In einem Krankenhaus in Südhessen machen Azubis eine Aktion gegen ihre schlechten Ausbildungsbedingungen. Am nächsten Tag ermittelt die Polizei wegen Einbruch, ein Azubi wird von der Arbeit freigestellt und ihm wird, obwohl er schwerbehindert ist, mit fristloser Kündigung gedroht. marx21.de sprach mit Elmar Siemens von der Gruppe ver.quer
marx21.de: Elmar, was genau passierte am 24. November?
Elmar Siemens: Am 24. November war unser Aktionstag. Er fand im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche von ver.di im Krankenhausbereich statt. Am späten Donnerstagabend »bewaffneten« wir uns mit bedrucken Luftballons, jeder Menge Flyern, Postern, Transpis und Post-it-Klebezetteln. Damit haben wir dann die Gesundheitsakademie Bergstraße, das Gelände und den Verwaltungstrakt von Vitos Heppenheim verschönert. Wir haben alles mit unseren Forderungen dekoriert, zu dem wir freien Zugang hatten, schließlich wollten wir mit der Aktion eine Debatte über die miserablen Ausbildungsbedingungen auslösen.
Und wie waren die Reaktionen am nächsten Morgen? Ging euer Plan auf?
Leider nein. Am nächsten Tag war zwar der Teufel los, aber die Reaktionen waren nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Es fand eine Schulkonferenz mit allen anwesenden Klassen statt und die Schulleitung hat alle Schüler zusammengestaucht. Sie warf den Schülern vor, dass jemand in der Nacht in das Büro des Geschäftsführers eingebrochen sei, da dort scheinbar ein Flugblatt von der Aktion auf dem Schreibtisch lag. Außerdem warf sie uns Patientengefährdung und Sachbeschädigung vor. Sie informierte uns darüber, dass die Polizei schon dabei sei, Beweise und Fingerabdrücke zu sichern und dass das Ganze Anzeigen nach sich ziehen werde. Die Aktion ist pauschal verurteilt worden und es gab keine Debatte über die Beweggründe der Aktivisten und die Ausbildungsbedingungen.
Wie reagierten die Schüler darauf? Gab es Protest?
Die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) war an diesem Tag nicht anwesend und von den Schülern hat sich keiner getraut etwas zu sagen. Selbst als die Azubis von Vitos Heppenheim dazu verdonnert wurden, alle Spuren der Aktion zu beseitigen, was eine ausbildungsfremde Tätigkeit ist, regte sich kein Protest. Auch nicht, als klar wurde, dass die Krankenpflegeschüler aus den beiden anderen Krankenhäusern, die auch in der Gesundheitsakademie Bergstraße unterrichtet werden, nicht zur Putzaktion herangezogen werden sollten. Im Laufe der Putzaktion wurden dann einzelne Schüler von der Schulleitung herausgepickt und gefragt, ob sie wüssten, wer das gewesen sei. Die Taktik der Schulleitung ging voll auf. Die Kriminalisierung unseres Protestes verhinderte eine Debatte über die Ausbildungsbedingungen und die Putzaktion spaltete die Azubis zusätzlich.
Wie kam die Schulleitung dazu, dich zu verdächtigen?
Ich hatte auf Facebook etwas über unsere Aktion gepostet: »Wir haben die Psychiatrie aufgehübscht« oder so in der Art. Das hat ein Azubi einem Lehrer gezeigt und wir hatten unsere Aktion im Wohnheim vorbereitet und dummerweise vergessen, danach aufzuräumen. Die Kiste mit den Luftballons war an mich adressiert gewesen.
Dann ging der Ärger mit Polizei und Personalabteilung für dich erst richtig los. Was haben die alles versucht, um dich einzuschüchtern?
Einen Tag nach der Aktion hat die Polizei versucht, die Jugendbildungsreferentin von ver.di Südhessen zur »Tat« zu befragen. Die hat eine Befragung verweigert. Eine Woche später wurden die Jugendbildungsreferentin und der JAV-Vorsitzende als Zeugen und ich als Beschuldigter von der Polizei vorgeladen. Zu dem Termin sind wir nicht erschienen.
Außerdem habe ich eine Einladung zu einem Personalgespräch mit der Personalabteilung, der Pflegedienstleitung, dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung und dem Integrationsamt erhalten. Da das Integrationsamt eigentlich nur eingeladen wird, wenn schwerbehinderte Beschäftigte gekündigt werden sollen, läuteten bei mir und ver.di alle Alarmglocken.
Deshalb nahmen an dem Personalgespräch auch noch der ver.di-Rechtsschutz, der zuständige Gewerkschaftssekretär und eine Person meines Vertrauens teil. Zu Beginn des Gesprächs hat mir die Personalabteilung dann einen großen Stapel mit angeblichen Beweisfotos vorgelegt und mir Einbruch vorgeworfen. Als wir nach Einbruchsspuren gefragt haben, haben sie diesen Vorwurf fallengelassen und nur noch von Hausfriedensbruch gesprochen.
