Thilo Sarrazin bleibt in den Schlagzeilen. Kurz nachdem beschlossen worden war, dass er in der SPD bleiben darf, sagte er über Parteigenossen mit Migrationshintergrund: »Je migrantischer diese Leute eingestellt sind, desto weniger neigen sie dazu, Probleme oder Schwierigkeiten objektiv zu sehen.« Der Parteivorstand der LINKEN verabschiedete in seiner Beratung am 2. Mai eine Erklärung, die marx21.de dokumentiert:
Die rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen, die das SPD-Mitglied Thilo Sarrazin in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« und zahllosen Interviews und Fernsehauftritten verbreitet hat, sind auch innerhalb der SPD in Teilen scharf kritisiert worden. Zu Recht!
Daher haben wir es begrüßt, dass insgesamt vier Parteiausschlussanträge gestellt wurden. Die weichgespülte Erklärung, mit deren Unterzeichnung Sarrazin angeblich wieder auf den Boden der Parteigrundsätze gelangt sei, ist eine Farce. Schließlich geht es nicht nur um eine unüberlegte Äußerung in der Hitze eines Redegefechts, von der man sich distanzieren kann, sondern um die gezielte, geplante und wohlüberlegte Veröffentlichung eines 464-Seiten-Werks und der immer wieder wiederholten Bekräftigung seiner Thesen in Print- und elektronischen Medien. Auch wenn Sarrazin sich jetzt angeblich distanziert – sein Buch »Deutschland schafft sich ab« wird weiter durch die Verlagspressen laufen, seine Thesen werden weiter gelesen. Und noch am 12. April erklärte er bei einem Auftritt in der Industrie- und Handelskammer in Berlin: »Ich stehe zu allen Aussagen. Ich nehme kein Jota zurück.«
Die Erklärung selber entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein sehr halbherziges Eingeständnis. So weist Sarrazin zwar von sich, gefordert zu haben, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Die Formulierung sozialdarwinistischer Theorien an sich bleibt aber demnach im Rahmen der Meinungsfreiheit innerhalb der Sozialdemokratie. Er bemüht sich zu negieren, dass seine Aussagen über bestimmte Migrantengruppen diskriminierend sein sollten – vielmehr habe er lediglich Defizite ansprechen und sogar den Migranten bei ihrer Integration behilflich sein wollen. Doch auch hier wird die eugenische und rassistische Denkweise wiederholt, wenn er sagt »Vielmehr sollten meine Thesen auch der Integration von Migrantengruppen dienen, die bislang aufgrund ihrer Herkunft, sozialen Zusammensetzung und Religion nicht bereit oder in der Lage waren, sich stärker zu integrieren« und damit also behauptet, eine bestimmte Religion oder Herkunft mache eine gute Integration unmöglich. Sarrazin versicherte zwar, er werde bei künftigen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen. Gleichzeitig ließ er es sich nicht nehmen, auch noch in dieser Erklärung trotzig darauf zu beharren, im Recht zu sein: Sollten sich Mitglieder der SPD in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedauere er dies, auch wenn er der Meinung sei, dass sein Buch dazu keine Veranlassung gegeben habe.
Eine insgesamt halbherzige Erklärung also, die den Eindruck erweckt, Sarrazin bleibe im Kern seinen Thesen treu, bemühe sich aber zukünftig um sanftere Formulierungen.
Das Problem ist aber grundlegender und geht über Thilo Sarrazin als Einzelperson hinaus; es ist das zugrunde liegende neoliberale Politikverständnis, das in der SPD seit Verkündung der Agenda 2010 immer mehr um sich greift: ein Politikverständnis, das Armut und Joblosigkeit individualisiert und das Bürger notfalls auch mit Kontrolle und Zwang leistungsbereit und ausbeutbar machen will. So vertrat Parteichef Sigmar Gabriel als einer der schärfsten parteiinternen Kritiker Sarrazins in einem Interview die Ansicht: »Aber natürlich müssen wir auch fordern. Egal ob Deutscher oder Ausländer: Wer seine Kinder nicht regelmäßig und pünktlich in die Schule schickt, dem schicken wir die Polizei vorbei und der zahlt auch empfindliche Bußgelder – auch dann, wenn er Hartz-IV-Bezieher ist.« (Spiegel online, 20.09.2010)
Bei der Causa Sarrazin haben anscheinend wahltaktische Überlegungen eine Rolle gespielt, in denen die Stimmen von Migranten gegenüber herkunftsdeutschen Wählern abgewogen wurden und vermieden werden sollte, diejenigen zu brüskieren, die Sarrazin eventuell Recht geben würden. Es ist aber ein Irrglaube, dass der Kampf gegen Rassismus ein Nebenkriegsschauplatz sei, wo man es mit den Parteigrundwerten mal nicht so ernst nehmen müsse. Wer so denkt, der verkennt die Ursache und die Funktionsweise von Rassismus: Eine Teile- und Herrsche-Politik, die die Bevölkerung spalten soll und wo Sündenböcke gefunden werden, um die wahren Ursachen von Krisen und Armut, nämlich Klassengegensätze und Eigentumsverhältnisse, zu verschleiern, das sind die Gründe für Rassismus und nicht etwa möglicherweise sogar »begründete Ängste der Mehrheitsgesellschaft.«
Besonders in ökonomischen Krisenzeiten wird von den Herrschenden auf Rassismus zurückgegriffen. Vor dem Hintergrund des globalen Kriegs gegen den Terror ist antimuslimischer Rassismus derzeit die prägnanteste Form von Rassismus und nicht nur in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen, wie die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in zwei aktuellen Studien –»Die Mitte in der Krise« (2010) und »Die Abwertung des Anderen« (2011) – mit Besorgnis feststellt und angesichts der Verunsicherung durch die Wirtschaftskrise gar die demokratische Gesellschaft in Gefahr sieht.
Die Spaltungen in der Gesellschaft aber schaden schließlich allen, die für ein menschenwürdiges Leben und Verteilungsgerechtigkeit kämpfen. Daher brauchen wir Solidarität und keine Spaltung! DIE LINKE wird sich auch weiterhin kompromisslos und unmissverständlich mit allen, die dazu bereit sind, an der Seite der Entrechteten und Marginalisierten positionieren, gleich welcher Herkunft oder Religion. Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Wegbereiter zu Verbrechen.
(Quelle: DIE LINKE)
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