Klingt nach Erfolgskurs: Zum ersten Mal liegen die Piraten in einer Umfrage vor der LINKEN. Stefan Bornost erklärt das Hoch der Partei und wie DIE LINKE wieder punkten kann
Mit ihrem Wahlerfolg in Berlin sind die Piraten bundesweit bekannt geworden. Gegründet wurden die Piraten jedoch schon 2006. Ihr Erweckungserlebnis war der Kampf gegen »Zensursula« von der Leyen und ihr Zugangserschwerungsgesetz im Jahr 2009.
Die Kampagne gegen Internetzensur machte die Piraten zum ersten Mal einem breiteren Publikum bekannt. In Folge der Kampagne stiegen auch die Mitgliederzahlen der Piraten: Gegründet mit 52 Mitgliedern, waren es zu Beginn der »Zensursula«-Kampagne 870 Mitglieder, knapp ein Jahr später im Januar 2010 schon 11.753. Danach stagnierte die Zahl, ein neuer Schub kam mit dem Berliner-Wahlkampf und dem guten Ergebnis – im Oktober 2011 werden die Piraten wohl die 15.000-Marke knacken.
Männlich, ledig, jung
Von der Struktur her besteht die Partei mehrheitlich aus männlichen Studenten zwischen 20 und 30 – spiegelt also in etwa das soziologische Profil der Computeraktivistenszene rund um den Chaos Computer Club wieder.
Bei der Bundestagswahl 2009 bekamen die Piraten 2,0 Prozent – allerdings mit erheblichen Ausreißern nach oben in einigen innerstädtischen Gebieten. Im Hamburger Stadtteil Veddel erzielte sie mehr Stimmen als die CDU, die CDU kam auf 10,2 und die Piratenpartei auf 10,6 Prozent der Stimmen. Auch in anderen Stadtteilen der Metropole (St. Pauli 6,8 Prozent, Sternschanze 6,6 Prozent) lag die Partei über ihrem Bundesschnitt.
»Kernis« gegen »Vollis«
Direkt nach der Bundestagswahl lief bei den Piraten eine heftige Auseinandersetzung zwischen »Kernis« und »Vollis«. Die »Kernis« wollten weiterhin die Piraten als Ein-Punkt-Partei mit Thema Netzpolitik (Informelle Selbstbestimmung und Datenschutz, Urheberrecht, Freier Datenzugang, Patentrecht) erhalten, die »Vollis« die Ausweitung auf andere Themenfelder, ein Vollprogramm also.
Ergebnis waren vorsichtige Schritte hin zu einer thematischen Öffnung. Dies brachte neue Probleme: Die Piraten werden geeint durch das Thema Netzpolitik, sind ansonsten aber politisch heterogen – von libertären Anarchisten bis zu CDU-Hintergründen (zum Beispiel beim amtierenden Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz) ist bei den Piraten alles dabei.
Mindestlohn – ja oder nein?
Nerz' Slogan, die Piraten seien »weder links noch rechts, sondern vorn« ist griffig – doch was bedeutet dies zum Beispiel in Bezug auf den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, die Eurokrise oder die Zukunft des Sozialstaats? Hier gibt es keine Einigkeit. Der Afghanistan-Einsatz wird kritisch gesehen, über einen Rückzug ist man sich aber nicht einig. Zur Eurokrise – dem Thema, das Millionen am meisten beschäftigt – sagte die Partei, dass ihr der Hintergrund fehle, dazu eine Position zu vertreten.
Während sich die Bundespartei auf dem letzten Parteitag mehrheitlich gegen bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn wandte (Nerz verglich solche Forderungen in alter CDU-Diktion mit dem Wunsch nach »DDR-Verhältnissen« und sah darin die »Grabenkämpfe des 20. Jahrhunderts«), plakatierten die Berliner Piraten diese Forderungen und gewannen so ein linkes Profil.
Links in Berlin
Insgesamt sind die Berliner Piraten weit links von der Bundespartei gestartet und zwar mitten in den »Grabenkämpfen des 20. Jahrhunderts«: Mindestlohn, Mieten, Privatisierung, Bildung waren die Themen. Die Demokratie-Frage wurde in Bezug darauf hochgezogen, dass Transparenz zum Beispiel bei Privatisierungen mit den Füßen getreten werde. Konzernkritik war immer ein wichtiger Bestandteil der Piraten lokal und bundesweit, schließlich hatte man sich gegen die Dominanz von Microsoft, Facebook und Google gegründet.
