marx21.de dokumentiert einen offenen Brief, in dem Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus verschiedenen Branchen und Einzelgewerkschaften ihre Vorstände zu einer offensiveren Auseinandersetzung mit der Weltwirtschaftskrise und ihren Folgen auffordern:
Offener Brief an den Bundesvorstand des DGB und die Bundesvorstände der DGB-Gewerkschaften
Stuttgart, 1. März 2009
Gewerkschaftliche Mobilisierung in der Krise
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
spätestens seit September 2008 ist klar, dass wir es mit einer Wirtschaftskrise zu tun haben, die in ihren Dimensionen nur noch mit der Weltwirtschaftskrise in den Folgejahren von 1929 vergleichbar ist. Damit steht eine Verteilungsauseinandersetzung ins Haus, wie sie unsere GewerkschafterInnengeneration noch nicht erlebt hat.
Schon jetzt haben 100 000 befristet Beschäftigte und ZeitarbeiterInnen ihre Arbeit verloren. Die Prognosen für Wachstum, Unternehmensumsätze und Erwerbslosigkeit verdüstern sich fast im Wochenrhythmus. Vielleicht zeitversetzt zu den USA, spätestens aber nach der Bundestagswahl werden wir mit Firmenzusammenbrüchen, massivem Druck auf die Lohn- und Sozialstandards und mit neuer Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Man muss nicht die Analogie zu 1929 bemühen, um zu erkennen: auch für die Gewerkschaften selbst und die Demokratie erwachsen aus dieser Krise erhebliche Risiken.
Angesichts all dessen sind wir beunruhigt und enttäuscht, dass die Gewerkschaften in den Debatten und Auseinandersetzungen fast nicht wahrnehmbar sind. Immerhin geht es um Kopf und Kragen der Lohnabhängigen und sozial Schwachen.
In dieser Situation ist Abwarten keine Option! Hoffnungen, durch Gespräche und Beteiligungen am allgemeinen Krisenmanagement ließe sich das Schlimmste abwenden, werden trügen, wie sie schon 1929 getrogen haben. Auf wen die Lasten der Krise in den nächsten Monaten und Jahren, wenn es um den Abbau der gigantischen Staatsverschuldung geht, abgewälzt werden, ist eine gesellschaftliche Machtfrage, die danach entschieden wird, was wir auf die Beines stellen, zu welcher Mobilisierung auf Straßen und Plätzen und in den Betrieben wir in der Lage sind.
Dass Ihr Euch in dieser Situation bisher nicht dazu durchringen konntet, zu dem ersten großen weltweiten Aktionstag am 28. März im Vorfeld des G 20 Gipfels in London aufzurufen, ist uns nicht nachvollziehbar.
Keiner kann garantieren, dass wir Hunderttausende sein werden in Frankfurt/M und Berlin. Und richtig ist auch, dass wir es bis jetzt erst mit den Vorboten der Krise zu tun haben. Aber jeder, der in Kontakt mit unsren KollegInnen steht, weiß, wie groß Verunsicherung, Angst und Wut sind. Jetzt ist es Zeit der so oft reklamierten Führungsverantwortung gerecht zu werden. Gewerkschaftliche Organisationen wurden geschaffen, um Ressourcen, Rücklagen und Strategien über den Tag hinaus aufzubauen bzw. zu entwickeln, um damit auch in politischen und ökonomischen Krisenzeiten gewappnet zu sein.
- Wir appellieren daher an Euch, eine breite, offene und selbstkritische Diskussion über gewerkschaftliche Strategien in der Zukunft zu forcieren. Ansätze dazu gibt es ja bereits.
- Wir appellieren weiter: lasst uns eine Strategie der globalen Solidarität entwickeln! In der Krise würde ein Rückfall in nationalen Standortkorporatismus nur zu einem beschleunigten Dumpingwettbewerb führen, deren Verlierer die ArbeitnehmerInnen in anderen Ländern und letztlich auch wir selbst wären.
- Wir appellieren an Euch, offensiv und engagiert in breiten gesellschaftlichen Bündnissen gegen die Krise zu mobilisieren.
- Wir appellieren an Euch, den Aufruf zum weltweiten Aktionstag gegen die Folgen der Krise am 28. März (auch als Auftakt zur EGB-Demo am 16.Mai) mit dem ganzen Gewicht der gewerkschaftlichen Organisation zu unterstützen: „Wir zahlen nicht für Eure Krisen!"
