Eine neue Generation von Feministinnen macht auf sich aufmerksam und kritisiert die alte Frauenbewegung um Alice Schwarzer. Anlässlich des Internationalen Frauentages stellt Katrin Schierbach deren wichtigste Bücher vor.
Feminismus ist wieder in. Aber nicht der alte, moralinsaure Feminismus einer Alice Schwarzer – oder »Buchhalter-Feminismus«, wie ihn ihre jungen Widersacherinnen nennen. Sondern ein neuer, »zeitgemäßer« Feminismus. Seine Vertreterinnen leben mit Männern in gleichberechtigten Partnerschaften, teilen sich Haushalt, Karriere und Kinder und haben Pornos für sich entdeckt.
Gleich mehrere Autorinnen dieses neuen Feminismus machten in den vergangenen zwei Jahren auf sich aufmerksam. »Wir Alphamädchen«, »Die neue F-Klasse« oder „Neue deutsche Mädchen« heißen ihre Bücher, die begeistert in den Feuilletons aufgenommen wurden. Auch die Rapperin Lady Bitch Ray oder die ehemalige Fernsehmoderatorin Charlotte Roche, deren umstrittener Roman »Feuchtgebiete« mit mehr als einer Million verkauften Exemplaren der Bestseller des Jahres 2008 war, gehören zu diesen neuen Feministinnen.
Unter dem Slogan »Die Gleichheit ist noch weit entfernt« knüpft diese neue Generation durchaus positiv an den Errungenschaften der Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte an. Zugleich halten sie aber Alice Schwarzers Rolle und ihr Verhalten als »Oberbossin« des deutschen Feminismus für unangebracht. So erklärte Roche in einem Interview mit dem Spiegel: »Junge Feministinnen müssen Alice Schwarzer für viel dankbar sein, zum Beispiel dafür, dass Frauen ihre Männer nicht mehr fragen müssen, ob sie arbeiten gehen dürfen. Bei vielen ihrer neuen Kampagnen (…) können wir aber nicht mehr mitgehen.« Für viele der Akteurinnen des neuen Feminismus war etwa Schwarzers Werbung für die Boulevardzeitung Bild eine unmögliche Tat.
Kritik am bisher Erreichten
Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl – die Autorinnen von „Wir Alphamädchen«, dem besten Buch der neuen Feministinnen – kritisieren, dass Alice Schwarzer und viele andere Frauenrechtlerinnen, die in die etablierte Politik gegangen sind, sich mittlerweile mit kleinen Fortschritten arrangiert hätten. Als Beispiel hierfür nennen sie die letzten beiden Bundesregierungen, die oftmals nur seichte Freiwilligkeitserklärungen von den Unternehmen nach mehr Frauenförderung, gleichen Löhnen und mehr Engagement bei der Kinderbetreuung verlangten, diese für die Gleichberechtigung wesentlichen Punkte aber nie durchgesetzt hätten.
Für die drei Autorinnen sind nicht Männer, sondern gesellschaftliche Hindernisse das Grundproblem: »Viele Männer unseres Alters haben den gleichen Wunsch. Gemeinsam mit ihnen wollen wir unser Leben gleichberechtigt managen – jeder verdient die Hälfte des Geldes, jeder kümmert sich zur Hälfte um die Kinder und um den Haushalt. Zwischen uns und diesem Plan stehen nur eine ganze Menge Hindernisse: ungleiche Löhne, fehlende Krippenplätze, gesellschaftliche Rollenmuster und nicht zuletzt wir selbst, wenn wir nichts gegen rückständige Verhältnisse unternehmen, sondern sich jede für sich mit allem arrangiert.«
Hervorragend sind die Angriffe der Autorinnen auf den Biologismus – eine Theorie, mit deren Hilfe gesellschaftliche Missverhältnisse zementiert werden sollen, indem Verhalten und Rollenmuster mit den unterschiedlichen Genen von Mann und Frau erklärt werden. Am deutlichsten zeigt sich diese Tendenz in Trivialliteratur à la »Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken«. Diese angeblichen genetischen Unterschiede werden dann als Rechtfertigung für ungerechte gesellschaftliche Strukturen herangezogen (wobei in der wissenschaftlichen Diskussion Größe und Relevanz der Unterschiede höchst umstritten sind). Hier liegt eine der Stärken von „Wir Alphamädchen«: Die Autorinnen zeigen, dass Männer und Frauen in ihrem Verhalten und in ihren Rollen in der Gesellschaft auch von dieser geprägt werden und ihre Rollen im Laufe ihres Lebens erlernen – und die Gene eben nicht alles bestimmen.
