Die Italiener haben ihre Wahlen für einen Protest gegen die herrschende Politik genutzt. Hans Krause erklärt, warum es leider kein linker Protest ist
»Das Ende der Dritten Republik« ist die Überschrift eines aktuellen Textes auf Beppe Grillos in ganz Italien bekannten Internet-Blog. Er könnte Recht haben, soweit das möglich ist. Denn diese Zeile ist auf Grillos typische Art gleichzeitig politische Parole als auch spaßiges Veralbern der regierenden Politiker.
Denn die »Dritte Republik« hat es in Italien nie gegeben oder sie war sehr kurz. Der Begriff stammt nicht aus der Geschichtswissenschaft, sondern wurde 2011 von einigen Medien erfunden, als Silvio Berlusconi scheinbar endgültig aus der Regierung verschwand und der neue Ministerpräsident Mario Monti zum Heilsbringer Italiens verklärt wurde.
Montis Kürzungsprogramm
In Wirklichkeit beschloss Montis Regierung das größte Kürzungsprogramm Italiens seit 1945 mit Steuererhöhungen und Rentenkürzungen für die Arbeiterklasse. Er verschlechterte den Kündigungsschutz und führte eine Schuldenbremse ein.
Während die deutschen Medien Monti zum »Super-Mario« hochjubelten, stieg die offizielle Arbeitslosigkeit auf 11 Prozent und die Staatsverschuldung auf den höchsten Stand der Geschichte. Die Wirtschaft schrumpfte 2012 um 2,3 Prozent. Für dieses Jahr werden -1 Prozent vorhergesagt. Schon im Dezember 2011 organisierten die drei großen Gewerkschaften das erste Mal seit Jahren einen gemeinsamen Generalstreik.
Fast alle Parteien für Kürzungen
Die meisten Italiener hatten in Umfragen vor Montis Amtsantritt noch Vertrauen in ihn. Wegen dieser marktliberalen Politik bekam seine Partei »Bürgerliche Wahl« jetzt aber nur 8,3 Prozent. Dass auch alle anderen Parteien im bisherigen Parlament Stimmen verloren, liegt hauptsächlich an ihrer Unterstützung für Monti.
Denn nur scheinbar war der Ministerpräsident ein parteiloser Technokrat. Tatsächlich war Monti der Kandidat, auf den sich nach Berlusconis Rücktritt 2011 fast alle Fraktionen verständigten, um die angestrebten Kürzungsprogramme durchzusetzen.
Nur die rechtsradikale »Lega Nord« stimmte im Parlament grundsätzlich gegen seine Gesetze. Die linken Parteien waren seit ihrer katastrophalen Wahlniederlage 2008 nicht im Parlament vertreten.
Berlusconi auferstanden
Die sozialdemokratische »Demokratische Partei« (DP) unter Pier Luigi Bersani brach im Vergleich zur letzten Wahl 2008 von 12 auf 8,6 Millionen Stimmen ein. Berlusconis konservative Partei »Volk der Freiheit« halbierte ihre Stimmen von 14 auf 7,3 Millionen oder 22 Prozent.
Allerdings war Berlusconi in den Umfragen im Januar bis auf 14 Prozent abgestürzt und konnte sich durch rechte Kritik an EU, Euro und deutscher Regierung wieder hocharbeiten. Die »Lega Nord« sank von 3 auf 1,4 Millionen.
Linke verlor erneut
Die Parteien links von der DP erhielten schon 2008 das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte und haben jetzt erneut verloren. Damals trat das linke Wahlbündnis Regenbogen, bestehend aus »Rifondazione Comunista«, der historischen kommunistischen Partei »PdCI«, den Grünen und »Sinistra Democratica« (Demokratische Linke) an. Es erhielt 1,1 Millionen Stimmen oder 3,1 Prozent und dadurch keine Abgeordneten im Parlament. Die ersten drei Parteien sind diesmal als »Zivile Revolution« angetreten. Sie scheiterten mit 770.000 Stimmen oder 2,2 Prozent am Einzug ins Parlament.
»Sinistra Democratica« hatte für diese Wahl eine neue Liste gegründet: »Linke, Ökologie, Freiheit«. Sie selbst erhielt 1,1 Millionen Stimmen oder 3,2 Prozent. Nur durch das Wahlbündnis mit der DP reichte das für 37 Abgeordnete.
