Der venezolanische Präsident Hugo Rafael Chávez Frías ist tot. Kann die bolivarische Revolution ohne ihren Präsidenten weitergehen? Ben Stotz wirft einen Blick zurück und nach vorn
»Denen, die mir den Tod wünschen, wünsche ich ein langes Leben. Mögen sie noch lange die künftigen Kämpfe und Siege der bolivarischen Revolution sehen.«
Hugo Chávez, 2012.
Hugo Chávez starb am 5. März um 16.25 Uhr Ortszeit in Caracas in einem Militärkrankenhaus. Er polarisierte selbst noch im Krankenbett – ganz ohne eigenes Zutun. Immerhin hatte es seit seinem zweimonatigen Aufenthalt in Kuba und auch danach keinen öffentlichen Auftritt mehr von ihm gegeben. Um seine Gesundheit rankten sich bis zum Schluss politisch motivierte Gerüchte. Suchte man ihn etwa in Venezuela bei Google, waren die ersten Vorschlagstreffer allesamt Nachrichten seines Todes.
Schon im Dezember hatte ein Oppositionspolitiker behauptet, der Präsident sei längst gestorben, was aber von der Regierung geheim gehalten werde, um Chávez den Todestag des lateinamerikanischen Befreiers Simon Bolívar am 17. Dezember zuzuweisen. Am 24. Januar erschien in der renommierten spanischen Tageszeitung El Pais ein gefälschtes Titelfoto, das einen bewusstlosen, an Schläuchen angebundenen Präsidenten Chávez zeigte.
Die spanische Tageszeitung ABC berichtete in »exklusiven« Reportagen über den unmittelbar bevorstehenden Tod des Regierungschefs. Im Februar überschrieben die führenden Printmedien Venezuelas ihre Titelblätter mit »Er atmet noch« oder »Seine Optionen sind zu Ende« (beides Tal Cual). Nach der Rückkehr des Präsidenten behauptete ein in den USA lebender venezolanischer Arzt, Chávez sei querschnittsgelähmt und nur deshalb nach Caracas zurückgekehrt, weil in Kuba alle Behandlungsoptionen erfolglos ausgeschöpft worden seien.
Diese hasserfüllten Meldungen verdeutlichen, wie sehr sich die Eliten und oppositionellen Medienkonzerne des Landes wünschten, einen Präsidenten loszuwerden, dem bislang weder durch Putsch noch durch temporären Stopp der Ölförderung beizukommen war und der bei demokratischen Wahlen übermächtig erschien.
Präsident aus den eigenen Reihen
Tatsächlich war Chávez‘ Rolle für den revolutionären Prozess mehr als grundlegend. Chávez war nicht nur Staatspräsident, oberster Befehlshaber der Streitkräfte und Vorsitzender der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), sondern auch Symbolfigur, Gesicht und Stimme der Armen und Ausgeschlossenen des Landes. Dies hatte auch mit seinem biografischen Hintergrund zu tun.
Chávez wurde in den venezolanischen Llanos im Bundesstaat Barinas geboren und spricht venezolanisches Spanisch mit wahrnehmbaren Akzent dieser Provinz. Wie viele andere Venezolaner wuchs er als eines von sechs Kindern in ärmlichen Verhältnissen auf. Hier verbirgt sich ein Teil des viel gepriesenen Charismas und der rhetorischen Zauberkräfte des Präsidenten – er kannte die Lebensrealitäten und die Geschichte des Landes und konnte diese verständlich, zugespitzt und nachvollziehbar darlegen.
Chávez eint die Linke
Bis jetzt kann in politischer Hinsicht kaum auf ihn verzichtet werden. Über die Verständigung auf den gemeinsamen Kandidaten Hugo Chávez hat sich die jahrzehntelange zerstrittene Linke eine gemeinsame Klammer und Bündnisstruktur gegeben. Durch Chávez agierten die verschiedenen linken Parteien, Gewerkschaften, Bauernorganisationen, Guerillagruppen und sozialen Bewegungen gemeinsam. Zudem verfügte er als ehemaliger Offizier auch über eine gewachsene Basis im Militärapparat.
