Die rechte Opposition in Venezuela will den sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez stürzen. Federico Fuentes berichtet aus Caracas über die Herausforderungen der Bolivarianischen Revolution im Wahljahr 2010.
Am venezolanischen Horizont drohen entscheidende Kämpfe zwischen den Kräften der Revolution und denen der Konterrevolution. Der Wahlkampf vor den Parlamentswahlen (am 26. September 2010) wird wichtige Entscheidungen zwischen den Anhängern des sozialistischen Präsidenten Hugo Chavez und der rechten Opposition bringen, die von den USA unterstützt wird. Diese Kämpfe sind Teil des Klassenkampfes zwischen der armen Mehrheit Venezuelas und der kapitalistischen Elite. Ausgetragen wird der Kampf aber eher auf der Straße als an den Wahlurnen. In diesem Jahr kam es bislang zu einer Eskalation der faschistischen Demonstrationen gewalttätiger oppositioneller Studentengruppen. Auch kommt es weiter zu Mordanschlägen gegen Gewerkschafter und Bauernführer – durch rechte paramilitärische Gruppierungen. Die Kampagnen der Privatmedien, die das Bild einer zerfallenden, krisengebeutelten Regierung zeichnen, die bald weichen müsse, nehmen zu.
Am 29. Januar warnte Chavez: »Falls sie eine extrem gewaltsame Offensive einleiten werden, die es zu unserer Pflicht macht, harte Maßnahmen zu ergreifen – was ich ihnen nicht raten möchte – wird unsere Reaktion sie auslöschen«. Chavez sagte dies einen Tag, nachdem bei Zusammenstößen in der Stadt Merida zwei Studenten getötet und 21 Polizisten durch Kugeln verletzt worden waren. Chavez forderte die Opposition dazu auf, sich an die Verfassung zu halten und ein Ablösungs- Referendum (gegen sein Präsidentschaftsmandat) einzuleiten – falls sie tatsächlich der Meinung seien, das Volk unterstütze ihn nicht mehr. Gemäß der demokratischen Verfassung von 1999 ist ein Referendum zur Abwahl jeder gewählten Person zulässig, wenn 20% der Wählerschaft eine entsprechende Petition unterschreiben. Falls die Kapitalisten weiter den Weg der Konfrontation gingen, so Chavez, werde er »die Revolution beschleunigen«, deren erklärtes Ziel »der Sozialismus des 21. Jahrhunderts« sei.
Offensive
Die Verschärfung der Destabilisierungskampagne ist Teil einer Offensive in der Region – durchgeführt durch die Bosse der Opposition, die in Washington zu suchen sind. Im vergangenen Jahr richteten die USA mehrere neue Militärbasen in Kolumbien und Panama ein und reaktivierten die 'US Navy Fourth Fleet' (4. Flotte der US-Marine), um in lateinamerikanischen Gewässern zu patrouillieren. Die USA halfen, jenen Militärputsch zu organisieren, durch den die linke honduranische Regierung von Manuel Zelaya gestürzt wurde. 2010 besetzten die USA Haiti mit 15 000 Soldaten, nachdem es dort am 12. Januar zu einem Erdbeben gekommen war. US-Militärflugzeuge wurden dabei ertappt, wie sie venezolanischen Luftraum verletzten.
In einem Bericht vom 2. Februar bezeichnet der 'US National Director of Intelligence' (Nationaler Geheimdienstchef der USA), Admiral Dennis Blair, Venezuela als »führende anti-amerikanische, regionale Kraft« und erklärt die Regierung Chavez so zu einem Störenfried für Washington.
Eine Militärinvasion durch die USA ist nicht mehr auszuschließen. Hauptziel des militärischen Aufmarsches und der Provokationen durch die Vereinigten Staaten ist allerdings, Druck auf jene Teile innerhalb der venezolanischen Streitkräften und in anderer Sektoren des Pro-Chavez-Lagers auszuüben, die den revolutionären Prozess am liebsten bremsen würden, um eine Konfrontation zu vermeiden. Dies alles geht Hand in Hand mit einer Lügenkampagne in den Medien – verbunden mit der Behauptung, Chavez' Popularität sinke und Gerüchten über Streitigkeiten innerhalb der Streitkräfte und der Regierung. Die USA sowie Venezuelas Eliten hegen die Hoffnung, dass sie Chavez isolieren und endgültig loswerden können.
