Der thailändische Politikwissenschaftler und Sozialist Giles Ji Ungpakorn über den Machtkampf zwischen Regierung und Opposition und die Spaltung der sozialen Bewegungen
In den vergangenen Jahren und erst recht seit dem Putsch vom September 2006 war die thailändische Gesellschaft so hypnotisiert, dass sie die wahren sozialen und politischen Themen vergaß. Stattdessen haben die gesamte Gesellschaft und – was noch tragischer ist – die sozialen Bewegungen wie gebannt auf den Kampf zwischen den beiden Fraktionen der herrschenden Klasse Thailands geblickt.
Korruption und Mord
Auf der einen Seite befindet sich die [aufgelöste, die Redaktion.] Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais) des 2006 gestürzten Regierungschefs Thaksin Schinawatra, die Partei der Volksmacht (PPP) [die PPP gilt als Nachfolgepartei der Thai Rak Thai, die Redaktion] und die Regierung.
Auf der gegnerischen Seite stehen eine lose Sammlung autoritärer Monarchisten einschließlich des Volksbündnisses für Demokratie (PAD), des monarchistischen Militärs, das den Putsch unterstützt hat, die Putschbefürworter aus der Justiz und die Demokratische Partei. Die autoritäten Monarchisten vertreten keine einheitlichen Positionen. Was sie verbindet, ist das Interesse, die Thaksin-Partei zu vernichten.
Jede der beiden Seiten ist das Spiegelbild der anderen. Beide stehen fest an der Seite der thailändischen kapitalistischen Elite. Beide sind nationalistisch und bereit, die Menschenrechte zu missachten. Die Thaksin-Regierung unterstützte in ihrer Amtszeit ebenso wie heute die »Volksmachtregierung« unter Samak von Paramilitärs verübte Morde. Beide stehen gegenüber dem aufständischen Süden für eine harte Linie, die sie auch blutig durchsetzen. Beide Fraktionen sind mit Leuten verbunden, die tief in Korruption verstrickt sind. Es ist allgemein bekannt, dass alle thailändischen Politiker in Korruption verstrickt sind, sei es legal oder illegal. Das gilt auch für das Militär, und die Junta von 2006 war keine Ausnahme. Nach dem Putsch von 2006 hievten sie sich selbst in die Aufsichtsräte von Staatsunternehmen und drückten erhöhte Rüstungsausgaben durch. Dennoch haben sich die Gerichte dafür hergegeben, ausschließlich die Thaksin-Fraktion wegen Korruption und »Machtmissbrauchs« anzuklagen. Als Thaksin noch an der Macht war, beugten sie sich seinen Wünschen.
Es gibt keine Gerechtigkeit in Thailand. Die Justiz ist der Wählerschaft nicht rechenschaftspflichtig und unterstützt immer die Reichen und Mächtigen. Die Arbeitsgerichte urteilen immer gegen die Gewerkschaften. Geschworene oder Beisitzer gibt es im thailändischen Gerichtssystem nicht.
Unterschiede
Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den beiden politischen Flügeln. Während die Thaksin-Fraktion an der Strategie festhält, ihre Macht durch Wahlen zu gewinnen, durch parlamentarische Demokratie und Geldpolitik, bevorzugen die PAD und ihre Freunde den Militärputsch, die Verkleinerung des Parlaments und die Stärkung der nicht gewählten Bürokratien und der Armee. Diese Haltung rechtfertigen sie mit der Behauptung, die arme Mehrheit im Land sei zu dumm, als dass man sie abstimmen lassen könnte. Die PAD-Fraktion gehört auch zu den fanatischen Monarchisten. Sie wollen einen neuen Putsch, sie haben nur zu gerne Hass auf Kambodscha geschürt und im Streit um einen alten Khmertempel einen Krieg riskiert. Die Strategie der PAD, wie Pipop Thongchai sie vorgezeichnet hat, besteht darin, so viel politisches Chaos zu erzeugen, dass die Institutionen und Parteien zerstört werden und eine »neue Ordnung« aus der Asche ersteht. Überflüssig zu sagen, dass diese neue Ordnung weder demokratisch sein wird noch der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit verpflichtet.
Wirtschaftspolitik
Was die Wirtschaftspolitik betrifft, versucht der Thaksinflügel es mit einer »zweigleisigen Strategie«, indem er Neoliberalismus mit Keynesianismus an der Basis der Gesellschaft verbindet. Sie glauben, dass die Armen nicht einfach aufgegeben werden dürfen. In der Sozial- und Gesundheitspolitik können sie für die Armen etwas vorweisen. Dennoch sind sie nicht im entferntesten Sozialisten. Sie sind gegen die Besteuerung der Reichen und den Aufbau eines Wohlfahrtsstaats.
