Die Tarifrunde der IG Metall wird von der Finanzkrise und einem drohenden wirtschaftlichen Abschwung überschattet. marx21 sprach mit Tom Adler über die Stimmung an der Basis.
marx21: Jahrelang wurde den Beschäftigten gepredigt, den Gürtel enger zu schnallen. Jetzt stellen CDU und SPD plötzlich Milliarden an Steuergeldern für die Rettung der Pleitebanken bereit. Was denken die Kolleginnen und Kollegen darüber?
Tom Adler: Da haben viele ihr Aha!-Erlebnis gehabt. Kaum einer hält Lohnverzicht unter diesen Umständen für vertretbar. Die IG-Metall-Führung spricht von »gefühlter Ungerechtigkeit«. Damit trifft sie die Stimmung in den Betrieben. Der ohnehin schon vorhandene Zorn auf die Politik von Kapital und Kabinett wird durch diese Sozialisierung der Verluste noch größer. Die Möglichkeiten für Linke, Bewusstseins- und Lernprozesse gegen die bestehenden Verhältnisse anzustoßen, sind jedenfalls so groß wie seit langem nicht.
IG-Metall-Chef Berthold Huber meint, bei dieser Tarifrunde gehe es vor allem um mehr Geld. Die Gewerkschaftsführung würde auch eine Einmalzahlungen nicht ablehnen. Siehst du das genauso?
Natürlich geht es um mehr Geld. Die Metall- und Elektroindustrie hat vergangenes Jahr Gewinne von 47,7 Milliarden Euro gemacht – eine Verdreifachung seit 2003. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten für die Beschäftigten deutlich. Deshalb sind die Erwartungen hoch. Die Forderungen waren ja auch in etlichen Betrieben und Verwaltungsstellen noch deutlich höher als acht Prozent. Allerdings sind Einmalzahlungen Unfug, denn bekanntlich sind steigende Lebenshaltungskosten auch keine Einmal-Ereignisse, sondern dauerhaft. Deshalb müssen Lohnerhöhungen »tabellenwirksam« sein, das heißt die Löhne dauerhaft und als Bezugsbasis für die nächste Lohnrunde erhöhen. Wenn oben drauf noch Einmalzahlungen kämen, hätte sicher niemand ein Problem damit. Tatsächlich werden Einmalzahlungen aber immer benutzt, um die dauerhaft tabellenwirksamen Lohnerhöhungen zu drücken und das dann noch schön zu rechnen.
Die Arbeitgeber behaupten, dass die hohen Lohnforderungen Arbeitsplätze gefährden und sich die Gewerkschaften damit selbst schaden. Bei hohen Lohnabschlusse müssten die Unternehmen Arbeiter entlassen. Lassen sich die Kolleginnen und Kollegen von solchen Argumenten beeindrucken?
Nein. Jeder spürt an den eigenen Knochen und Nerven, dass immer weniger immer mehr arbeiten müssen, weil Personal abgebaut wurde und wird – obwohl die Lohnquote auf Rekordtief ist und die Reallöhne gesunken sind. Die Glaubwürdigkeit dieser Argumente ist durch die gemachten Erfahrungen ziemlich ramponiert. Entscheidend wird vielmehr sein, wie die IG Metall die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen gegen die Wirkung realer Krisenerfahrung aufrechterhalten kann. Denn ob die Erwartungen unter dem täglich spürbarer werdenden Druck der Rezession bröckeln, hängt nicht zuletzt davon ab, wie die IG Metall agiert. Leider tut die Führung so, als hätte der Crash des Finanzkapitals kaum Einfluss auf die Realwirtschaft. Eine solche Argumentation stärkt den Kolleginnen und Kollegen nicht den Rücken. Die Rezession ist Realität, da hilft kein Abwiegeln – diese Realität spüren wir in der Autoindustrie heute schon durch etliche Ausfallschichten. Doch wenn Absatz und Produktion zurückgehen, Ausfallschichten sich häufen oder Lager randvoll werden, kann das Vertrauen in die eigene Durchsetzungsfähigkeit bröckeln. Dem entkommt man nur durch eine offensive Verbindung der Lohnforderung mit Kapitalismuskritik. Plakativ gesagt: Wir kämpfen, für das, was wir dringend brauchen, denn was wir uns holen, können die Kapitalisten nicht mehr verbrennen. Im Moment arbeitet die Zeit für die Unternehmer. Um die Kampfbereitschaft zu stabilisieren und zu fördern, müsste noch mehr aufs Tempo gedrückt werden. Der Zeitplan der IG Metall ist viel zu langsam.
Zur Person:
Tom Adler ist Mitglied der IG Metall und Betriebsrat im Daimler-Werk Untertürkheim bei Stuttgart. Er ist Mitbegründer der Betriebsgruppe »Liste alternative«.
Mehr im Internet:
- IG Metall-Info: »Fünf gute Gründe für eine kräftige Tariferhöhung«
- Gewerkschaftszeitung »alternative« für die Kolleginnen und Kollegen im Daimler-Werk Untertürkheim