In Berlin tobt derzeit ein stadtpolitischer Kampf um das Tempelhofer Feld. Es geht um die Frage, wem die Stadt gehört, den Menschen oder den Investoren? Sollte der Volksentscheid erfolgreich sein, wird er weiteren Widerstand und andere stadtpolitische Initiativen beflügeln.
Von Lucia Schnell
Am 25. Mai wird parallel zur Europawahl über die Zukunft des ehemaligen Flughafens Tempelhof abgestimmt. Die Bürgerinitiative „100% THF“ hat über 185.000 gültige Unterschriften für das Volksbegehren für den Erhalt des beliebten Freizeit- und Naherholungsgebiets gesammelt – mit wenig Geld, aber einer beispielhaften Aktivität von Anwohnerinnen und Anwohnern. Die Bürgerinitiative will die Bebauung und Privatisierung gesetzlich ausschließen.
Der SPD/CDU-Senat will sich damit nicht abfinden und stellt ein eigenes Gesetz zur Abstimmung. Fast wörtlich sind Passagen aus dem Gesetz der Initiative entnommen. So heißt das Gesetz der Bebauungsgegner „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“, während der Senat sein Gesetz als „Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes“ nennt. Von Bebauung ist auch nicht die Rede, sondern von „Randentwicklung“.
Ein klassischer Wolf im Schafspelz
Kurzum, das Senatsgesetz sieht dem Original zum Verwechseln ähnlich, bedeutet aber das genaue Gegenteil: Privatisierung und Bebauung mit einer „Freifläche“, d.h. einem Kommerz- und Event-Park in der Mitte. Ein klassischer Wolf im Schafspelz. Der Senat untergräbt die direkte Demokratie, in dem er absichtlich die Wähler verwirrt.
Die Propagandamaschine des Senats läuft auf allen Ebenen an: Wohnungsneubau auf dem Tempelhofer Feld wird zur Existenzfrage Berlins hochgejubelt, obwohl es anderswo genügend Bauflächen gibt. Behutsame Bebauung wird versprochen, obwohl Zehngeschosser im Gespräch sind. Das Wiesenmeer soll angeblich erhalten werden, obwohl die Bebauung den Charakter des Feldes nachdrücklich verändern würde. Und angeblich dürfte bei 100% Tempelhofer Feld nicht mal eine Parkbank oder ein Sonnenschirm aufgestellt werden. Der Senat verharmlost seine eigenen Master-Planungen und verbreitet Fehlinformationen.
Der Senat will das öffentliche Feld privatisieren
Das Feld ist als kostenloses Erholungsgebiet für viele Tausend Menschen aus den angrenzenden und sehr dicht besiedelten Gebieten besonders wichtig. Die Mehrheit der Kinder in Nord-Neukölln muss von Hartz IV leben. Viele Neuköllner können sich keinen Urlaub leisten, manche können ihren Kiez selten bis nie verlassen. Der Volksentscheid kann die Privatisierung an Investoren verhindern und das Feld für alle erhalten.
Der Senat plant zu 82 % Luxusbebauung
Versprochen sind 850 Wohnungen von 6 bis 8 Euro Netto-Kaltmiete pro Quadratmeter – von städtischen Wohnungsgesellschaften gebaut. Dies ist kein „bezahlbarer Wohnraum“, wie der Senat behauptet, und schon gar keine Sozialwohnungen. Es sind teure Wohnungen, die den Mietspiegel weiter nach oben treiben. Diese Preisbindung gilt zudem nicht dauerhaft. Es ist illusorisch, dass diese 850 preisgebundenen Wohnungen auf dem Feld den Wohnungsmarkt in Berlin entspannen. Sie sind ein schlechtes Feigenblatt, um die Bebauung des Tempelhofer Felds gegen den Widerstand der anliegenden Bevölkerung durchzusetzen.
Die übrigen 3.850 von den insgesamt 4.700 Wohnungen – also 82 Prozent der Neubauten – sollen Luxuswohnungen sein. Nur ein Drittel der gesamten Bebauung sollen zu Wohnungen werden, der Rest sind Gewerbe, Zufahrten und Bibliothek. Senatsvertreter werben bereits auf internationalen Immobilienmessen um Investoren für das Feld.
Gleichzeitig lässt SPD-Bausenator Müller auch in anderen Stadtteilen keine Sozialwohnungen bauen. 200.000 städtische Wohnungen wurden in den vergangenen Jahren privatisiert. Diese Politik bei gleichzeitigem Bau von Luxuswohnungen lassen die Mieten in ganz Berlin steigen.
Es gibt Alternativen zur Bebauung des Tempelhofer Felds
Der Senat listet in Berlin ausgewiesene Bauflächen für Wohnen und Gewerbe mit 2.900 Hektar auf, also ein Vielfaches des Tempelhofer Felds. Diese Flächen sind preiswerter als das Feld, das besonders hohe Erschließungskosten hat: 600 Millionen Euro will das Land Berlin für die Bebauung und Erschließung zahlen. Alle Berliner würden somit den Bau der teuren Wohnungen und Gewerbegebäude auf dem Tempelhof subventionieren.
Der Vorschlag des Senats ist kein Zugeständnis
Der Senat verkauft sein Gesetz, 230 Hektar unbebaut zu lassen, als Zugeständnis, aber seine Bebauungspläne hat er nicht um einen Millimeter geändert. Gerade die Ränder des Feldes werden stark benutzt, ob zum Joggen, Grillen oder Picknicken, weil sie in der Nähe der Siedlungen liegen. Das Besondere am Feld ist seine Größe. Es versorgt die Stadt mit Frischluft und kühlt sie an heißen Sommertagen ab. Dies ginge mit der Randbebauung verloren.