Die PAD/Demokraten/Monarchisten sind harte Monetaristen. Sie schlagen eine deutliche Erhöhung der Zinsraten vor, um die Ausgaben der Armen zu senken und die Löhne unter Druck zu setzen. Der König gehört zu den reichsten Monarchen der Welt, und er unterstützt diese Wirtschaftspolitik. Er hat auch die »Genügsamkeits-Wirtschaft« befürwortet, wonach jeder seine Ausgaben entsprechend seiner Mittel einschränken soll. Einkommensumverteilung wird ausgeschlossen. Deshalb haben die Armen immer für die Thaksin-Fraktion gestimmt.
Gewerkschaften und NGOs
Der Hauptgrund, warum »Demokratie« und »soziale Gerechtigkeit« von der politischen Tagesordnung in die stinkenden Kanäle von Bangkok gefallen sind, ist die Verwirrung unter den sozialen Bewegungen, NGOs und Gewerkschaften. Nach dem Zusammenbruch der Kommunistischen Partei Mitte der 1980er Jahre lautete die neue Parole der Volksbewegungen: »Die Antwort liegt in den Dörfern.« Dahinter stand die NGO-Strategie, auf eine ländliche Entwicklung entlang von Einzelthemen umzustellen. Die Parole spiegelte Respekt für die Dorfbewohner wider, was sich erheblich von der Haltung der Regierung unterschied. Jetzt lautet die Parole der Volksbewegungsnetzwerke, die die PAD unterstützen: »Die Dörfler sind dumm und haben keine Recht darauf, ihre Stimme abzugeben!« und »Die Lösung liegt bei Armee, Gerichten und König.«
Ein Flügel des NGO-Koordinationskomitees, einige thailändische Mitarbeiter von »Focus on Global South«, HIV-Netzwerke, »Friends of the People« und verschiedene Bauerngruppen haben sich hinter die PAD und ihre Forderung nach Demokratieabbau gestellt. Die Eisenbahnergewerkschaft und die Fluggewerkschaft von Thai Airways haben ebenfalls ihre Unterstützung signalisiert. Die Bahngewerkschaftsführer haben sich nicht einmal für die hunderte von Bahnarbeitern ins Zeug gelegt, die seit Jahrzehnten mit Zeitverträgen und ohne Sozialabsicherung arbeiten müssen. Die Fluggewerkschaft hat die Korruption der Fluglinie und der Flughafenleitung immer ignoriert. Beide Gewerkschaften haben ihre Augen vor den Angriffen auf Gewerkschaften in der Privatwirtschaft verschlossen und sind nur bereit zu handeln, wenn sie von ganz oben grünes Licht bekommen.
Andere Aktivisten, die die PAD nicht mögen, haben sich auf die Seite der Regierung geschlagen. Das ist nicht weniger schlimm als die Unterstützung der PAD. Einige haben sogar gejubelt, als die Polizei versuchte, Protestkundgebungen der PAD auseinander zu treiben.
Der Mangel an unabhängiger Klassenpolitik in der thailändischen Volksbewegung ist das Ergebnis von Jahren der Zurückweisung von »Politik« und »politischer Organisationen« überhaupt. Er ist Folge der anarchistischen Ideen, die nach dem Zusammenbruch der Kommunistischen Partei als Reaktion auf ihren autoritär-stalinistischen Stil solche Verbreitung fanden. Dahinter steht auch das Problem der »Lobbypolitik« von NGOs. Keine dieser Strategien führt zum Aufbau einer unabhängigen Position für Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Sie weisen die »repräsentative Demokratie« zurück, haben aber keine konkreten Vorschläge für eine andere Art von Demokratie.
Veränderung muss unten beginnen
Aber selbst heute und angesichts der Ereignisse können wir immer noch unsere politische Unabhängigkeit aufbauen. Wir müssen eine Kampagne beginnen für mehr Demokratie und mehr Kontrolle der Institutionen von unten. Wir müssen fordern, dass das Justizsystem von unten nach oben reformiert wird, dass die Rolle der Armee eingeschränkt und der Wohlfahrtsstaat durch Senkung der Rüstungsausgaben und progressive Besteuerung der Reichen aufgebaut wird.
Allerdings gibt es immer noch jene, die meinen, wir sollten uns auf eine der Seiten in dem gegenwärtigen Streit der Eliten stellen und solche Reformen auf später verschieben. Das Problem ist, dass dieser Streit nicht sehr schnell gelöst werden wird, und wenn er zugunsten der einen oder der anderen Elitegruppierung gelöst sein wird, dann werden wir noch weniger Raum für Demokratie haben und noch weniger Verhandlungsmacht für soziale Bewegungen.
Zum Autor:
Giles Ji Ungpakorn ist außerordentlicher Professor an der Politischen Fakultät der Chulalongkorn Universität in Bangkok (Thailand).