US-Präsident Barack Obama hat sich an die muslimische Welt gewandt und eine "neue Partnerschaft in gegenseitigem Respekt" in Aussicht gestellt. Der Bestsellerautor Alaa al-Aswani aus Ägypten erklärt, warum Obama kaum gehört wurde.
Präsident Obama versucht offensichtlich, in der muslimischen Welt Gehör zu finden. Ich habe mir seine Antrittsrede im Fernsehen angeschaut. Besonders war ich beeindruckt von seiner Aussage: „Wir sind eine Nation von Christen und Muslimen, Juden und Hindus und Nichtgläubigen." Sein erstes Fernsehinterview im Weißen Haus hatte er mit dem arabischen Sender al-Arabia. Aber haben die Menschen in den Straßen Kairos sein Bemühen zur Kenntnis genommen?
Wir würden denken, ja. Mr Obama hatte eine große Anhängerschaft in der ägyptischen Bevölkerung – größer als die jedes anderen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, an den ich mich erinnern kann. Die Ägypter, denen ich in den Vereinigten Staaten begegnete, sagten mir ausnahmslos, dass sie Obama unterstützen würden. Viele meiner ägyptischen Bekannten besuchten seine Internetseite und ließen sich als Unterstützer seiner Kampagne eintragen. Die Kairoer Zeit ist sieben Stunden vor der Washingtoner, und manche meiner Bekannten blieben fast die ganze Nacht auf, um die Verkündung der Wahlergebnisse nicht zu verpassen. Zeitungen berichteten, dass die Nubier – Einwohner aus dem Süden, deren schwarze Haut in Kairo heraussticht – Siegestänze aufführten, als Obamas Wahlsieg feststand. Unsere Bewunderung für Obama gründet in den Werten, die er vertritt. Er ist das Produkt eines gerechten, demokratischen Systems, das Chancengleichheit bei Bildung und Arbeit hochhält. Nach Jahrhunderten der Rassendiskriminierung eröffnete dieses System einem Schwarzen den Weg ins Präsidentenamt.
Genau diese Fairness vermissen wir in Ägypten. Deshalb fanden wir die Bilder von der Begegnung des zukünftigen Präsidenten mit seinen Vorgängern im Weißen Haus so rührend. Hier in Ägypten kennen wir keine Vorgänger oder Nachfolger, nur das gegenwärtige Staatsoberhaupt, das durch Wahlfälschung die Macht ergriff und sie seitdem mit Gewalt behält und wahrscheinlich bis zum Ende seiner Tage dort bleiben wird. Ägypten kennt kein faires System von Aufstieg aufgrund von Eignung. Junge Menschen bekommen oft nur durch Beziehungen einen guten Job. Minister werden nicht gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. Es ist daher verständlich, wenn dieses ungerechte System junge Menschen in die Frustration oder den religiösen Extremismus treibt. Andere tun alles, um dem Land zu entfliehen – in der Hoffnung, anderswo Gerechtigkeit zu erfahren.
Für uns war Obama ein Symbol für diese Gerechtigkeit. Wir begrüßten ihn mit fast grenzenloser Begeisterung. Bis zu seiner ersten wirklichen Prüfung: Gaza. Wir erwarteten, dass er noch vor seinem Amtsantritt Stellung gegen Israels Krieg gegen Gaza beziehen würde. Und wir hoffen immer noch, dass er dieses Massaker, sei es auch nur mit einfachen Worten, verurteilen wird, das mehr als 1.300 Palästinensern, überwiegend Zivilisten, das Leben kostete. (Ich weiß nicht, wie so etwas in anderen Sprachen heißt, aber wir in Ägypten nennen das Massaker.) Wir erwarteten von ihm, dass er was zu den Berichten über den gesetzeswidrigen Einsatz von weißem Phosphor gegen die Menschen von Gaza durch das israelische Militär sagt. Wir erwarteten auch, dass Obama, der Recht und Politikwissenschaft an den renommiertesten amerikanischen Universitäten studiert hat, eine in unseren Augen einfache, grundlegende Wahrheit anerkennt: Das Recht des Volkes eines besetzten Landes, sich gegen militärische Besatzung zur Wehr zu setzen.
Aber Obama hat nichts gesagt. Seine brillant formulierte Antrittsrede machte keinen großen Eindruck auf die Ägypter. Wir begann schon abzuschalten. Wir erkannten allmählich, wie weit entfernt das tatsächlich Erreichbare von den großen, von Obama verkörperten Werten in dem Land liegt, in dem Unterstützung für Israel anscheinend die Menschenrechte und das internationale Recht außer Kraft setzt. Mr Obamas Interview mit al-Arabia am 27. Januar wurde von den westlichen Medien als Friedensangebot an die muslimische Welt dargestellt. Die meisten meiner ägyptischen Freunde kannten zwar das Interview, waren aber wegen Obamas Schweigen so frustriert, dass sie darauf verzichteten, es sich im Fernsehen anzuschauen. Auch ich habe den Fernsehapparat nicht eingeschaltet, aber im Nachhinein die Mitschrift gelesen. Auch diesmal elegante Formulierungen, aber kein Wort der Kritik an Amerikas Unterstützung für Israel und seine Bündnisse mit arabischen Diktatoren im Namen des Pragmatismus.
Ich habe dann meine beiden Töchter im Teenageralter, May und Nada, gebeten, mich durch die Welt der ägyptischen Blogs zu begleiten, in denen sich junge ägyptische Männer und Frauen relativ frei äußern können. Dort fand ich glühende Begeisterung für Obama, viele Vergleiche zwischen dem demokratischen System in den USA und der Zwangsherrschaft in Ägypten, Hoffnung auf eine gerechtere US-amerikanische Nahostpolitik, gemischt mit großer Enttäuschung angesichts Obamas Versagen, etwas für Gaza zu tun. Ich kam daher zu dem Schluss, dass Obama noch so viele Botschafter, Reden oder
Interviews aufbieten kann, er wird die Herzen und Köpfe der Ägypter niemals gewinnen, solange er die Ungerechtigkeit in Nahost nicht zur Sprache bringt.
Ich vermute, das gilt für einen Großteil der muslimischen Welt. Haben sich die Ägypter endgültig von Obama abgewendet? Nein. Die Ägypter glauben nach wie vor, dieser einmalige Präsident könne zu großen Taten fähig sein. Aber die Bewunderung junger Ägypter wird durch ihre Frustration über die US-amerikanischen Außenpolitik aufgewogen. Das vielleicht beredsamste Zeugnis für diese Einstellung war der Beitrag eines ägyptischen Bloggers: „Ich liebe Amerika. Es ist das Land der Träume … aber ich frage mich, ob mir jemals gestattet wird, ihm meine Liebe zu erklären."
Zum Text:
Aus dem Englischen von David Paenson. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Über den Autor:
Alaa al-Aswani ist Zahnarzt und ein bekannter ägyptischer Schriftsteller. Im Jahre 2002 veröffentlichte er den Roman "Imarat Ya‘qubian" ("Der Jakubijân-Bau"), der schnell zum Bestseller in der arabischen Welt wurde. Im Jahre 2005 wurde der Roman verfilmt. Es war die bisher teuerste ägyptische Filmproduktion.
- Der Zahnarzt und die Geschichte, die Ägypten erschütterte: Interview mit Alaa al-Aswani über sein Buch "Der Jakubijan-Bau"