Auch in die Demographiedebatte mischen sie sich ein und kritisieren konservative Ansichten. Es stinke »nach Standesdünkel, wenn nicht nur über zu wenige Kinder geklagt wird, sondern auch darüber, dass die Falschen die Kinder bekämen – Einwanderer oder Sozialhilfeempfänger. Sollte es nicht egal sein, aus welcher sozialen Schicht die Physikerinnen und Literaten von morgen kommen?« Die Autorinnen zeigen auch, wie dünn die Argumente der Panikmacher für das neue Elterngeld sind. So führen sie Studien an, die aufzeigen, dass Akademikerinnen nicht deutlich weniger Kinder bekommen als Nicht-Akademikerinnen.
Der bisher vorherrschenden feministischen Pornographiedebatte werfen sie vor, dass sie drei große Schwächen habe: »Erstens gibt es nach wie vor keinen Beweis dafür, dass Pornokonsum Gewalt verursacht. (…) Zweitens haben feministische Pornogegnerinnen ihr Material immer so ausgewählt, dass es ihre Thesen stützte. (…) und das ist der dritte große Fehler: Was mit der weiblichen Sexualität ist, hat für die Pornogegnerinnen nie eine Rolle gespielt.« Und: »Das Problem ist nicht, dass es Pornographie gibt, sondern wie sie gemacht wird.« Gute Pornographie auch für Frauen sei hingegen zu begrüßen.
Haaf, Klingner und Streidl kritisieren dabei zutreffend das Herangehen Alice Schwarzers an Pornographie, die in jener eine Ursache und ein Mittel der Frauenunterdrückung sieht. Sie übersehen dabei aber einen entscheidenden Punkt: Sexualität wird in Pornos immer losgelöst von menschlichen Beziehungen dargestellt. Die englische Aktivistin Sheila McGregor, die Pornographie ebenfalls nicht als moralische, zu tabuisierende Erscheinung begreift, beschreibt die ihr zugrunde liegende Problematik treffender: Pornographische Darstellungen „handeln nicht von Sex, bei dem ein Mensch auf den anderen reagiert, sondern sie porträtieren einen physischen Akt für einen anonymen Betrachter. Solche Filme zeigen Sex in einer völlig entfremdeten, objektivierten Form. Sie sind ein Spiegelbild einer Gesellschaft, für die Sex eine Ware geworden ist und in der Frauenunterdrückung immer noch mit jeder Facette des Lebens fest verknüpft ist.«
Schwarzer hält sich zurück
Alice Schwarzer hält sich in den Medien bisher mit einer detaillierten Antwort zurück. Bislang erklärte sie nur, dass sie dieses Phänomen der jüngeren Generation kenne und dass sich deren Kritik periodisch wiederhole. Die jungen Frauen hätten das Gefühl, alles erreichen zu können, treffen dann in ihrem Leben aber auf Hindernisse, entdecken den Feminismus und meinen, alles Alte kritisieren und neue Antworten finden zu müssen. Auch ein Artikel von Barbara Sichtermann in der Zeitschrift Emma im vergangenen Mai geht in dieselbe Richtung: Die jungen Kolleginnen sollen erst einmal die Errungenschaften von Schwarzer, Emma und den alten Feministinnen entdecken. Sie seien naiv und ließen sich vom Spiegel gegen die Frauenbewegung instrumentalisieren.
Gleichzeitig betont Sichtermann in ihrem Artikel wichtige Aspekte, die von den „Alphamädchen« tatsächlich wenig Aufmerksamkeit erhalten. Sie weist darauf hin, dass der Feminismus sich als soziale Bewegung versteht: »Ohne Kampf geht nichts« – und stellt positive Bezüge zu den zeitgleich zur Veröffentlichung ihres Artikels laufenden Streiks im Öffentlichen Dienst her.
Aber: Diese Tradition und Praxis spielt (und spielte) in der Emma und in den Arbeiten Alice Schwarzers keine Rolle – außer in den frühen 1970er Jahren, als die Frauenbewegung Teil der weltweiten Bewegung für Frieden und soziale Gerechtigkeit war. Das heutige Handeln von Alice Schwarzer ist jedenfalls weit hiervon entfernt: Sie unterstützte beispielsweise gemeinsam mit einer Reihe anderer Frauen – wie der Bild-Eignerin Friedl Springer und der TV-Talkerin Sabine Christiansen – das Netzwerk „Mehr für Merkel«. Mit keinem Wort wurde dort über soziale Gerechtigkeit gesprochen.