Auch ist seine historische Bedeutung immens: Chávez hat ausgehend vom Caracazo, der Revolte gegen die vom Internationalen Währungsfond implementierten Erhöhungen für Lebensmittel- und Buspreise 1989, auch persönlich viel riskiert und beispielsweise die Verantwortung für den gescheiterten Putschversuch der linken Militäroffiziere von 1992 übernommen. Dafür musste er für mehrere Jahre ins Gefängnis und hatte auch deshalb eine besondere Glaubwürdigkeit. Somit war er mehr als zwanzig Jahren lang die wichtigste Persönlichkeit der politischen Linken des Landes.
Radikalisierung des Präsidenten
Es darf für eine Bewertung der Rolle des Präsidenten auch nicht vergessen werden, dass Chávez selbst einen politischen und ideologischen Entwicklungsprozess durchlaufen hat. Wurde er 1998 als politischer Außenseiter mit eher sozialdemokratischen Reformvorschlägen ins Amt gewählt, hatte er sich nach wichtigen Wendepunkten seiner Präsidentschaft und zugespitzten Klassenauseinandersetzungen wie dem Putschversuch im April 2002 und dem Streik der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA 2003 radikalisiert und jeweils nach seinen Wahlerfolgen die sozialen Veränderungen vertieft. Seit 2005 trat er offen für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts ein.
In den Jahren seiner Regierungszeit war er in der Lage, wichtige soziale Reformen auch gegen die Bürokratie in den eigenen Reihen und um die korrupten Strukturen des bürgerlichen Staates herum, also gegen den Widerstand in den Ministerien, Landesregierungen und Bürgermeisterämtern durchzusetzen. Für viele Sozialprogramme hatte er extra-staatliche Strukturen, die »Misiones«, eingerichtet, um etwa kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung für alle Venezolaner anzubieten.
Neben den Errungenschaften der Vergangenheit können auch die jüngsten Wahlen als Gradmesser für den aktuellen Stellenwert des Präsidenten herhalten. Dabei werden allerdings auch die inneren Probleme und Widersprüche des chavistischen Projekts deutlich.
Wahlergebnisse 2012
Nach 14 Jahren im Amt wurde Chávez im Oktober 2012 mit 55,25 Prozent wiedergewählt, konnte in 21 von 23 Bundesstaaten die Mehrheit erringen und hat auch in absoluten Zahlen mit 8,1 Millionen Stimmen gegenüber den Präsidentschaftswahlen von 2006 (7,3 Millionen Stimmen) noch einmal deutlich dazu gewonnen.
Sehr viel stärker gewachsen sind allerdings die Stimmanteile der Opposition: der Gegenkandidat Capriles Radonski errang 6,5 Millionen Stimmen und 44,13 Prozent, während sein Vorgänger Manuel Rosales 2006 nur 4,3 Millionen Stimmen (damals 36,91 Prozent) erreicht hatte. Das Oppositionslager konnte so mit deutlich mehr als 2 Millionen Stimmen Zuwachs den größten Anteil an der zusätzlichen Wählermobilisierung für sich verbuchen.
Besonders bei einem Vergleich zwischen städtischen und ländlichen Räumen musste Chávez – ähnlich wie schon 2008 – teilweise starke Verluste unter der städtischen Bevölkerung hinnehmen und verlor sogar den bevölkerungsreichsten und von riesigen Armenvierteln geprägten Teil Mirandas (Sucre) an Capriles.
Demoralisierte Opposition
Der umfassende Sieg bei den Regionalwahlen im Dezember kam in erster Linie durch die geringe Wahlbeteiligung sowie die Demoralisierung und Frustration der Opposition zustande, die ihr Wählerklientel nach der Niederlage vom Oktober nicht erneut an die Wahlurnen mobilisieren konnte. In absoluten Zahlen konnten die Kandidaten der PSUV allerdings fast nirgendwo an die Zahlen der Präsidentschaftswahlen anknüpfen und dadurch auch nicht den bevölkerungsreichen und strategisch bedeutsamen Bundesstaat Miranda von Capriles Radonski zurückerobern.
Hier zeigt sich auch der Unterschied, ob Chávez selbst oder bloß Repräsentanten seines Lagers zur Wahl stehen. Dies gilt auch für exponierte Persönlichkeiten der PSUV wie Elias Jaua oder Diosdado Cabello, die immer wieder als Nachfolger von Chávez gehandelt wurden, aber nacheinander in Miranda gegen Capriles Radonski verloren haben. Dies wird auch eine Bürde für den kommenden Präsidentschaftskandidaten Nicolas Maduro sein.
