Als in Pakistan bei Protesten gegen das Mohammed-Video Dutzende Menschen getötet wurden, kam das Urteil der europäischen Medien schnell: die Hochburg des gewalttätigen Islamismus. Doch die Gewalt hat andere Ursachen, meint Hans Krause
Die US-Armee nennt ihre Taktik »Dublette«: Ein unbemanntes Kriegsflugzeug schießt eine Rakete auf jemanden, der verdächtigt wird, ein Widerstandskämpfer zu sein. Dann wartet man einige Minuten und lässt das Flugzeug noch mehr Raketen schießen, weil man vermutet, dass die ersten Helfer am Tatort ebenfalls Widerstandskämpfer sind. Eine neue Studie der Stanford Law School beschreibt diese Einsätze von so genannten Drohnen der US-Armee, mit denen in den letzten Jahren mindestens 3000 Pakistaner ermordet wurden.
Kriegsgebiet
Denn Pakistan ist Kriegsgebiet, spätestens seit US-Präsident Obama schon im Wahlkampf 2008 verbreitete, der Krieg gegen Aufständische sei nicht auf Afghanistan beschränkt, sondern müsse auf Pakistan ausgedehnt werden, weil sich die Feinde der US-Armee hierhin zurückzögen. Dieser Krieg trifft ein Land, das in der UNO-Liste für den Entwicklungsstand eines Landes auf Platz 145 steht, hinter Kenia und den besetzten palästinensischen Gebieten. Die Hälfte der Pakistaner lebt in großer Armut, 45 Prozent können nicht lesen und schreiben. Der NATO-Krieg gegen Aufständische und die weltweite Wirtschaftskrise haben die Kapital-Investitionen im Vergleich zu 2007 halbiert und die Armut deutlich steigen lassen. Präsident von Pakistan ist seit 2008 der Milliardär Asif Zardari, der wegen Korruption und Steuerhinterziehung acht Jahre im Gefängnis saß und gegen den auch jetzt ein Prozess wegen Geldwäsche in der Schweiz läuft. Davor regierte General Pervez Musharraf sieben Jahre als Militärdiktator. Durch das Zusammenkommen dieser Faktoren konnten einige islamistische Organisationen in den letzten Jahren wachsen. Die Versprechen des Politischen Islam erscheinen manchen Menschen als eine Antwort auf ihre eigene Armut, die extreme Korruption der Regierung und die Ausweitung des NATO-Krieges auf Pakistan.
Woher kommt die Gewalt?
Deswegen waren die Proteste gegen das Anti-Mohammed-Video in Pakistan besonders groß. Dass sie besonders blutig waren, lag aber nicht am Fanatismus der Demonstranten, wie europäische Medien oft behauptet haben. Genauere Berichte von den pakistanischen Demonstrationen zeigen, dass in Karachi und Lahore tausende Menschen versucht haben, Straßensperren der Polizei zu durchbrechen, um die US-Botschaft zu stürmen. In Peshawar wurde ein leeres Kino angezündet, in dem US-amerikanische Filme liefen. Die meisten Todesopfer bei den Protesten waren Demonstranten, die von der Polizei ermordet wurden. Auch mehrere Polizisten wurden bei den Straßenschlachten getötet. Warum aber können viele Pakistaner bei einem schlechten Film über Mohammed nicht gelassen bleiben? Weil es die weit verbreiteten Vorurteile gegen Muslime sind, die es der US-Armee ermöglichen, in Pakistan Menschen zu ermorden, ohne dass es in Europa oder Nordamerika für Aufsehen sorgt.
Rassismus
Und so schicken die USA und mit ihr auch Deutschland und die anderen NATO-Regierungen mit jeder Drohne eine Botschaft nach Pakistan: Mindestens in der Grenzregion zu Afghanistan ermorden wir wen wir wollen und wann wir wollen. Die verdächtigen Pakistaner haben kein Recht auf einen Anwalt oder einen Prozess und es gilt keine Unschuldsvermutung bis zum Gegenbeweis. Vielmehr reicht ein Verdacht, der Verdacht der US-Armee. Und das Urteil ist immer die sofortige Todesstrafe. Der Tod von anderen Menschen, die zufällig in der Nähe des Verdächtigen sind, ist die Regel, nicht die Ausnahme. Die NATO führt einen inoffiziellen Krieg in Pakistan mit Erlaubnis der pakistanischen Regierung. Deshalb hassen viele Pakistaner rassistische Videos gegen Muslime und verbrennen die US-Fahne. Denn es ist auch dieser Rassismus, durch den in Pakistan jeden Tag Menschen ermordet werden.
Zur Person:
Hans Krause ist Mitglied der LINKEN in Stuttgart.
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