Mit freundlichen Grüßen,
ErstunterzeichnerInnen:
Wolfgang Alles, IGM, Betriebsrat Alstom Power Mannheim
Martina Batel, Betriebsrätin Cellesche Zeitung, Celle
Werner Beiser, Vorsitzender des Personalrats Universität Freiburg
Dr. Thomas Böhm, Vorsitzender des Personalrats Klinikum Stuttgart
Dr. Michael Braedt, Personalrat Niedersächsisches Umweltministerium Hannover
Jürgen Brink, Mitglied im geschäftsführenden ver.di- Landesbezirksfachgruppenvorstand Medien, Osnabrück
Rainer Butenschoen, Vorsitzender Betriebsrat Verlagsgesellschaft Madsack, Hannover
Hasan Cakir, IG Metall, BR-Vors. Salzgitter Flachstahl
Ali Cicek, Betriebsrat Ford-Werke Köln
DGB Tübingen, SprecherInnen, c/o Tobias Kaphegyi
Bernd Egner, KBR-Vorsitzender Freudenberg/Whm, Beiratsmitglied im Hauptvorstand der IG BCE
Gunter Fellmann, Personalratsvorsitzender Uni Hohenheim
Manuela Freuk, stellv. Vorsitzende Betriebsrat ZGO Zeitungsgruppe Ostfriesland, Leer
Reinhold Fertig (GEW), Kreisvorstand DGB Odenwaldkreis
Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender VW Braunschweig
Siegfried Heim, Vorsitzender des Betriebsrats Südwestpresse, Ulm
Jürgen Holz, Gewerkschaftssekretär, verdi Bundesverwaltung
Gerhild Hustädt, freie Journalistin, Bremen
IG Metall Berlin, Arbeitskreis Internationalismus
Anton Kobel, Gewerkschaftssekretär (verdi/HBV) i.R. (Schlecker-Kampagne)
Amadore Kobus, Leiterin ver.di-Landesfachbereich Medien in Niedersachsen und Bremen
Wilhelm Koppelmann, Osnabrück, Mitglied Große Tarifkommission ÖD
Hans Kroha, ver.di Frankfurt/M. und Region
Stefan Krull, (ehem.) BR VW-Wolfsburg und Ortsvorstand der IG Metall
Marianne Kugler-Wendt, Geschäftsführerin ver.di Heilbronn-Neckar-Franken
Peter Krug, Vorsitzender Betriebsrat Bremer Tageszeitungen AG
Heinz Josef Lange, Betriebsrat Firma Löseke, Hildesheim
Rodoula Matziari, Vorsitzende FG Hochschule und Forschung GEW Duisburg
Gisela Münchow, Erwerbslose, Hannover
Horst Nicoley, Gewerkschaftssekretär ver.di, Bremen
Rudi Rainer, EBR-Vorsitzender Phoenix Pharmagroßhandel
Wolfgang Rohm, ver.di- Vertrauensleutesprecher Uni Freiburg
Ludwig Rottgen, Betriebsrat, Dresdner Bank, Bonn
Ewa Rücker, freie Journalistin, Hannover
Dr. Werner Rügemer, politischer Publizist und Berater, Köln
Eberhard Schick, Johannes Reich, Ralf Kronig, DGB Betriebsgruppe SAP, Mannheim
Tanja Scheil, Vorsitzende Bezirksfachbereich Medien Weser-Ems, Betriebsrätin, Nortrup
Marion Schmedes, Vorsitzende Betriebsrat Osterholzer Zeitungsverlags GmbH
Helmut Schmitt, IG BCE, Vorsitzender OG Weinheim, stv. BR-Vorsitzender nora systems GmbH
Jörg Siebenhaar, Betriebsrat Robert Bosch Werke, Salzgitter
Heinz A. Siefritz, Gewerkschaftssekretär a.D., Langenargen
Volker Stehr, Vorsitzender Betriebsrat Braunschweiger Zeitung/Druckzentrum
Uwe Theilen, Vorsitzender des Gesamtpersonalrats Stadt Stuttgart
verdi-campus, Hochschulgruppe Uni Essen-Duisburg
Hanne Walz, Mitglied Gewerkschaftsrat ver.di
Herbert Wilzek, GPR-Vorsitzender Südwürttembergische Zentren für Psychiatrie
Prof. Dr. Bodo Zeuner, Berlin, GEW
Jochen Zimmer, DGB-Vorstand, Niederrhein
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