Die relativen Verluste bei den jüngsten Wahlen deuteten so zum einen auf die anhaltend hohe Popularität Hugo Chávezs hin, zeigen zum anderen aber auch viel Unzufriedenheit an der Basis des bolivarischen Prozesses, besonders unter den Armen in den städtischen Zentren.
Enttäuschte Wähler
Die 6,5 Millionen Wähler der Opposition können schwerlich als nimmermüde Unterstützer der Oligarchie oder gar als Faschisten abgetan werden. Viele von ihnen sind Arbeiter und kommen aus der Mittel- oder Unterschicht. Sie sind mit der anhaltend hohen Kriminalitätsrate und der ausufernden Korruption im Staatsapparat unzufrieden. Diese Wählerschichten müssen politisch für die Demokratisierung und Vertiefung des Prozesses (zurück-)gewonnen werden und dürfen nicht als Lakaien des Imperialismus abgestempelt werden.
Ein vorschnelles Abfeiern des Wahlsieges ignoriert zudem die Tatsache, dass viele Wähler vor allem aus Pflichtgefühl und der politisch-strategischen Einsicht in die notwendige Wiederwahl des Präsidenten für Chávez gestimmt haben, obwohl sie von der Bürokratisierung und Korruption ebenso enttäuscht sind. Die moderate und zum Teil entpolitisierte Wahlkampagne der PSUV griff diese weit verbreitete Stimmung jedoch nicht auf und setzte indes rein auf die Popularität von Chávez als »Herz des Vaterlandes«.
So standen letztendlich zwei unterschiedliche Modelle des Kapitalismus mit mehr oder weniger staatlicher Regulierung zur Wahl, auch weil die Bewegung um Chávez keine pointierte und weiter gehende Vision für den Weg zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts angeboten hat. Somit hat sich bei den vergangenen Wahlen die übermäßige Abhängigkeit von der Person Chávez einmal mehr deutlich gezeigt.
Gründung der PSUV…
In diesem Kontext spielt auch die PSUV eine wichtige Rolle, die erste landesweite politische Kraft der bolivarischen Bewegung. Ursprünglich war die Gründung der neuen Partei im März 2007 verbunden mit dem Anspruch, endlich einen gemeinsamen Ort zu schaffen, an dem sich über die künftige politische Strategie innerhalb des revolutionären Prozesses demokratisch verständigt werden könnte. Auf diesem Weg sollten zudem auch neue Führungspersönlichkeiten hervorgebracht werden, um die chronische Abhängigkeit von Chávez zu verringern und um sich auf eine mögliche Zeit nach ihm vorzubereiten.
Die Ansätze der Parteigründung waren dabei durchaus vielversprechend und zeigten schnell das enorme Interesse an diesem Projekt. Chávez selbst rief dazu auf, der neuen Partei beizutreten und eine lebendige Massenorganisation aufzubauen. Daraufhin traten in wenigen Monaten mehr als 6 Millionen Menschen der PSUV bei, was knapp einem Viertel der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht. Mehr als anderthalb Millionen Venezolaner wurden auch tatsächlich selbst in den Strukturen der Partei aktiv.
…und ihre Bürokratisierung
Allerdings war der Aufbau der PSUV von Anfang an stark am kubanischen Vorbild orientiert und wurde wesentlich mit kubanischen Beratern ausgearbeitet. Trotz der massiven Mitgliederzahlen wurden die Satzung und das Programm der Partei von gerade einmal vier von Chávez benannten Einzelpersonen ausgearbeitet und dann dem Parteitag zur Abstimmung vorgelegt.
Wurden die Kandidaten der Partei anfangs noch in Urwahlen festgelegt, wurden sie, wie bei den Regionalwahlen im Dezember 2012, inzwischen immer öfter von Chávez und der Parteiführung ausgewählt und der Mitgliedschaft nur noch vorgesetzt. Für die Bürgermeisterwahlen im Juni 2013 sollen die Kandidaten formal gesehen zwar wieder gewählt statt ernannt werden, was jedoch durch das parteiinterne Wahlverfahren konterkariert wird: Es dürfen bis zu 9 Bewerber für einen der zu vergebenen Plätze kandidieren, wobei bereits im ersten und einzigen Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen benötigt werden. Gelingt dies nicht, soll der letztendliche Kandidat unter den vier Bestplatzierten erneut von der Parteiführung bestimmt werden.