Es ist eine Kampagne, die sehr an jene von 2007 erinnert, mit der man die von Chavez vorgeschlagenen Verfassungsänderungen zum Scheitern bringen wollte. Mit diesen Reformen sollte das gesetzliche Rahmenwerk geändert werden, um Angriffe auf das Kapital einfacher zu machen. Diese Änderungen sollten der armen Mehrheit zugute zu kommen. Die Verfassungsreform scheiterte jedoch knapp im Referendum. Die Opposition hofft darauf, Chavez' Unterstützerbasis – die arme Mehrheit des Volkes und die Streitkräfte – spalten zu können und die Parlamentsmehrheit zu erringen (mit deren Hilfe sie sehr wahrscheinlich versuchen würde, Chavez vor Gericht zu bringen). Zumindest aber wird die Opposition versuchen, die Kräfte, die für die Revolution sind, daran zu hindern, eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit zu erringen. Das würde die Möglichkeiten der Chavistas einschränken und es ihnen nicht mehr so leicht machen, Gesetze zu erlassen. Das aktuelle venezolanische Parlament verfügt über eine große Pro-Chavez-Mehrheit, da die Opposition die Abstimmung von 2005 boykottiert hatte.
Die Revolution kommt voran
Die globale Wirtschaftskrise hat Venezuela härter getroffen als die Regierung zu Beginn noch hoffte. Es gibt Probleme bei der Stromversorgung und anderes mehr. Diese Probleme erzeugen Stress. In ihrer Wahlkampagne weist die Regierung auf die Auswirkungen des Klimawandels und auf die negativen Folgen von Vergeudung (von Ressourcen) hin. Das nimmt der Kampagne der Opposition und der privaten Medien den Wind aus den Segeln (die die Regierung für die Probleme (Engpässe) bei Strom und Wasser verantwortlich machen). Die Rechten hatten vorausgesagt, die fallenden Ölpreise würden den Stern der Regierung sinken lassen. Weit gefehlt. Chavez konnte sein Ziel vorantreiben, den Reichtum an die Armen umzuverteilen – und größere Schritte gegen die Korruption und gegen das Kapital einleiten. Begleitet wird dies von der Mobilisierung der Straße: Die Menschen unterstützen die Regierung (was von den internationalen Medien ignoriert wird; sie berichten vor allem ausführlich über die kleinen Aufstände oppositioneller Studenten). Neue Schritte werden unternommen, um die Macht an das Volk zu übergeben – beispielsweise durch eine zunehmende Einbindung der kommunalen Basisräte in Regierungsstrukturen. Im November hatte Chavez Interventionen bei 8 Banken
angekündigt – nachdem Ermittlungen ergeben hatten, dass sie in korrupte Geschäfte verwickelt waren. Die Mehrzahl dieser Banken wurde inzwischen verstaatlicht und, zusammen mit einer staatlichen Bank, zur 'Bicentenary Bank' verschmolzen. Die 'Bank of Venezuala' war bereits 2007 verstaatlicht worden. Sie eingeschlossen kontrolliert der venezolanische Staat inzwischen 25% des Bankensektors. Diese 25% stellen den größten (einzelnen) Bankenblock im Land dar. Gegen fast 30 Banken wurde wegen Korruption ermittelt. Ihnen stehen Prozesse bevor. Einige dieser Banken waren eng mit der Regierung verbunden – eine gewichtige Tatsache.