Orientierung an Mittelschichtsfrauen
Bei vielen positiven Ansätzen in der Debatte um politische Veränderungen hat das Ansinnen der Autorinnen von »Wir Alphamädchen« eine große Schwäche. Sie schreiben aus der Sicht von Frauen mit Universitätsabschlüssen, die sich gerade an ihren Arbeitsplätzen eingerichtet haben und eine Familie gründen. Sie sprechen zwar immer wieder auch Probleme an, die die Mehrheit der Frauen angehen – wie ungleiche Löhne, mangelnde Krippenplätze und weiterhin bestehende Rollenmuster. Leider beziehen sie aber in ihren Vorschlägen, wie sich für Frauen etwas ändern könnte, nicht die Mehrheit der Frauen ein. Diejenigen, die nicht in karriereträchtigen Arbeitsverhältnissen ihren Lohn verdienen, sondern sich mit Mini- und Teilzeitarbeit durchschlagen müssen oder gar arbeitslos sind, bleiben bei ihnen außen vor.
Diese Einschränkung findet sich schon im Titel des Buches, den sie wie folgt herleiten: „Junge Uni-Absolventen, die sich obsessiv in ihre Jobs werfen: sind ehrgeizige Alphamännchen. Junge Frauen, die ihre Arbeit genauso ernst nehmen wie ihre Beziehungen: suspekte Karrieristinnen. Wir Alphamädchen – ehrgeizig, lässig und, Überraschung!, weiblich – müssen uns eben selbst erfinden.« Das Problem der Frauenunterdrückung wird von den Autorinnen auf die Schwierigkeit für einige Frauen reduziert, angemessen an Unternehmensführungen und Universitätsprofessuren beteiligt zu werden: »In fast 30 Jahren Frauenförderung haben wir es nicht geschafft, uns nachhaltig an der Spitze zu behaupten.«
Die Strategien, die sie im zweiten Teil ihres Buches vorschlagen, bleiben angesichts der anfangs dargestellten Ungerechtigkeiten blass, selbst wenn sie mit ihrer Forderung nach gleichen Löhnen nicht nur leitende Redakteurinnen und Leiterinnen von Großunternehmen gemeint haben sollten. Sie begrüßen das Elterngeld der schwarz-roten Regierung, das ein Gewinn für besser und gut verdienende Eltern ist, für einkommensschwache Eltern aber eine finanzielle Einbuße bedeutet.
Letztendlich greifen sie sogar auf die eigentlich von ihnen kritisierte »Frauen machen es besser«-Argumentation zurück. So heben sie die Umsatzsteigerungen des Werkzeugkonzerns Trumpf hervor, dem einzigen Dax-Unternehmen, das von einer Frau geführt wird. Sie übersehen dabei aber, dass dessen Umsatzsteigerungen auch daher kommen, dass die Belegschaft in einem „Bündnis für Arbeit« Verträge mit dem Unternehmen geschlossen hat, die täglich 36 Minuten Mehrarbeit erlauben. Auf dem Papier gibt es dafür eine Entlohnung, die über eine Beschäftigungszusicherung hinausgeht. Bisherige Bündnisse für Arbeit haben jedoch gezeigt, dass die Belegschaften im Krisenfall immer draufzahlen und ihren Einsatz nicht zurückbekommen – ungeachtet der Tatsache, ob eine Führungskraft weiblich war oder nicht.
Biographische Nabelschau
Die anderen Bücher haben eine ähnliche Schwäche, fallen aber zudem weit hinter die positiven Aspekte von »Wir Alphamädchen« zurück. Das ebenfalls 2008 erschienene Werk »Neue deutsche Mädchen« von Jana Hensel und Elisabeth Raether ist eine biographische Nabelschau der beiden Autorinnen: Es beschreibt, wie sie in ihr Berufsleben in den 1990ern in Berlin einstiegen, wie sie ihre Beziehungen und Affären lebten und nun, mit Mitte 30, die Schwierigkeiten von Beruf, Leben und Kindern meistern. Sätze wie »wie alle anderen auch, gingen wir nach der Arbeit essen« stehen stellvertretend für einen Feminismus, der nur eine wohlhabendere Mittelschichtsfrau im Auge hat.
