Der schwedische Autor Henning Mankell berichtete beim Auftakt seiner Lesereise in Berlin von seinen Erlebissen beim israelischen Angriff auf den Free-Gaza-Konvoi. Auf einer Pressekonferenz stellte er sich den Fragen der Journalisten. Manche griffen ihn als naiv oder nützlichen Idioten an. Aus Sicht der marx21-Redaktion ein gründliches Missverständnis der Aufgabe von Journalisten. Unsere kritischen Fragen richten sich vor allem auf herrschende Machtstrukturen. Deshalb, und um die Aussage Mankells vollständig zu dokumentieren, haben wir uns entschlossen, die vollständige Pressekonferenz zu transkribieren, zu übersetzen und zu veröffentlichen.
Ich bin nicht verpflichtet, diese Stellungnahme abzugeben. Aber wie der Zufall es will, bin ich heute in Berlin und ich wollte, wenn möglich, einige Journalisten treffen. Denn ich hatte schon gesehen, dass viel veröffentlicht worden war, was aber vielleicht nicht ganz richtig ist. Ich habe etwas, dass sie nicht haben: Ich war dort.
Ich war an Bord eines der Schiffe, die mitten in der Nacht angegriffen wurden. Ich habe es gesehen. Ich habe es gehört. Ich habe es miterlebt. Ich habe nicht alles gesehen. Es gibt vieles, worüber ich nicht reden kann, weil ich es nicht gesehen habe. Aber von den Dingen, die ich gesehen, gehört und erlebt habe, kann ich Zeugnis ablegen.
Und ich kann ihnen eins versprechen: Ich werde ihnen nichts erzählen, was nicht wahr ist. Ich beteilige mich seit fast 40 Jahren an der politischen Diskussion in Schweden und der Welt. Ich habe mein Herz niemals an irgendeine Lüge gehängt. Ich glaube nicht, dass die Lüge ein Mittel der Demokratie ist. Deswegen ziehe ich es vor, zu sagen: Ich weiß es nicht, ich kann das nicht beantworten oder ich habe nicht die leiseste Ahnung, bevor ich ihnen eine halbwahre Antwort gebe. Das werde ich nicht tun. Wir haben nicht mehr als eine Stunde, weil ich heute Abend noch etwas vorhabe. Und ich möchte noch etwas essen. Aber ich erzähle ihnen kurz, was am Montagmorgen im Mittelmeer geschah.
Wie sie alle wissen, ist die Idee des Konvois aus dem Krieg gegen Gaza heraus entstanden, der die Palästinenser im Gazastreifen hinter der Blockade wie hinter einer Mauer völlig isolierte. Vor ungefähr einem Jahr entstand der Wunsch, diese Blockade gegen die Palästinenser in einem Akt der Solidarität und der humanitären Hilfe zu brechen, um deutlich zu machen, dass sie unrechtmäßig und unmenschlich ist. Das konnte nur auf dem Seeweg gelingen. Deswegen nannten wir die Kampagne »Ein Schiff nach Gaza«.
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Ich war an Bord eines Schiffes namens »Sophia«. Es war ein Frachtschiff, ein kleines Fahrzeug. Ich war nicht auf dem größeren Passagierschiff, deswegen kann ich nicht bezeugen, was dort passiert ist. Aber von der kleinen »Sophia« aus sahen wir, was dort in etwa einem Kilometer Entfernung geschah. Ich war auf der »Sophia«, weil sie sozusagen ein schwedisches Schiff war. Es ist mit schwedischem Geld finanziert worden. Viele haben kleine Summen gespendet, um das möglich zu machen. Es hatte Zement, Baumaterial und Fertighäuser geladen.
Wir waren etwa 25 Personen an Bord. Die Besatzung bestand aus Griechen, außerdem aus mir, einem schwedischen Arzt, einem schwedischen Abgeordneten der Grünen und anderen. Wir befanden uns in internationalen Gewässern und waren auf dem Weg, die Blockade zu brechen. Wir gingen aber davon aus, dass wir noch etwa zwei Stunden weiterfahren mussten, bevor wir uns den von Israel beanspruchten Gewässern nähern würden.
Um 4 Uhr morgens wurde ich von jemandem geweckt, der mir mitteilte, dass die »Mavi Marmara« angegriffen wurde. Wir konnten die Scheinwerfer von Hubschraubern sehen und Gewehrfeuer hören. Wir konnten aber nicht herausfinden, was genau geschah, weil die Kommunikation lahmgelegt war. Wir konnten unsere Telefone nicht benutzen und uns auch sonst nicht verständigen. Das hatte das israelische Militär besorgt. Erst zwei Tage später, als ich an Bord des Lufthansa-Flugzeugs ging, erfuhr ich, dass zehn Menschen getötet worden waren. Das wusste ich vorher nicht.