Da ist zum Beispiel Ricardo Fernandez Barrueco. Früher war er ein relativ unbedeutender Geschäftsmann im Nahrungsmittelsektor Er machte Karriere und stieg zu einem Mitglied der Geschäftseliten auf. Schließlich besaß er in Venezuela 4 Banken und 29 Firmen. Seinen kometenhaften Aufstieg verdankte er vorwiegend seinen Beziehungen zu einem gewissen Sektor der Chavez-Regierung. Diese Kreise versorgten Fernandez mit großzügigen Verträgen, die es ihm möglich machten, die staatlich subventionierten Mercal-Lebensmittelläden mit Produkten zu beliefern oder Transporte für sie durchzuführen. Dies brachte Fernandez den Spitznamen »Zar von Mercal« ein. Die Verhaftung eines weiteren Bankiers namens Arne Chacon, dem ebenfalls Korruption vorgeworfen wird, führte dazu, dass dessen Bruder Jessie Chacon als Wissenschaftsminister der Regierung Chavez zurücktreten musste. Am 8. Januar wurde beschlossen, die lokale Währung (Bolivar) abzuwerten. Daraufhin gingen staatliche Institutionen, Militärpersonen, die Mitglieder der PSUV sind sowie die Nationalgarde gegen Preisspekulationen vor.
Mehr als 1000 Läden wurden zeitweise geschlossen, um während der ersten Wochen nach der Entscheidung Preisspekulationen vorzubeugen. Am 13. Februar verkündete Chavez, seine Regierung sei mit der französischen Firma Casino (CADA) übereingekommen, 80% der Anteile der Supermarktkette aufzukaufen. Das Unternehmen hatte in Venezuela mehr als 35 Niederlassungen. Da vor kurzem auch die Supermarkt-Kette Exito verstaatlicht wurde und einige lebenswichtige Güter in Massen importiert werden, befindet sich die venezolanischen Regierung nun auf dem besten Weg, einen sehr viel höheren Anteil am Einzelhandel und am Transportwesen zu erwerben.
Die Entwertung des Bolivar bedeutet für Venezuela eine Verteuerung der Waren. Die Kaufkraft der Arbeitenden sinkt. Um dies zu kompensieren, erließ die Regierung im Januar ein Dekret zur Erhöhung der Mindestlöhne um 25% (um 10% im März u. um 15% im September). Wie Regierungskreise gegenüber Green Left Weekly verlauteten, wird über zusätzliche Lohnerhöhungen nachgedacht sowie über Schritte zum Aufbau eines staatlichen Monopols gegenüber ausländischen Handelsaktivitäten (im Land).
Bewegung von unten
Ungeachtet der gewaltsamen Proteste und ungeachtet der Verleumdungskampagne ergab eine Umfrage des 'Venezuelan Institute of Data Analysis' (IVAD) vom Januar, dass über 58% der Venezolaner Präsident Chavez weiterhin akzeptieren. Das IVAD gilt allgemein als eines der neutralsten Meinungsinstitute in Venezuela. Dieselbe Umfrage ergab, dass 41,5% der Befragten es gut fänden, wenn die Opposition (bei den Wahlen) eine Mehrheit im Parlament erringen würde – 49,5% hingegen sind nicht dafür. 32,6% der Befragten gaben an, sie würden für Kandidaten der Regierung stimmen, 20,8% gaben an, für Kandidaten der Opposition stimmen zu wollen und 33,1% wollen »unabhängigen« Kandidaten ihre Stimme geben.
Bis zur Wahl im September dürfte der Anteil derer, die für »unabhängige« Kandidaten stimmen wollen, sicher noch schrumpfen. Die Frage ist eher, ob sich diese WählerInnen überhaupt an der Wahl beteiligen werden oder ob sie (wie bei der Volksabstimmung 2007, bei der es um die Verfassung ging), gar nicht erst an die Urne gehen werden. Wird es den Kräften der Revolution gelingen, sich in einer Weise zu organisieren, die es ihnen möglich macht, diese Menschen zu gewinnen und so der Rechten einen entscheidenden Schlag zu versetzen?