Ich habe mich dann zu der Aktion bekannt und wir haben deutlich gemacht, dass es sich bei dem Ganzen um eine offizielle Gewerkschaftsaktion gehandelt hatte. Das hat aber niemanden interessiert. Die Personalabteilung machte mir dann folgendes Angebot: Hausverbot auf dem gesamten Gelände und eine Freistellung von der Arbeit mit 3 Monaten fortlaufenden Gehaltszahlungen. Außerdem müsste ich mir eine neue Wohnung außerhalb des Betriebsgeländes suchen. Ich habe das abgelehnt. Daraufhin wurde mir, mit der Begründung einer Verdachtskündigung, mit einer fristlosen Kündigung gedroht.
Nach der Vermittlung durch das Integrationsamt, wurde mir noch einmal dasselbe Angebot, aber mit fortlaufender Gehaltszahlung bis zum 30. Juni gemacht. Am 30. Juni läuft mein Arbeitsvertrag aus. Ich habe auch dieses Angebot abgelehnt. Ich wollte mich nicht zum Bauernopfer machen lassen. Schließlich habe ich nichts Verbotenes getan und auch keine Straftat begangen.
Am Ende des Gesprächs hat mir die Personalabteilung ein mündliches Hausverbot und die Freistellung ausgesprochen. Eine schriftliche Kündigung sollte noch folgen. Die Kündigung kam dann aber nicht, sondern nur eine schriftliche Bestätigung des Hausverbots und der Freistellung mit Fortsetzung meiner Lohnzahlungen bis zum 30. Juni.
Es ist eher ungewöhnlich, dass Unternehmen so scharf auf Aktionen von Azubis reagieren, oder?
Die Reaktionen der Unternehmensleitung entsprechen der Taktik, jede Form der Organisierung unter den Azubis zu verhindern. Die Zustände in der Krankenpflegeausbildung sind katastrophal und unsere Forderungen nach besseren Ausbildungsbedingungen mehr als berechtigt. Wir wollen, dass die Azubis auch ausgebildet und nicht nur ausgebeutet werden, weil auf vielen Stationen niemand da ist, der ihnen eine Praxisanleitung gibt. Ich hatte schon während meiner Ausbildung Ärger mit der Unternehmensleitung. Ich habe als JAV einige Aktionen zur Ausbildungssituation gemacht. Mit dem Ergebnis, dass versucht wurde, meine Übernahme nach der Ausbildung zu verhindern, obwohl man als JAV einen gesetzlichen Anspruch darauf hat. Wir haben uns dann gerichtlich auf eine befristete Übernahme geeinigt.
Was ist eigentlich ver.quer?
Ver.quer steht für vereinte Querulanten und ist der Name unserer Jugendgewerkschaftsgruppe an der Gesundheitsakademie Bergstraße. Wir sind so zwischen 20 und 30 junge Menschen, die sich regelmäßig treffen. Wir haben uns nach einem Seminartag der ver.di-Jugend gegründet, bei dem klar wurde, dass alle Azubis immer wieder die gleichen Probleme in der Ausbildung haben, Jahr für Jahr. Ich hatte schon länger die Idee, eine Jugendbetriebsgruppe zu gründen, aber während meiner JAV-Zeit fehlten mir die Leute dazu. Jetzt waren die Leute dazu da, allerdings passte das Selbstverständnis der Gruppe nicht in die üblichen Organisationskategorien von ver.di. Denn wir sind nicht nur Jugend, da wir offen sind für ältere, und wir sind keine Betriebsgruppe, weil wir drei Betriebe repräsentieren, darum sind wir ver.quer.
Wie geht es jetzt weiter?
Mitte Januar wurde nach Gesprächen zwischen der Gewerkschaft und der Unternehmensleitung das Hausverbot und die Freistellung von der Arbeit aufgehoben. Am 15. Februar stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlung gegen mich ein. Das ist ein riesiger Erfolg. Wir wollen in der anstehenden Tarifrunde und in den anderen beiden Trägerkrankenhäusern der Gesundheitsakademie Bergstraße weitere Aktionen für bessere Ausbildung machen. Außerdem wollen wir stärker mit den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zusammenarbeiten, um innerhalb des Betriebs mehr Rückhalt zu bekommen.
(Die Fragen stellte Lisa Hofmann)
Zur Person:
Elmar Siemens (27) arbeitet auf einer 20-Prozent-Stelle in der Krankenpflege und studiert Pflegepädagogik in Ludwigshafen. Er ist aktives ver.di-Mitglied und war 3 Jahre Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung seines Ausbildungsbetriebes, Vitos Heppenheim.
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