Eine Welle von Streiks und Massendemonstrationen hat Griechenland erfasst. Doch wie soll es im Kampf weiter gehen? Müssen die Streiks ausgeweitet werden oder soll sich die Linke für Neuwahlen einsetzen? Matthew Cookson berichtet aus Athen
Alle Arbeiter des öffentlichen Sektors streikten am Dienstag und Mittwoch den 4. und 5. Mai. Am Mittwoch gesellten sich die Arbeiter des privaten Sektors dazu. Es war der vierte Generalstreik in diesem Jahr. In Athen fanden die größten 1. Mai-Demonstrationen seit 25 Jahren statt.
Arbeiter legen einen neuen Tatendrang an den Tag – Lehrer verschafften sich am Montag Zugang zu den Studios des staatlichen Rundfunks und verlasen live eine Stellungnahme gegen die Kürzungen. Aktivisten der Kommunistischen Partei schmückten die Akropolis am Dienstag zu Beginn der Streiks im öffentlichen Dienst mit einem meterlangen Banner auf dem in griechisch und in englisch stand: »Völker Europas, steht auf!«. Diese Intensivierung ist die Antwort auf den von der Regierung geplanten Kahlschlag im Zuge des mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds vereinbarten Rettungspakets.
Kürzungsterror
Das Kernstück des 110 Milliarden Euro-Deals sind noch härtere Angriffe auf die griechischen Arbeiter, deren Lebensstandard ohnehin ins Bodenlose gefallen ist. Allein in diesem Jahr sind ihre Einkommen um 20 Prozent zurückgegangen. Die neuen Pläne sehen Ausgabenkürzungen von 36 Milliarden Euro, das sind 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in den kommenden drei Jahren vor. Die Arbeiter des öffentlichen Dienstes werden mit einem dreijährigen Lohnstillstand, dem Verlust ihrer Oster- und Weihnachtsgeldern und anderen Kürzungen konfrontiert. Die Mehrwertsteuer wird auf 23 Prozent angehoben. Die Angriffe waren der Anlass für eine regelrechte Welle des Widerstandes. Der Kampf wird allerdings noch mächtiger ausfallen müssen, um die Kräfte der Gegenseite schlagen zu können. »Die Gewerkschaftsführer wurden durch den Druck von unten gezwungen, zu den Aktionen in dieser Woche aufzurufen«, sagt Panos Garganas, Herausgeber der griechischen Zeitung Arbeitersolidarität.
»Es gibt heftige Debatten auf der Linken. Die Kommunistische Partei und das Syriza-Bündnis lehnen den Aufruf zu Vollstreiks ab, was es schwierig macht, in den Gewerkschaften zu mobilisieren. Aber die Wut ist so groß, dass sie dabei sind, an Boden zu verlieren. Manche auf der Linken sind der Meinung, dass die Gewerkschaften sich für eine ausschließlich politische Lösung in Gestalt von Neuwahlen oder einer Volksabstimmung über die Kürzungen stark machen sollten. Wir sagen hingegen, dass sie damit falsche Prioritäten setzen, dass wir eine Streikwelle brauchen, um die Kürzungen zu stoppen und eine politische Wende herbeizuführen.«
Die sozialdemokratische Pasok-Partei kam letztes Jahr an die Macht, nachdem sie versprochen hatte, die Löhne nicht zu kürzen. Ihr Verrat hat zur Konsequenz, dass viele ihrer Anhänger und Mitglieder für ein radikaleres Vorgehen und militantere Aktionen offen sind.
Wie weiter?
»Viele Arbeiter meiner Gewerkschaftsgruppe sind Pasok-Anhänger«, sagt Seraphim Rizos, Lehrer auf Kreta. Aber auf der Versammlung letzte Woche gewann die Linke für ihren Vorschlag eines Vollstreiks die Mehrheit der Stimmen – das hat es seit zehn Jahren nicht mehr gegeben. »Die Menschen verstehen, dass 24-Stunden-Streiks nicht ausreichen werden, um die Kürzungen vom Tisch zu bekommen. Sie suchen nach anderen Mitteln, und die radikale Linke steht in der Pflicht, für Klarheit zu sorgen. Es wird ein hartes Ringen sein. Wir müssen das Niveau der Kämpfe erhöhen, wenn wir uns durchsetzen wollen. Die EU und der IWF planen ähnliche Kürzungen für Länder wie Portugal und Spanien, aber auch dort leisten die Arbeiter Widerstand. Ein Sieg der Arbeiter in Griechenland kann wie ein Fanal wirken.«
Die europäische radikale Linke hat eine Stellungnahme zur Krise in Griechenland veröffentlicht (marx21 berichtete), die vom antikapitalistischen Antarsya-Bündnis sehr begrüßt wurde. In einem eigenen Aufruf besteht Antarsya »auf die Notwendigkeit, die Kämpfe auszuweiten, zu General- und Teilstreiks und Massenkundgebungen aufzurufen, um die Angriffe abzuwehren … Wir werden weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften kämpfen. Eine koordinierte Antwort auf internationaler Ebene gegen die Versuche der Kapitalisten, der EU und des IWFs, die Krisenlasten den Arbeitern aufzubürden, ist an der Zeit.
Die Kräfte der antikapitalistischen Linken Europas müssen sich der Herausforderung gewachsen zeigen. Mit Vertrauen in das Potenzial des kollektiven Kampfes und der Arbeitermilitanz können wir die Kräfte des Kapitals besiegen und den Weg für eine antikapitalistische Alternative eröffnen."
Das Programm der Linken
Das Programm des griechischen Bündnisses Antarsya schließt folgende Punkte ein:
- Nichtbefolgen der Anweisungen des IWF und der EU
- Austritt aus der Eurozone und der europäischen Währungsunion
- Kampf um einen antikapitalistischen Austritt aus der EU
- Ab sofort keine Bedienung von Auslandsschulden
- Geld für die Arbeiter nicht für die Banker
- Verstaatlichung der Banken unter Arbeiterkontrolle
- Besteuerung des Kapitals und sofortige Kürzung der Militärausgaben
- Verbot von Entlassungen
- Sichere und anständige Jobs für Alle
- Sofortige Lohnerhöhungen
- Schutz der Tarifverträge
- Aufenthaltsrecht für Migranten
- Politischer Asyl und Schutz für Flüchtlinge
- Öffentliche Sozialleistungen, Gesundheit und Bildung für Alle
Zum Text:
Der Artikel erschien zuerst auf Englisch in der britischen Zeitung »Socialist Worker«. Aus dem Englischen von David Paenson.
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