Auch die Basisstrukturen der Partei haben in den letzten Jahren viel Vitalität eingebüßt, in manchen Bezirken finden gar keine regelmäßigen Treffen mehr statt. Chávez löste den eigenen Anspruch an die neue Partei somit alles andere als ein. Anstelle eines demokratischen Orts der politischen Verständigung und Strategiebildung innerhalb der bolivarischen Bewegung ist mit der PSUV eine gigantische Wahlmaschinerie entstanden, die inzwischen meist nur noch Regierungspolitik exekutiert.
Partei ohne aktive Basis
So ist die PSUV zu einem Werkzeug des neuen Staates verkommen, aber kein Instrument derjenigen mehr, die Chávez ursprünglich an die Macht gespült haben. An der Spitze der Partei steht ein verhältnismäßig kleiner und enger Zirkel der immer gleichen Gesichter. Dieser Kreis stellt auch den Großteil der Minister in der oft als korrupt geltenden Staatsbürokratie. Diese Bürokratie hat nicht zuletzt Chávez selbst um sich herum aufgebaut. Und schlimmer: Es geschah auf Kosten des als gescheitert anzusehenden Versuchs, eine kollektive Führung des revolutionären Prozesses aufzubauen, welche die Abhängigkeit von der Figur Chávez verringern könnte.
Linke Parteien neben der PSUV haben genauso wenig zu diesem Versuch beigetragen und sind meist zu klein und politisch zu unbedeutend. Neue Formationen wie die »REDES-Initiative« formulieren zwar den Anspruch, Sammelbecken der Enttäuschten zu sein, werden aber maßgeblich von offenkundig korrupten Persönlichkeiten wie beispielsweise dem ehemaligen Bürgermeister Juan Barreto geprägt und haben dadurch wenig Ausstrahlungskraft.
Neue Schwerpunkte der Regierung
Anhand der ernüchternden Entwicklung der PSUV wird neben der anhaltenden und nicht gelösten Abhängigkeit von Chávez auch eine andere Veränderung deutlich, welche die politischen Prioritäten des bolivarischen Regierungsprojekts betrifft: Die Lenkung der Akkumulation und das Aushandeln der ökonomischen Bedingungen Venezuelas auf dem Weltmarkt sind immer wichtiger geworden, während die Basisbewegungen an Bedeutung verloren haben und meist von der Staatsbürokratie in die Regierungspolitik eingebunden werden.
Auch die extra-staatlichen »Misiones« haben sich immer mehr in den alten Staatsapparat integriert. Zwar beschreibt sich die Regierung immer noch als Ausdruck und Stimme der sozialen Bewegungen, beschimpft jedoch bisweilen Aktivisten dieser Bewegungen als Konterrevolutionäre. Die Subjekte der Veränderung sind somit immer weniger die rebellierenden Bevölkerungsschichten, sondern der neue bolivarische Staat. Die politischen und sozialen Bewegungen sollen sich letztlich dem neuen Staat unterordnen, sei es – wie in den meisten Fällen – durch Eingliederung, oder seltener durch Repression.
Uneinigkeit um Chávez-Nachfolge
Nach den Wahlen vom Oktober sind unter der Oberfläche der vermeintlichen Einheit der Chavistas auch parteiinterne Konflikte in der PSUV um die Nachfolge des Präsidenten zu Tage getreten. Das Manöver von Hugo Chávez, vor seiner Abreise den Vizepräsident und ehemaligen Außenminister Nicolas Maduro als Nachfolger und zukünftigen Präsidentschaftskandidat auszurufen, geht zum Teil auf diese Spannungen zurück.
Unter den führenden Machtblöcken innerhalb der Partei, die grob den Persönlichkeiten Diosdado Cabello (Präsident der Asamblea Nacional und erster Vizepräsident der PSUV), Rafael Ramirez (Energieminister und Präsident der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA), Elias Jaua (ehemaliger Vizepräsident und aktueller Außenminister) und Nicolas Maduro (ehemaliger Außenminister und aktueller Vizepräsident) zugeordnet werden können, hatten sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Durch ein Bündnis zwischen Cabello und Jaua drohte ein Block zu stark zu werden und so Spaltungslinien in der Partei aufzureißen.