Wir stellten also fest, dass das israelische Militär sich entschieden hatte, den Konvoi in internationalen Gewässern zu attackieren. Um 4.35 Uhr griffen sie dann unser Frachtschiff an. Wir hatten uns entschieden, keinerlei Widerstand zu leisten. Wir standen auf der Brücke. Dann enterten die Kommandosoldaten das Schiff. Sie trugen Maschinenpistolen und waren alle maskiert. Ich weiß nicht, wie viele es waren, aber es waren auch Frauen darunter. Sie kamen hoch auf die Brücke, waren sehr aggressiv und riefen: »Ihr müsst hier runter!«
Wir hatten auch ältere Leute unter uns, die vielleicht nicht so schnell zu Fuß waren. Einem von ihnen wurde mit einem Elektroschocker in den Arm geschossen und er ging vor Schmerzen zu Boden. Ein anderer Mann wurde von einem Gummigeschoss getroffen und ging ebenfalls zu Boden. Dann wurden wir nach unten an Deck gebracht und mussten uns zusammen hinsetzen. Die Soldaten durchsuchten das Schiff.
Nach einer gewissen Zeit – ich kann nicht sagen, wie viel – kamen sie zurück und einer sagte auf Englisch: »Wir haben Waffen an Bord gefunden!« Wir fragten: »Was für Waffen? Es gibt keine Waffen an Bord dieses Schiffes.« Dann zeigte er uns einen Nassrasierer. Meinen Rasierer. Dann zeigte er ein kleines Kartonmesser aus der Küche, das dem ägyptischen Koch dazu diente, Vorratskartons zu öffnen. »Ihr werdet jetzt hier sitzen bleiben und wir bringen das Schiff nach Israel.«
Das geschah in internationalen Gewässern und das heißt, dass die Soldaten wie Piraten gehandelt haben. Das war ein Akt der Seepiraterie. Und in dem Moment, als sie das Schiff übernahmen, wurden wir nach internationalem Recht praktisch entführt. Wir saßen elf Stunden lang am selben Ort. Ohne Verpflegung, wir hatten nur Wasser und trockenes Brot in der Sonne. Dann wurden wir irgendwo hingebracht, ich weiß immer noch nicht, wie der Hafen heißt.
Als wir an Land gebracht wurden, geschah etwas, das ich nie vergessen werde. Wir wurden einer nach dem anderen in einem wahren Spießrutenlauf in das vorgesehene Gefängnis geführt. Zu beiden Seiten standen Soldaten. Überall waren Kameras, aber nur vom Militär, soweit ich sehen konnte. Alles illegal. Das habe ich gesehen, das ist mit mir geschehen.
Außerdem kann ich bezeugen, dass die Soldaten sich niemals ausgewiesen haben. Sie haben uns die ganze Zeit gefilmt, obwohl die Genfer Konvention vorschreibt, dass Zivilisten nicht so behandelt werden dürfen. Und ich kann bezeugen, dass sie alles gestohlen haben, was ich hatte. Sie haben meine Kamera gestohlen, mein Telefon, mein Geld, meine Kreditkarte, meine Kleidung, alles. Und sie haben auch die Computer und Telefone der anderen gestohlen.
Ein Polizist sprach mich an – jedenfalls nehme ich an, dass er einer war, er trug Zivilkleidung: »Entweder schieben wir sie ab oder sie kommen ins Gefängnis.« Ich fragte: »Wessen werde ich denn beschuldigt?« Er sagte: »Sie sind illegal nach Israel eingereist.« Ich antwortete: »Wovon reden sie? Ich wurde entführt und gezwungen, herzukommen.« Danach weigerte er sich, weiter mit mir zu reden.
Ich wurde in ein Abschiebegefängnis gebracht. Wir waren zu acht in einem sehr kleinen Raum. Wir bekamen etwas zu essen und etwas Wasser. Wir wurden nicht geschlagen. Wir warteten darauf, Kontakt zu unserer Botschaft aufnehmen zu können. Ich war mit dem schwedischen Abgeordneten zusammen, dem es schließlich gelang, Kontakt zur Botschaft herzustellen.
Wir blieben eine Nacht in dem Gefängnis und wurden am nächsten Tag zum Lufthansa-Flug gebracht. Ich bin ohne Socken an Bord gegangen, weil sie auch meine Socken gestohlen hatten. Eine sehr interessante Situation, muss ich zugeben. In der Business Class war aber eine sehr nette Dame, die mir ein Paar Socken gab. Wenigstens konnte ich Israel mit Socken an den Füßen verlassen.
Was ich ihnen jetzt erzählt habe, ist die Wahrheit. Das ist mit mir geschehen. Ich bin Zeuge. Wir wurden in internationalen Gewässern angegriffen. Wir wurden entführt, nach Israel gebracht und abgeschoben.
Wenn diese Leute uns wirklich aufhalten hätten wollen, hätten sie es dort tun sollen, wo die Territorialgewässer von Israel und Palästina beginnen. Und sie hätten es sehr leicht tun können, indem sie Ruder und Propeller des Schiffes beschädigen. Dann hätten wir nichts tun können und sie hätten uns hinschleppen können, wo sie wollen. Aber sie zogen es vor, Kommandotruppen zu schicken, um uns anzugreifen. Das war die Entscheidung Israels.
Ich kann Ihnen nicht erklären, was auf dem Schiff passiert ist, auf dem die zehn Menschen starben. Aber ich kann Ihnen sagen, dass die zehn Toten keine Israelis sind. Sie sind Menschen, die mit Gütern für die Palästinenser in Gaza kamen. Jetzt nehme ich gerne ihre Fragen entgegen.