Zwischen dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg, der Krise des Kapitalismus und neoliberaler Politik besteht ein enger Zusammenhang. Von Rosemarie Nünning und Thomas Walter
Die Tragödie auf der Loveparade in Duisburg zeigt einmal mehr, dass in dieser Gesellschaft Profite vor Menschen stehen. Schon in Köln beim Einsturz des Stadtarchivs mussten zwei Menschen sterben, weil beim U-Bahnbau gespart worden war. Dort waren beim Bau erhebliche Unregelmäßigkeiten, u. a. unzureichende Kontrolle der Grundwasserförderung (es wurde weitaus mehr Grundwasser abgepumpt als genehmigt), Errichtung 19 illegaler Brunnen in der Baugrube zur Grundwasserkontrolle, gefälschte Messprotokolle, umfangreiche Diebstähle von Armierungseisen für die Schlitzwände und eine offenbar unzureichende Bauaufsicht durch den Bauherrn KVB ans Licht gekommen.
Ein anderes Beispiel: Auf der Bohrinsel im Golf von Mexiko starben elf Menschen bei einer Explosion. Zur Abdichtung des Bohrlochs war trotz Warnungen von Fachleuten absichtlich eine kostengünstige Methode mit größerem Risiko von Gasaustritt gewählt worden, weil der BP-Konzern bei den Kosten sparte.
Keiner will es gewesen sein
In Duisburg mussten jetzt einundzwanzig Menschen sterben, über 500 sind verletzt, tausende traumatisiert, weil sie einen Tag lang bei Musik feiern wollten.
Angeblich haftet in einer Marktwirtschaft jeder für seine Geschäfte. Doch wie bei der Finanzkrise: Die Risiken sind »verteilt«, keiner will es gewesen sein.
Fit für Profit: Der Veranstalter
Der Veranstalter der Loveparade Rainer Schaller ist Eigentümer der Fitness-Studios McFit. Im vergangenen Jahr hat er mit seiner Kette über 130 Millionen Euro Umsatz gemacht. Er kaufte die Markenrechte an der Loveparade, richtete die erste 2006 in Berlin aus und nutzt sie seitdem als Marketinginstrument für seine Studios. Loveparade-Gründer DJ Dr. Motte nannte Schaller »Marketing-Heuschrecke«.
Schallers Loveparade-Unternehmen Lopavent weigerte sich aus Kostengründen, ausreichend Fluchtwege zur Verfügung zu stellen. Versichert hat Lopavent die Veranstaltung mit 7,5 Millionen Euro, nicht mehr als eine Autounfallversicherung. Schaller streitet seine Verantwortung ab.
Duisburgs Bürgermeister ignorierte Warnungen
Der Bürgermeister von Duisburg Adolf Sauerland wollte die Loveparade um jeden Preis. Wegen »eklatanter Sicherheitsmängel« hatte der damalige Polizeipräsident Rolf Cebin schon 2009 vor dem Gelände gewarnt, ebenso die Polizeigewerkschaft und später die Feuerwehr und der Leiter des Baudezernats.
Sauerland setzte sich über die Sicherheitsrisiken hinweg. Nach Angaben der Polizeigewerkschaft wurden Mitarbeiter unter Druck gesetzt, nicht zu pingelig mit den Sicherheitsauflagen zu sein, da dies den Veranstalter abschrecken könnte.
Wie meinte der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl richtig: Der Duisburger Oberbürgermeister hätte das »Begehren eines Kaufmannes, mit einer Veranstaltung mit möglichst wenig Auflagen viel Geld zu verdienen, bewerten« müssen. Diese Bewertung fand offensichtlich nicht statt.
Arbeitslosigkeit und Kürzungspolitik
Neben seinem persönlichen Ehrgeiz stand Sauerland auch wirtschaftlich unter Druck. Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus macht sich schon seit längerem gerade auch in Duisburg bemerkbar. Hier musste die Arbeiterbewegung im aufkommenden Neoliberalismus eine ihrer größeren Niederlagen hinnehmen. 1987 und 1988 wurde in großen und monatelangen Arbeitskämpfen mit bundesweiten Solidaritätsaktionen dagegen gekämpft, dass das Kruppstahlwerks in Duisburg-Rheinhausen wegrationalisiert wurde, am Ende erfolglos. Von 70.000 Stahlarbeitern gibt es heute nur noch etwa 16.000. 14 Prozent der Menschen in Duisburg sind arbeitslos.
Dazu ist Duisburg wie andere Kommunen von der Kürzungspolitik der Bundesregierung getroffen. Mit großen Kulturevents wie der Loveparade sollte deshalb das Image der »Kulturhauptstadt 2010« aufpoliert werden. Rund 640.000 Euro zahlte die Stadt dafür an private Unternehmer.
Zurücktreten will der Oberbürgermeister nicht. Es wird darüber spekuliert, dass dies auch daran liegt, weil er – so der nordrheinwestfälische Steuerzahlerbund – sonst seine ganzen Beamtenpensionen verliert.
Behörde befreite Veranstalter von Sichertsvorschriften
Der Ordnungsdezernet Wolfgang Rabe drückte die Parade durch. Die untere Bauaufsicht Duisburgs befreite den Veranstalter von wichtigen Sicherheitsvorschriften. Auf verpflichtende Feuerwehrpläne verzichtete sie in der Genehmigung, die wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung erteilt wurde.
Höchstens 250.000 Personen sollten auf das Gelände, aber schon mittags wurden über eine Million Teilnehmer bejubelt. Bei der Schuldfrage spielt dabei auch die erwartete Teilnehmerzahl eine Rolle. So musste vor diesem Hintergrund veröffentlicht werden, dass seit Jahren weit übertriebene Teilnehmerzahlen genannt wurden. Dieses peinliche Eingeständnis soll jetzt wohl dazu dienen, dass die Veranstalter zu Recht von viel niedrigeren Zahlen ausgehen durften, als sie selbst aus Werbegründen angegeben hatten.
So kam es, dass ein Bahntunnel der einzige Zugang zu dem Festivalgelände, dem alten Güterbahnhof zwischen Bahntrasse und Autobahn, war – eine gefährliche Falle. In Online-Kommentaren wurde Tage vorher schon gewarnt: »Die wollen ernsthaft den Zugang über 'nen einspurigen TUNNEL leiten? Ich fass es nicht!!!! Ich seh schon Tote, wenn nach der Abschlusskundgebung alle auf einmal über diese mickrige Straße das Gelände verlassen wollen.«
Hilfloser Vorschlag
Hannelore Kraft, die neue sozialdemokratische Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, war begeistert von der Idee, die Loveparade ins Ruhrgebiet zu holen. Jetzt drängt sie darauf, dass künftig das Innenministerium die Aufsicht über Mega-Events übernimmt.
Das ist eine ziemlich hilflose und unsinnige Antwort angesichts der Tatsache, dass fast alle an der Organisation der Loveparade Beteiligten seit über einem Jahr sehenden Auges die Gefahren der Veranstaltung in Kauf genommen haben.
Große Feste werden erst dann sicher für ihre Teilnehmer sein, wenn sie von der Profitlogik abgekoppelt und von unten organisiert werden.
Zu den Autoren:
Rosemarie Nünning und Thomas Walter sind aktiv bei DIE LINKE.Berlin-Neukölln
Mehr auf marx21.de:
- Love Parade-Katastrophe – »Politische Konsequenzen unausweichlich«: marx21 dokumentiert die gemeinsame Erklärung von Kreisverbandsvorstand und Ratsfraktion DIE LINKE Duisburg vom 27. Juli 2010.