Ein weiterer Krieg ist im Nahen Osten, genauer im Jemen an der Grenze zu Saudi-Arabien, ausgebrochen. Simon Assaf zeigt, dass dahinter ein Kampf um die Kontrolle dieses strategisch wichtigen arabischen Lands steht.
Im Dezember wurde Saudi-Arabien beschuldigt, bei einer Bombardierung von Dörfern mit seinen Kampfflugzeugen mindestens 70 Menschen umgebracht zu haben. Angeblich stehen die Dörfer unter Kontrolle der schiitisch-muslimischen Huthi-Rebellen. Die Huthis (benannt nach dem 2004 getöteten Führer Hussein Badreddin al-Huthi) behaupten, es habe im November 50 solcher Angriffe gegeben. Im August leitete die jemenitische Regierung eine Großoffensive gegen einen inzwischen fünf Jahre währenden schiitischen Aufstand ein. Die schiitischen Stammensangehörigen zogen sich in die Bergregion an der Grenze zu Saudi-Arabien zurück, und im November wurden saudi-arabische Soldaten in die Kämpfe mit hineingezogen.
Die erste saudi-arabische Offensive im November endete mit einer Demütigung: Die aufständischen Huthis schlugen die saudischen Soldaten in die Flucht und eroberten große Mengen an Ausrüstung und Munition. Es gab mehrere weitere Versuche von saudischen Kräften, die Aufständischen zu vertreiben, und die letzten Angriffe waren Teil dieses fortgesetzten Feldzugs. Nach allgemeiner Darstellung ist dies ein Konflikt zwischen der vom Westen unterstützten jemenitischen Regierung und ihren saudi-arabischen Verbündeten auf der einen Seite und auf der anderen Seite schiitischen Rebellen, die vom Iran unterstützt und von der Hisbollah ausgebildet wurden.
Das passt in eine Rhetorik, mit der das Bild von einer Region gezeichnet wird, die sich im Griff eines übergreifenderen Konfessionskriegs zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen befindet. Dieser Aufstand ist jedoch sehr viel komplizierter. Er markiert eine ironische Wende im Geschick der Huthis und den wechselnden Bündnissen im Nahen und Mittleren Osten. Der Jemen besteht aus zwei wichtigen Regionen mit unterschiedlicher Geschichte. Der heutige Nordjemen war einst Teil des Osmanischen Reichs. Nach dessen Zusammenbruch im Jahr 1918 beherrschte die schiitische Königsfamilie Nordjemen von ihrer Hauptstadt Sanaa aus.
Der Süden mit seinem wichtigen Hafen Aden wurde seit 1839 vom Britischen Empire beherrscht. Diese Region ist überwiegend sunnitisch-muslimisch. In den 1950er und 1960er Jahren wurden beide Länder von einem Volksaufstand erfasst, angespornt durch die Revolution Gamal Abdel Nassers in Ägypten. Rebellen in Aden begannen einen Befreiungskrieg gegen die Briten, während ein Bündnis aus unzufriedenen Stämmen und Armeeoffizieren einen Putsch zur Absetzung des Königs im Norden vorbereitete. Im Jahr 1962 wurde der König durch Nasseranhänger unter den Offizieren gestürzt. Er fand Zuflucht in Saudi-Arabien. Gefeiert als Held im Kampf gegen den „Kommunismus" entfesselte der König einen Aufruhr, der von Saudi-Arabien, Jordanien, dem iranischen Schah und dem Westen unterstützt wurde.
Israel belieferte die königlichen Streitkräfte und bot sogar an, die in Sanaa belagerten arabischen nationalistischen Kräfte zu bombardieren. Als Antwort darauf entsetzte Nasser rund 70.000 Soldaten, um bei der Zerschlagung des monarchistischen Aufstands zu helfen. Der Plan endete mit einer Katastrophe. Nassers Truppen konnten die Bergstützpunkte der Monarchisten nicht einnehmen und zogen sich schließlich nach Ägyptens schwerer Niederlage im Krieg gegen Israel von 1967 zurück.
Sanaa war durch vom Westen unterstützte Kräfte umzingelt. Obwohl die Kämpfe eine Pattsituation erreichten, waren die nationalistischen Offiziere am Ende zur Flucht gezwungen. Während die Monarchisten ihren Sieg festigten, konnten dagegen im Süden die Briten durch nationalistische Aufstände vertrieben werden, und im Jahr 1967 wurde die Unabhängigkeit erklärt. Im Jahr 1969 wurde in Südjemen die sozialistische Republik ausgerufen.
Die beiden Jemen wurden zum Symbol eines unlösbaren Konflikts zwischen dem Westen und den arabischen Revolutionen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1990 vereinigten sich die beiden Länder. Das neue Jemen wurde als Triumph für den Westen gepriesen. Die neue Regierung wurde ein enger Verbündeter des Westens, und der Hafen von Aden wurde in einen wichtigen Flottenstützpunkt der USA verwandelt. Die schiitischen Stämme sahen sich von ihren ehemaligen Verbündeten alleingelassen. Isoliert und in Ungnade gefallen, begannen sie mehr Autonomie zu fordern. Vor fünf Jahren brach dann der Aufstand aus. Unterdessen musste die jemenitische Regierung feststellen, dass sie noch einen zweiten Feind hatten: Allgemeine Unzufriedenheit, angeheizt durch Israels Angriffe auf die Palästinenser und eine zusammenbrechende Wirtschaft, ergoss sich auf die Straßen.
Die Unzufriedenheit bildete einen fruchtbaren Boden für angeblich von al-Qaida inspirierte radikale sunnitische Muslimgruppen, die eine Reihe gut geplanter Angriffe auf US-Kräfte durchführten – einschließlich im Oktober 2000 der spektakulären Bombardierung des Zerstörers „USS Cole", der im Hafen von Aden vor Anker lag. Die USA begannen zu fürchten, dass der Jemen durch schiitische und sunnitische Rebellen auseinandergerissen werden könnte. Das Land wurde zum Rückzugsgebiet von al-Qaida und zum neuen Schlachtfeld zwischen dem Westen und dem Iran erklärt. Der Westen und seine arabischen Verbündeten gossen Geld und Waffen in das Land, um die unpopuläre jemenitische Regierung zu stärken.
Es gibt noch eine weitere bittere Wendung in diesem Konflikt: Viele Jemeniten verachten die schiitischen Stämme, weil sie an der Zerstörung der arabischen nationalistischen Republik beteiligt waren. Inzwischen sind viele radikale sunnitische Gruppen den Schiiten, die auch als Ketzer gelten, tief feindlich gesinnt. Der Westen fürchtet jetzt, dass das Land in einen dreifachen Konflikt hineingezogen wird. Die USA verkündeten diesen Monat, dass sie Spezialeinheiten in das Land schicken wollen, um dem Regime im Kampf gegen die sunnitischen Rebellen beizustehen, während Saudi-Arabien eingreift, um sich mit den schiitischen Rebellen zu „befassen". Das Luftbombardement der Saudis im November erinnert an die Angriffe der ägyptischen Kräfte in den 1960er Jahren. Diese Angriffe erwiesen sich als wirkungslos, um die Rebellen aus den Bergfesten zu vertreiben. Die Saudis könnten am Ende in einen ähnlichen Konflikt hineingezogen werden – diesmal mit einem Feind, der sich verraten fühlt und bestens geübt in der Kunst des Guerillakriegs ist.