzdem Steuervorteile, von denen ein normaler Arbeitnehmer nur träumen kann. Von daher: Die Lösung ist einfach – Enteignung dieser Leute. Schwierig ist die Durchführung.
»Wir zahlen nicht für eure Krise« ist also die richtige Losung. Wie setzt man sie um?
Leider zahlen wir schon. Das ist die Realität. Und wir werden noch mehr zahlen. Und das wird keine höfliche Zahlungsaufforderung sein, sondern wir werden dazu gezwungen werden. Ganz wie in Griechenland und ganz wie bei der Agenda 2010.
Das Vergnügen zu beobachten, dass die herrschenden Eliten keinen Plan – weder A noch B – haben, wie in der Euro- und Bankenkrise zu verfahren ist, wird getrübt. Denn momentan sieht es so aus: Volle Fahrt voraus in die Weltwirtschaftskrise.
(Dies ist eine gekürzte Fassung eines Interviews, dessen ganzer Umfang in der neuen Ausgabe von marx21 zu lesen sein wird. Die Fragen stellte Stefan Bornost.)
Zur Person
Lucas Zeise ist Finanzjournalist. Er schreibt regelmäßig für die Financial Times Deutschland.
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