Historisch schlechtes Ergebnis
Gleichzeitig hat sich die liberale Partei »Italia dei Valori« nach links bewegt. Sie hat das Bündnis mit den Demokraten von 2008 verlassen und sich diesmal der »Zivilen Revolution« angeschlossen.
Die Parteien der heutigen Linken hatten 2008 bei der Wahl zur Abgeordnetenkammer also insgesamt 2,7 Millionen Stimmen: 1,1 Millionen für das Regenbogenbündnis und 1,6 Millionen für »Italia dei Valori«. Jetzt kommen die gleichen Parteien zusammen nur noch auf 1,8 Millionen Stimmen.
Schwache Sozialdemokraten
Die Wahlbeteiligung war mit 75 Prozent die niedrigste seit 1945, obwohl viele Medien eine Schicksalswahl für die Nation ausriefen. Wegen dieser Verluste an Stimmen ist es lächerlich, dass die Medien Bersani und seine »Demokratische Partei« zum Wahlsieger erklären, die nur wegen des unfairen Wahlsystems nicht regieren könne.
In Wirklichkeit sind die Sozialdemokraten nicht mal stärkste Partei, es sei denn, man zählt die Stimmen von »Linke, Ökologie, Freiheit« hinzu, weil beide ein machtpolitisches Wahlbündnis gebildet haben.
Wahlsieger Beppe Grillo
Denn der tatsächliche Wahlsieger ist die »5-Sterne-Bewegung« unter der Führung von Beppe Grillo. Die 2009 gegründete Partei erreichte bei ihrem ersten Antritt 8,7 Millionen Stimmen oder 26 Prozent und damit die höchste Stimmenzahl aller Einzelparteien.
Grillo war bereits Ende der 80er Jahre Kabarettist und dafür bekannt, alle Parteien ungewöhnlich scharf als kriminell zu beschimpfen. Damals verschwanden sowohl die christdemokratische als auch die sozialdemokratische Partei nach riesigen Korruptionsfällen in der Bedeutungslosigkeit. Anfang der 90er Jahre verbannten die Fernsehsender Grillo weitgehend aus dem Programm und es gelang ihm, sich zur mythischen Figur aufzubauschen, die angeblich für die betrogenen und benachteiligten der Gesellschaft steht.
Von der Linken enttäuscht
Grillos Hauptthema, die Kriminalität der Politiker, erschien vielen Italienern erneut als zentrales Problem, als im 21. Jahrhundert immer mehr Verbrechen von Ministerpräsident Berlusconi bekannt wurden. Nachdem ab 2006 eine Regierung aus links-liberalen, sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien unter Romano Prodi für viele ebenso enttäuschend war wie Berlusconi, begann Grillo im Internet mit der Mobilisierung von Kampagnen und Demonstrationen.
In seiner typischen Mischung aus Comedy und politischem Protest rief Grillo 2007 dazu auf, in ganz Italien, an die Politiker gerichtet, den »Vaffanculo-Day« zu feiern. Auf Deutsch bedeutet das in etwa »Arsch-leck-Tag«.
Zwei Millionen Menschen kamen zu den Kundgebungen im ganzen Land. Die Plätze der Städte waren voller als nach dem Sieg der italienischen Fußballmannschaft im Finale der Weltmeisterschaft ein Jahr zuvor. Und Beppe Grillo war endgültig einer der größten Stars des Landes.
Gegen die Gewerkschaften
Auch in der jetzigen Kampagne setzte Grillo auf Massenkundgebungen auf der Straße und aufs Internet. Zu seinem Wahlkampfabschluss in Rom kamen Hunderttausende.
Grillos ausschließlich italienische Facebook-Seite »gefällt« 1,2 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Bei Angela Merkel sind es 230.000.
Seine Auftritte sind sehr unterhaltsam und wechseln innerhalb von Minuten zwischen linken, rechten oder grünen Forderungen oder solchen, die man in Deutschland mit der Piratenpartei verbinden würde. Im Wahlkampf hat Grillo vor allem gegen die Kürzungspolitik Montis und gegen den Euro gewettert. Jedoch zählt der Kabarettist beispielsweise auch pauschal die Gewerkschaften zu den kriminellen Mächtigen, die man »davonjagen« müsse.