80 Prozent haben die Piraten aus Protest gegen die Anderen gewählt. Dennoch sind sich die Analysten doch weitgehend einig, das dies ein linker Protest war – auch gegen verbürgerlichte Grüne und eine als zahnlos wahrgenommene LINKE in Regierungsverantwortlichkeit. Abzuwarten bleibt, ob aus Berlin starke Impulse für eine Linksentwicklung der Bundespartei ausgehen – was sicherlich zu Konflikten im jetzigen Bundesvorstand führen wird.
Piraten ohne Strukturen
Zündstoff gibt es auch an anderer Stelle: Neben der Heterogenität ist ein weiteres Problem der Piraten flächendeckende Strukturlosigkeit – die Organisation ist weitgehend eine Papier- und Online-Diskutierpartei ohne lokale Gliederungen. Die rasant gewachsene Berliner Partei stellt wirklich eine Ausnahme da.
Auch strategisch ist die Partei nicht festgelegt – Überlegungen darüber, ob die Partei ihre Ziele über das Parlament, außerparlamentarische Bewegung oder Änderung des individuellen Verhaltens erreichen kann, stecken noch in den Kinderschuhen. Dabei zielen zahlreiche ihrer Forderungen auf einen Bruch der Macht der Konzerne. Diese Forderungen sind nur durch große Mobilisierungen durchzusetzen – oder zurückzunehmen.
Schiffbruch in Schweden
Die weitere Entwicklung der Piraten ist also offen. Sie könnten aufgrund der zahlreichen ungelösten Widersprüche noch vor der Bundeswahl wieder abstürzen. In Schweden erhielt die Piratenpartei zur Europawahl 2009 7,1 Prozent. Ein Jahr später erhielt sie jedoch zur so genannten Reichstagswahl nur noch 0,63 Prozent.
Absehbar ist die Kampagne von SPD und Grünen 2013, dass jede Stimme für Piraten (und natürlich auch die LINKE) Rot-Grün gefährdet – da die meisten Piraten in der CDU ihren Hauptfeind ausgemacht haben und ihre Ablösung wünschen, wird diese Kampagne Druck aufbauen.
LINKE herausgefordert
Doch es ist möglich, dass die Piraten sich etablieren und mit der LINKEN um diejenigen konkurrieren, die rot-grünen Heilsversprechungen misstrauen. Eine Herausforderung für DIE LINKE sind die Piraten allemal. Ihre pure Existenz ist eine deutliche Kritik an dem Stil und der Gleichförmigkeit des Politikbetriebs, von dem sich auch DIE LINKE zu selten abhebt.
Dennoch hat DIE LINKE einige Trümpfe in der Hand, die sie in der Konkurrenz mit den Piraten ausspielen kann: Eine Analyse einer zwischen Reich und Arm, Kapital und Arbeit gespaltenen Gesellschaft, in der DIE LINKE Position für die Schwächeren bezieht. Aus einem solchen Klassenstandpunkt folgen dann politische Positionierungen, zum Beispiel zum Mindestlohn und zu Afghanistan. Außerdem: Eine Analyse, die nicht Machtmissbrauch einzelner Konzern, sondern den Kapitalismus als System als Urheber der Probleme ausmacht. Und daraus folgend eine Strategie, die auf Gegenmacht setzt, auf Bewegung und Klassenkämpfe.
All diese Punkte sind in der LINKEN selbst nicht unumstritten, würden aber als geschärftes Profil DIE LINKE gegenüber den Piraten an Kontur gewinnen lassen – während gleichzeitig gemeinsame Aktionsfelder mit den Piraten auszuloten sind. Ein gleichförmiger Auftritt im Block der »Etablierten«, wie im Falle der Berliner LINKEN, wird es erschweren, DIE LINKE wieder zu einer Partei zu machen, bei der sich der Protest gegen die herrschenden Verhältnisse gut aufgehoben fühlt.
Mehr auf marx21.de:
- Berlin wählt links, aber nicht DIE LINKE: Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus haben die Wähler DIE LINKE abgestraft. Jetzt ist Zeit, die Partei neu aufzustellen, meint die marx21-Redaktion