Dieses Jahr fanden bereits drei große Demonstrationen für die Revolution statt. Dagegen wirken die Proteste der Opposition minimal. Doch die kleinen Oppositions-Demonstrationen sind gewaltsam. Eine Revolutionären Jugendorganisation wurde ins Leben gerufen – die 'Bicentenary National Youth Front'. Sie wurde geschaffen, um die Mehrzahl der Jugendlichen und Studierenden in Venezuela, die ja für die Revolution sind, zu organisieren. Die organisierte Jugend in den Revolutionsprozess einzubinden – ob dies gelingt, wird über die Zukunft der Revolution entscheiden. In einer Rede am 12. Februar auf einer Massendemonstration vor Studierenden in Caracas, wies Chavez darauf hin, dass man gegen schwerwiegende Probleme, wie Bürokratismus und Reformismus, die ein Klotz am Bein der Revolution seien, vorgehen müsse. Chavez' Argumente richteten sich gegen jene Sektoren im Revolutionslager, die darauf beharren, dass eine Stärkung des privaten Sektors Fortschritte ermöglichen würde. Sie umschmeicheln die Kapitalisten. Doch Chavez hat immer wieder gesagt, »die nationale Bourgeoisie« sei nicht daran interessiert, den Prozess des Wandels voranzutreiben.
Chavez betont: »Der Klassenkampf« sei das Herzstück des Prozesses. Chavez sagt, es sei von vitaler Bedeutung, dass gegen ineffiziente und bürokratische staatliche Strukturen – dem Vermächtnis der Vorgängerregierungen – vorgegangen werde. Diese Strukturen hielten den Prozess auf und sabotierten ihn. »Wir müssen die alten Strukturen des bourgeoisen Staates endgültig zerschlagen und neue Strukturen, für einen Proletarierstaat, schaffen«. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Regierung die Bildung von 184 Communes überall im Land angeregt. Sie sollen dazu ihren Beitrag leisten. Die Communes bestehen aus mehreren Räten von Gemeinden sowie aus weiteren sozialen Organisationen – aus Körperschaften also, die der direkten Kontrolle/Leitung lokaler Gemeinden unterstehen. Chavez bezeichnet die Communes als »Bausteine« für den neuen Staat. In diesem Staat soll die Macht allmählich in die Hände des organisierten Volkes übergleiten. Vor kurzem kam es zur Bildung von Bauernmilizen. Arme Bauern organisieren sich in Selbstverteidigungsmilizen, um sich besser gegen die massive Gewalt von Großgrundbesitzern verteidigen zu können. Auch dies ist wichtig. Die größte Herausforderung wird allerdings die weitere Entwicklung der PSUV – der Regierungspartei – sein und somit die kontinuierliche Umformung einer Massenpartei (mit mehreren Millionen Mitgliedern). Denn noch immer sind viele Mitglieder nur Karteileichen. Die Partei soll zu einem revolutionären Instrument der Massen werden.
Im November wurde ein Sonder-Kongress initiiert. Dieser findet – bis April – an jedem Wochenende statt. In dieser Zeit werden 772 gewählte Delegierte miteinander diskutieren. Differenzen zwischen jenen, die für den revolutionären Weg argumentieren und jenen mit einem eher moderateren, reformistischeren Ansatz wurden bereits sichtbar. Eine wichtige Diskussion ist um die Frage entbrannt, ob man den Aufruf von Hugo Chavez zur Schaffung einer internationalen Organisation, die alle revolutionären Kräfte auf globaler Ebene bündelt, unterstützen soll oder nicht. Chavez' Ziel ist es, auf diese Weise dem Kampf für »den Sozialismus des 21. Jahrhunderts« Kraft zu verleihen.
Zudem wurde darüber diskutiert, ob die Parteimitglieder die Kandidaten für die Parlamentswahl wählen sollen oder ob die personellen Entscheidungen in die Hände eines ausgewählten Komitees gelegt werden sollten (was von den eher Konservativen befürwortet wurde). Die Entscheidung fiel für die erste Option (die Kandidaten sollen in Vorwahlen bestimmt werden). Nachdem der Beschluss gefasst war, sagte Chavez am 11. Februar: »Ich habe Vertrauen in das Volk. Ich habe Vertrauen in die Basis. Sie werden uns nicht betrügen«.
Zum Autor:
Federico Fuentes ist Redaktionsmitglied von Green Left Weekly (Büro Caracas).
Zum Text:
Der Text erschien in Englisch am 24. Febrauar 2010 in der Zeitung Green Left Weekly. Zuerst in Deutsch bei znet . Übersetzung aus dem Englischen von Andrea Noll.