Frage: Wie interpretieren sie die Tatsache, dass der Angriff genau einen Tag stattfand, bevor Netanjahu Obama im Weißen Haus treffen sollte? Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Geschehnissen? Das Ziel der Aktion war, die Blockade von Gaza zu beenden. Aber es wird sich nichts ändern. Abgesehen von dem Propagandaeffekt werden die Dinge bleiben, wie sie sind. Meinen sie nicht?
Zur ersten Frage: Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Woher soll ich das wissen? Aber ich habe noch nie in meinem Leben eine so starke und harte Kritik an Israel erlebt wie heute. Jeder sagt, dass die Blockade von Gaza beendet werden muss. Löst das Problem. Fangt an, zu verhandeln. In diesem Sinn glaube ich, dass wir sehr nahe daran sind, dass Israel zu einer Beendigung der Blockade gezwungen wird. Wir werden sehen. Sie ist noch nicht beendet, aber wir haben noch nie so eine Reaktion in der Welt erlebt. Und das ist wenigstens ein kleiner Schritt vorwärts.
Frage: Was haben Sie erwartet, was passieren würde? Kam die Gewalt überraschend für sie?
Ich sagte schon, dass ich nicht naiv bin und kein nützlicher Idiot. Was bin ich also? Ich denke, ich bin ein Realist. Ich erwartete, dass die Israelis die Marine benutzen würden, um den Konvoi zu stoppen. Ich dachte, sie würden das dort tun, wo sie das Recht dazu haben. Und ich dachte, sie seien schlau genug, keine Gewalt gegen Menschen einzusetzen, sondern gegen die Schiffe. Sie hätten sehr leicht auf das Ruder oder den Propeller zielen können und die Schiffe wären nicht mehr in der Lage gewesen, weiterzufahren. Dann hätten sie die Schiffe wegschleppen können und fertig. Das wäre passiert, wenn sie etwas schlauer gewesen wären. Jedenfalls hätte ich das getan, wenn ich Marineoffizier in Israel wäre. Aber einen friedlichen Konvoi anzugreifen, so auszurasten und so tief zu sinken, Mord zu begehen… Jedenfalls denke ich, dass es das ist, was sie auf diesem Schiff getan haben. Wir werden das noch herausfinden. Ich verstehe nicht, warum sie so große Gewalt angewendet haben und in dieser Weise. Das war das Dümmste, was sie tun konnten. Ich denke, in der israelischen Regierung wird jetzt hart darüber diskutiert, warum sie sich so entscheiden haben. Wir werden das in den nächsten Tagen herausfinden. Ich verstehe nicht, warum sie sich so entscheiden haben und hatte etwas anderes erwartet: Gewalt ja, aber gegen die Schiffe, nicht gegen die Menschen.
Frage: Wissen sie als Intellektueller von Solidarität israelischer Intellektueller? Was für Unterstützung haben sie nach dem Angriff erfahren?
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich erst vor einem Monat in Israel und Palästina war. Ich bin zu einem palästinensischen Literaturfestival gereist und habe Hebron und Ramallah besucht. Ich kann ihnen versichern, dass ich jedes Mal, wenn ich nach Israel komme, mehr und mehr Aktivisten treffe, die mir erzählen, dass die Lage schrecklich sei und es so nicht weitergehen könne. Sie versuchen, Solidarität aufzubauen, um eine Lösung zu finden. Ich nehme an, dass es täglich mehr werden, weil immer mehr Menschen einsehen, dass die Lage unerträglich ist. Ich habe mit all meinen jüdischen Freunden in Europa diskutiert, die sich große Sorgen darüber machen, was geschieht.
Ich erzähle Ihnen eine Anekdote, die fast komisch wäre, aber in diesem Zusammenhang gibt es nichts Komisches. Als ich von Bord gebracht wurde und von diesem Polizisten oder aus auch immer befragt wurde, mit dem Mann vom Außenministerium an meiner Seite, da fragte ich ihn: „Wessen werde ich beschuldigt?« Und er antwortete: »Sie werden beschuldigt, illegal nach Israel eingereist zu sein.« Ich antwortete, dass das absurd sei. »Sie haben mich hierher gebracht, ich wollte nicht kommen.« Dann wollte er nicht mehr mit mir reden, aber ich bat ihn um eine weitere Diskussion.