Thea Dorns Ansatz, den Feminismus neu zu prägen, ist ähnlich kritisch zu sehen. Ihr bereits 2007 erschienenes Buch »Die neue F-Klasse« ist zwar keine biographische Aufarbeitung ihrer frühen Erwachsenenzeit, es lässt aber nicht nur im Titel Assoziationen zu dicken deutschen Autos für die großen Geldbeutel zu. Die Interviewpartnerinnen von Dorn sind ausnahmslos Frauen, die es »zu etwas gebracht« haben. Das Leben der durchschnittlichen Frau spielt keine Rolle. Mit ihnen wird nicht gesprochen, ihre Wünsche, Erfahrungen und Probleme fließen nicht in ihre Überlegungen mit ein.
Dennoch ist es gut, dass es eine Debatte über die Gleichberechtigung von Frauen und den Feminismus gibt. Wichtige Ansätze hat bereits die sozialistische Tradition des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hervorgebracht. Deren Akteure gingen davon aus, dass die Unterdrückung der Frau im Kapitalismus eine doppelte ist: Durch die Ausbeutung im Betrieb und die ihr in der Familie aufgebürdete Reproduktionsarbeit (Putzen, Kochen, Erziehen, Kranken- und Altenpflege). Die Frauenfrage sei eine Klassenfrage, nicht alle Frauen seien gleich unterdrückt. So gäbe es einen grundlegenden Unterschied zwischen Frauen der Arbeiterklasse und zwischen Frauen der herrschenden Klasse, die von der Ausbeutung ersterer profitieren und zudem die Reproduktionsarbeiten von anderen erledigen lassen können. Die Unterdrückung würde nicht ihr Ende finden, indem wir die reproduktiven Tätigkeiten lediglich noch besser zwischen Männern und Frauen aufteilen. Alexandra Kollontai, Akteurin der russischen Oktoberrevolution 1917, sprach vielmehr von dem Ziel, Küche und Ehe zu trennen und die Last der Reproduktionsarbeit zu kollektivieren, also zu einer Aufgabe der gesamten Gesellschaft durch kommunale Küchen, Wäschereien, Kindergärten und -krippen zu machen. Diese sozialistische Tradition, verschüttet auch durch den Stalinismus, gilt es wiederzuentdecken.
{tab=Hintergrund: Frauenunterdrückung heute}In Deutschland verdienen Frauen noch immer 22 Prozent weniger als Männer. Laut einer Studie der Europäischen Union (EU) aus dem Sommer 2008 ist das noch weniger als im EU-Schnitt – der 15 Prozent beträgt.
61,5 Prozent aller Frauen im Alter von 15 bis 64 Jahren arbeiten, 46,5 Prozent davon in Vollzeit. Im Durchschnitt arbeiten Frauen in Deutschland 18 Wochenstunden. Das ist, laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen, der niedrigste Wert in der gesamten EU.
Besorgniserregend ist dabei, dass der Anteil ausschließlich geringfügig beschäftigter Frauen in Minijobs ansteigt – von 2,97 Millionen (2001) auf 3,32 Millionen (2006). Die Autorinnen und Autoren dieser Studie kritisieren, dass die Politik widersprüchliche Signale setze. Weibliche Beschäftigung soll durch den Ausbau der Kinderbetreuung und das Elterngeld gefördert werden, gleichzeitig schafften die letzten Regierungen Anreize für geringe Frauenbeschäftigung durch die Subventionierung von Minijobs oder das Ehegattensplitting, das Paare mit ungleichen Einkommen steuerlich begünstigt.{/tabs}
Die im Artikel vorgestellten Bücher:
- Thea Dorn: »Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird«, Piper 2007
- Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl: »Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht«, Hoffmann und Campe 2008
- Jana Hensel, Elisabeth Raether: »Neue deutsche Mädchen«, Rowohlt 2008
Zur Autorin:
Katrin Schierbach ist Mitglied der LINKEN und Co-Autorin von »Marxismus und Frauenbefreiung« (Christine Behrens, Michael Ferschke, Katrin Schierbach: »Marxismus und Frauenbefreiung«, Edition Aurora 1999.
Buchtipp:
- Sheila McGregor: »Vergewaltigung, Pornographie und Kapitalismus«, >> hier als online-Text