Volksbegehren beflügeln den Widerstand
Die Bürgerinitiative „100% THF“ baut auf den Erfahrungen von vergangenen Volksbegehren auf. Die Kampagne des „Wassertisches“ zur Offenlegung der Geheimverträge der Berliner Wasserprivatisierung war bisher der einzige erfolgreiche Volksentscheid in der Hauptstadt. Sie hat den Widerstand gegen Privatisierung in ganz Europa begeistert – zum Beispiel die erfolgreiche EU-weite Petition Right-to-water (Recht auf Wasser), die 2 Millionen Unterschriften gegen Wasserprivatisierung gesammelt hat, darunter 1,4 Millionen in Deutschland.
In Berlin gibt es nach dem erfolgreichen Volksentscheid immerhin zaghafte Rückzahlung der überhöhten Wasserrechnungen an alle Haushalte. Und der Senat kauft die Wasserbetriebe zurück – allerdings zu investorenfreundlichen Preisen. Das Ziel des Wassertisches war dagegen, einen preiswerten Rückkauf aufgrund der illegalen Geheimverträge zu erzwingen. Das zeigt auch, dass der Kampf nach einem erfolgreichen Volksentscheid weitergeht.
Bei Vattenfall knallten die Korken
Letzten Herbst scheiterte der Volksentscheid des „Energietisches“ zur Rekommunalisierung der Berliner Energie und des Energienetzes knapp. Der Senat verlegte den Abstimmungstermin in den grauen November statt auf den Bundestagswahltermin. Sagenhafte 599.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten für die Rekommunalisierung: 24,1 Prozent der Wahlberechtigten, aber 0,9 Prozent zu wenig, um dem Gesetz Gültigkeit zu geben. Daraufhin knallten beim Stromkonzern Vattenfall die Korken. Die Rendite war gesichert.
Anders in Hamburg, wo im September 2013 mehr als 50 Prozent gegen den Senat für die Rekommunalisierung stimmten – am Tag der Bundestagswahl und gegen SPD und CDU. Nur LINKE und Grüne unterstützten in Hamburg wie in Berlin die Rekommunalisierung. Mit Erfolg: In Hamburg trat kürzlich eine SPD-Bezirksvorsitzende zur LINKEN über, die im Volksentscheid gegen ihre Partei für die Rekommunalisierung gekämpft hatte.
Einer stadtpolitische Vernetzung ist nötig
In Berlin konnte der Senat beim Volksbegehren Tempelhofer Feld nicht noch einmal den Abstimmungstermin von einem Wahltag weglegen, ohne weiter Glaubwürdigkeit einzubüßen. Deshalb geht er neben dem Verwirrspiel auf dem Stimmzettel jetzt in die ideologische Offensive, um das Bedürfnis nach bezahlbaren Wohnungen gegen das Bedürfnis nach Grünfläche auszuspielen.
Das macht die Bürgerinitiative nicht mit und greift den Mythos von bezahlbarem Wohnraum auf dem Feld frontal an. Die Aktiven der Bürgerinitiative haben bei der Sammlung von über 200.000 Unterschriften viele Erfahrungen in den Gesprächen auf Straßen und Plätzen gesammelt. Eine Lehre war, die Argumente, die der Senat in den Medien verbreitet, direkt zu kontern. Zu den ökologischen Argumenten für den Erhalt des Wiesenmeers kamen die sozialen Argumente um die Mietenpolitik.
Der Senat sollte privatisierte Wohnungen zurückkaufen
Nun setzt die Bürgerinitiative dem Berliner Filz von Senat und Unternehmen eine eigene Vernetzung von unten entgegen. Sie verbindet sich mit Mieterinitiativen und anderen Anwohner-Initiativen zum Erhalt von Parks und Grünflächen. LINKE, Grüne und Piraten unterstützen den Volksentscheid – nach anfänglichem Zögern. DIE LINKE Neukölln und Tempelhof-Schöneberg, die beiden anliegenden Bezirke, haben das Volksbegehren von Anfang an unterstützt und sehr wertvolle Erfahrungen an den Infoständen und mit der Bürgerinitiative gesammelt. DIE LINKE tut gut daran, den Volksentscheid in alle Bezirken zu unterstützen, um dem Schwindel der SPD nicht durchgehen zu lassen und SPD-Anhänger für den gemeinsamen Kampf für soziale Mieten zu gewinnen.
Denn seit der Eurokrise drängen vermehrt Immobilienspekulanten nach Berlin und treiben die Mieten hoch. Der Markt ist nicht in der Lage, die Bedürfnisse der Mieterinnen und Mieter nach bezahlbarem Wohnraum zu befriedigen. Deshalb sollte Wohnen eine öffentliche Aufgabe sein. Der Senat sollte privatisierte Wohnungen zurückkaufen. Die vorhandenen Wohnungen müssen zu bezahlbarem Wohnraum werden. Leerstand, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und Ferienwohnungen müssen verboten werden. Mit gesetzlichen Regelungen wie Milieuschutz müssen die Interessen der Mieter durchgesetzt werden. Der Volksentscheid ist ein erster Schritt, um Luxuswohnen auf Kosten der Allgemeinheit zu verhindern und die größte Grünfläche der Stadt zu erhalten. Mit den Geldern für die Erschließung des Feldes könnte stattdessen wirklich sozialer Wohnraum geschaffen werden.
Der Text basiert auf einer kürzeren Version der NEUKöllnisch, der Bezirkszeitung der LINKEN Neukölln.
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