Darauf sagte er: »Lassen Sie uns über etwas anderes reden. Ich weiß, wer sie sind. Ich lese ihre Bücher und ich mag sie.« »Das ist schön«, sagte ich. »Sollen wir über meine Bücher reden?« »Nein«, lehnte er ab, »das will ich nicht. Vielleicht, wenn ich mal nach Europa komme.« Darauf sagte ich: »Okay, ich werde ihnen meine Telefonnummer in Schweden geben. Lassen sie uns miteinander über diesen Vorfall reden, wenn sie mich rauslassen und sie das nächste Mal nach Schweden kommen.« »Meinen sie das ernst?« fragte er. »Ja«, antwortete ich. Dann habe ich meine Telefonnummer aufgeschrieben und sie ihm gegeben. Danach wurde ich dann weggebracht, um abgeschoben zu werden. Ich bemühe mich immer um Diskussion, weil ich an die Vernunft des Menschen glaube. Das ist auch der Grund, warum es eine Lösung geben muss. Und das jüdische Volk muss eine wichtige Rolle dabei spielen.
Frage: Wären sie bereit, noch einmal eine Reise nach Gaza zu versuchen? Was für Reaktionen erwarten sie von den israelischen Behörden?
Solange wir diese Regierung haben, wird es mir wohl nicht gestattet werden, nach Israel einzureisen, da bin ich ziemlich sicher. Ich habe oft versucht, auf dem Landweg nach Gaza zu gelangen. Aber die Israelis haben mich nie einreisen lassen. Ich weiß nicht, warum. Natürlich würde ich gerne noch einmal eine Reise nach Gaza versuchen. Und natürlich würde ich auch gerne noch einmal nach Israel fahren. Und es stimmt mich traurig, dass mir das wohl nicht gestattet werden wird. Ich werde die Universitäten von Hebron und Ramallah, wo ich viele Freunde unter den Studenten habe, nicht besuchen können. Sie werden mich nicht reinlassen. Aber das ist vielleicht der Preis, den man bezahlen muss. Ich hoffe jedenfalls, dass ich noch erlebe, dass ich wieder hinfahren kann.
Frage: Was werden ihre nächsten Schritte im Kampf für die Menschen in Gaza sein? Würden sie Intellektuelle in anderen Ländern ermutigen, israelische kulturelle und akademische Institutionen zu boykottieren? Das wird in Norwegen gerade diskutiert. Werden sie ihre Erfahrungen in einem Buch verarbeiten?
Was wird jetzt passieren? Wir wissen es nicht. Keiner weiß das. Aber ich denke, es wird viel passieren. Ich denke, die Geschehnisse haben vielen Menschen die Augen geöffnet. Ich denke, dass die Diskussion über einen Boykott wiederkehren wird. Sie wissen so gut wie ich, dass Boykotte nicht immer erfolgreich sind. Wir haben Erfahrungen, wo sie gut geklappt haben und wo sie überhaupt nicht geklappt haben. Aber wir müssen darüber sprechen. Wir müssen dringend eine Lösung für die untragbare Lage im Gazastreifen finden. Wir müssen uns alle daran beteiligen.
Eine Sache macht mir aber etwas Sorgen. Wenn sie sich an das Schiff nach Bosnien vor vielen Jahren erinnern: Damals haben sich viele verschiedene Intellektuelle beteiligt. Und heute wurde mich die Frage gestellt, ob noch andere Schriftsteller an dem Schiff nach Gaza beteiligt waren. Plötzlich musste ich feststellen, dass ich der einzige Schriftsteller an Bord war. Das war erst vor einer Stunde, seitdem denke ich darüber nach, woran das liegt. Wenn sie mich in einer Woche anrufen, habe ich vielleicht eine Antwort auf diese Frage.
Ich denke, wir müssen trotzdem weiter an einer Lösung arbeiten. So ist das eben. Politische Veränderungen sind Prozesse. Man macht nicht eine Aktion und geht dann nach Hause ins Bett. Es muss weitergehen. Ob meine Erfahrungen in einem Buch auftauchen werden, weiß ich nicht. Jetzt trauere ich um die Toten. Und ich bin wütend darüber, wie Menschen zusammengeschlagen wurden.
Frage: Wenigstens ein Journalist sollte ihnen für ihren Mut danken, mit dem sie versucht haben, die Blockade zu brechen. Es ist immer noch ein Schiff unterwegs, um die Blockade zu brechen, die irische »Rachel Corrie«. Denken sie, die Besatzung sollte wegen der Gefahren abbrechen? Die internationale Free-Gaza-Kampagne hat heute angekündigt, im September oder Oktober weitere Schiffe zu schicken. Werden sie an dieser Reise teilnehmen?