Widersprüchliche Bewegung
Einerseits fordert Grillo Basisdemokratie und Volksabstimmungen über alle politischen Fragen. Andererseits führt er seine Partei diktatorisch und hat letztes Jahr die Stadträtin Federica Salsi aus der Partei ausgeschlossen, weil sie gegen seinen Willen an einer Fernsehtalkshow teilgenommen hatte.
Einerseits hat der sozialistische Literaturnobelpreisträger Dario Fo Wahlkampf für Grillo gemacht. Andererseits schrieb Roberta Lombardi, neue Abgeordnete der »5-Sterne-Bewegung«, im Januar: »Bevor die faschistische Ideologie degeneriert ist, hatte sie einen sozialistisch inspirierten Sinn für nationale Gemeinschaft und großen Respekt vor dem Staat und dem Schutz der Familie.«
Unterstützung aus linken Hochburgen
Grillo ist kein Linker, aber in ehemals linken Hochburgen haben ihn besonders viele Menschen gewählt. Die »Demokratische Partei« hatte angekündigt, Montis Kürzungspolitik weiterzuführen. Trotzdem bildete die »Linke, Ökologie, Freiheit« mit ihr ein Wahlbündnis, um »auch gewinnen und regieren« zu können, wie Spitzenkandidat Nichi Vendola erklärte. Für das Bündnis unterschrieb er einen Text, in dem er zusagte, alle EU-Verträge einzuhalten und die Euro-Währung zu verteidigen.
Die linke »Zivile Revolution« war hingegen eine Wahlliste verschiedener kleiner sozialistischer, links-grüner und links-liberaler Parteien. Dabei lehnte die »Rifondazione Comunista« das Kürzungsdiktat der EU scharf ab. Die »Partei der Italienischen Kommunisten« kündigte jedoch an, eine Regierung der »Demokratischen Partei« zu unterstützen. Spitzenkandidat war der parteilose Staatsanwalt Antonio Ingroia, der für seinen Kampf gegen Mafia und Korruption bekannt ist, nicht jedoch für soziale Politik, geschweige denn für die Mobilisierung von Streiks und Demonstrationen.
Grillo gewinnt dank Schwäche der Linken
Insgesamt ist es den linken Parteien nicht gelungen, sich als Alternative zum marktliberalen, korrupten und mafiösen politischen System in Italien darzustellen. Ein Grund ist, dass die »Rifondazione Comunista« bis 2008 an der Regierung Romano Prodis beteiligt war und damals im Parlament für Krieg und Kürzungen gestimmt hat.
Das alternative Image konnte sich stattdessen Beppe Grillo zulegen, indem er Medien, Sprache und Stil antikapitalistischer Bewegungen kopierte und sich nur zu gerne von links bis rechts als »Populist« beschimpfen ließ. Sein Wahlsieg ist Folge der Niederlage der Linken, die teilweise zu Recht für staatstragend gehalten werden.
Systemkritisch muss es sein
Bisher hat Grillo sein Versprechen gehalten und jede Regierungsbeteiligung abgelehnt. »Demokratische Partei« und »Linke, Ökologie, Freiheit« werden voraussichtlich eine Minderheitsregierung bilden, die die Kürzungspolitik weiterführt und das Vertrauen in linke Politik weiter schwächt.
Doch trotz Grillos Wahlsieg ist es unwahrscheinlich, dass seine »5-Sterne-Bewegung« lange stabil bleibt und viele Menschen begeistert. Ähnlich wie die deutsche »Piratenpartei« hat die Organisation kaum ideologische Grundlagen und das Interesse der Menschen gilt fast nur der Person Grillo. Dieser hat sich vorsichtshalber das Urheberrecht für Name und Logo der Partei gesichert.
Sollte die Begeisterung für Grillo abnehmen, bietet sich eine neue Chance für die Linken, viele Menschen für eine große, antikapitalistische Kraft zu gewinnen, die die Plätze Italiens für den Kampf gegen Kürzungen der Regierung und die Herrschaft der Banken und Konzerne zurückerobert. Doch diese Kraft muss sich als Gegner des Systems zeigen, statt als Partner der marktliberalen Sozialdemokratie.
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