Um die Einheit der Partei zu bewahren, legte sich Chávez auf Maduro fest, der als ehemaliger Außenminister enge Verbindungen nach Kuba hat. Allem Anschein nach wird Maduro – gestützt von Chávez‘ Prestige – der kommende Kandidat der PSUV und damit der nächste Präsident Venezuelas sein.
Revolution ohne Chávez?
Immerhin hatte die erneute Krebserkrankung des Präsidenten auch allen Basisgruppen wie etwa den Bauernorganisationen, den Gewerkschaften oder den kommunalen Räten die delikate Situation des bolivarischen Projekts und der drohenden Perspektive eines Chavismus ohne Chávez klar gemacht. Ihre Strategie während der Abwesenheit des Regierungschefs bestand in der anhaltenden Mobilisierung der Bevölkerung auf der Straße, um nach den Wahlerfolgen und angesichts der anhaltenden Demoralisierung der Opposition die Initiative zu behalten.
So wurden an allen wichtigen politischen Terminen in dieser Zeit große Demonstrationen organisiert: Beispielsweise am 10. Januar, dem Tag der ursprünglich geplanten Vereidigung des Präsidenten, als tausende Demonstranten stellvertretend den Schwur auf die bolivarische Verfassung und auf die Verteidigung der revolutionären Errungenschaften leisteten. Oder am 23. Januar, dem Jahrestag des Sturzes der Diktatur, als die massenhaft im gleichnamigen Armenviertel (dem »23 de Enero«, einer Hochburg der Bewegung) und am 4. Februar, als dem gescheiterten Putschversuch von Chávez und den linken Militäroffizieren von 1992 gedacht wurde.
Für das bolivarische Projekt
Ein wichtiger Slogan der Basisbewegungen war dabei »Wir sind alle Chávez!« (Todos somos Chávez!), welcher neben der Rückendeckung für den Präsidenten auch die künftige eigene Verantwortung der Aktivisten für den Fortgang des bolivarischen Projekts andeutet. Dies ist auch dringend nötig, wird es doch letztlich von der Erneuerung und dem politischen Selbstbewusstsein dieser Bewegungen abhängen, ob sich der revolutionäre Prozess auch nach der Ära Chávez fortsetzen und vertiefen kann. An der tiefen und unerschütterlichen Verbundenheit mit den Idealen der bolivarischen Revolution mangelt es dabei nicht, was auch in der bittersten Stunde in Venezuela spürbar gewesen ist: Hunderte Menschen versammelten sich noch am Abend auf der Plaza Bolívar in Caracas und sangen »Chávez ist nicht gestorben, Chávez bin ich.« (Chávez no murió, Chávez soy yo).
Die Lieder, Gebete und wütenden Tränen derjenigen, die in den letzten 14 Jahren zum ersten Mal den Traum einer besseren Zukunft gespürt haben oder die verzweifelten Angebote, die eigenen Organe für die schnelle Genesung des Präsidenten zu spenden, zeigen den Anspruch auf den Fortgang des bolivarianischen Prozesses nach der nun zu Ende gegangenen Ära Hugo Chávez. Die Menschen in Venezuela werden sich die gewonnenen Spielräume nicht einfach wegnehmen lassen.
Ob sich die revolutionäre Verbundenheit mit dem chavistischen Projekt und die eigene Hingabe jedoch auch in einen politische Emanzipations- und Reifeprozess übersetzt, der die Menschen sowohl gegenüber der nun fehlenden Überfigur Chávez als auch gegenüber der weiterbestehenden Staatsbürokratie eigenständiger werden lässt, steht dabei auf einem anderen Blatt.
(Redaktionell überarbeitet und ergänzt gegenüber der ersten Fassung um 9.44 Uhr)
Weiterlesen:
Christoph Twickel:
Hugo Chávez. Eine Biographie
Edition Nautilus, 2006
349 Seiten
12,90 Euro
Mehr im Internet:
- Tom Strohschneider (Neues Deutschland): Der Tod von Hugo Chávez und die deutsche Linke
- Raul Zelik: Venezuela nach Chávez
- DIE LINKE: Wir trauern um Hugo Chávez
Mehr auf marx21.de:
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