Sie haben recht. Es waren sechs Schiffe, die angegriffen wurden, aber es sollten sieben sein. Die »Rachel Corrie« hatte Probleme, sie war zu der Zeit in Malta, glaube ich. Jetzt ist sie unterwegs und ich denke natürlich, dass sie die Reise fortsetzen wird. Ich bin ziemlich sicher, dass die Israelis die Menschen auf diesem Schiff nicht angreifen werden. Was passieren wird, weiß ich auch nicht. Vielleicht machen sie jetzt das, womit ich ursprünglich gerechnet hatte und gehen gegen das Ruder und den Propeller vor.
Die Frage ist auch in einem anderen Zusammenhang interessant. Dieses Mal waren wir mit sechs Schiffen unterwegs. Und die israelische Reaktion haben wir gesehen. Was, wenn wir in einem Jahr mit 100 Schiffen kommen? Was soll Israel tun? Die Bombe werfen? Wäre es nicht eine bessere Idee, die Blockade aufzuheben? Wir werden sehen.
Natürlich bin ich bereit, wieder an Bord zu gehen. Ich habe keine Angst um mich. Wenn sie einen Platz brauchen, kann ich ihnen einen organisieren.
Frage: Möchten sie dem israelischen Volk etwas sagen?
Ich habe in den letzten Tagen viele Telefonanrufe bekommen. Einer hat mich besonders gefreut. Er kam von der israelischen Tageszeitung Haaretz. Sie wollten ein Interview. Können sie sich vorstellen, wie froh ich war, dass sogar die Israelis eine Einschätzung von mir wollten? Ich hoffe, dass ich morgen früh mit ihrem Redakteur sprechen kann.
Das ist eine symbolische Antwort. Natürlich will ich mit den Israelis sprechen und ich würde mir auch gerne anhören, was sie dazu zu sagen haben. Ich sage noch einmal, dass ich an den Dialog glaube. Der Dialog ist das Hauptelement, damit Demokratie überhaupt funktionieren kann. Und er ist das beste Instrument, um den Konflikt zu lösen. Lasst uns lieber damit arbeiten als mit Waffen. Dann kommen wir weiter. Das kann ich ihnen und ihren Freunden sagen. Übrigens Danke, dass sie gekommen sind.
Frage: Sie haben letztes Jahr gesagt, dass die Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina keine Lösung sei. Was soll dann mit dem jüdischen Staat passieren? Sind sie dagegen?
Das ist nicht ganz richtig wiedergegeben. Ich sagte schon, dass die Lösung nicht von außen kommen kann. Wir können aber zwei verschiedene Ansätze erkennen. Entweder die Lösung, die jetzt in der Diskussion ist: zwei Staaten. Oder wir finden einen Weg zu einer südafrikanischen Lösung. Das ist ein anderer Weg. Alle behaupteten, dass Südafrika in einem Bürgerkrieg versinken würde, sobald das Apartheidsystem enden würde. Das ist nicht passiert. Sie haben einen Ausweg gefunden. Ich bin also nicht derjenige, der die Lösung bringt, sondern die Juden und die Palästinenser müssen einen Weg finden, zusammenzuleben. Das hoffe ich. Das ist die richtige Lösung, dass die Menschen einen Weg finden, miteinander auszukommen. Ich sage ihnen noch einmal: Ich bin nicht naiv. Ich bin ein Realist. Ich weiß, dass das sehr schwierig sein wird. Aber ist das nicht das Ziel, dass die Menschen miteinander auskommen? Dann müssen wir uns auch darüber unterhalten, in welcher Form das möglich ist. In einem Staat oder in zweien? Ich bestätige, was ich vor einem Jahr gesagt habe.
Wenn ich etwas müde klinge, liegt das daran, dass ich es bin. Ich werde ihnen nicht vormachen, dass das keine ermüdenden und harten Tage waren. Ich habe viel Gewalt gesehen. Ich habe viel Aggression gesehen. Und ich habe viel Mut gesehen. Ich muss sagen, dass ein Grund für diese Pressekonferenz war, dass ich nach diesen Geschehnissen noch stärker als je zuvor glaube, dass es möglich ist, Solidarität zu zeigen und die Welt zu verbessern. Vielen Dank.
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