Die imperialistische Einmischung auf dem Balkan hat zu einer erneuten Zuspitzung der Spannungen dort geführt und droht die nationalistischen Gefühle wieder anzufachen. Von Vladimir Unkowski-Korica aus Belgrad
Oberflächlich betrachtet ging es bei dem letzten Streit zwischen dem Kosovo und Serbien um den Handelsverkehr. Die Krise begann am 25. Juli, als die Regierung des Kosovos die Kontrolle über den Grenzübergang zu Serbien in Nordkosovo übernahm, das von Serben bewohnt ist. Daraufhin gingen Serben auf die Straße und errichteten Blockaden. Die kosovarische Regierung in Priština behauptete, es handele sich nur um eine Vergeltungsmaßnahme für die Blockade, die Belgrad im Jahr 2008 verhängte, nachdem es sich geweigert hatte, die von den USA unterstützte Unabhängigkeitserklärung des Kosovos anzuerkennen.
Während Russland ein Veto gegen einen Sitz Prištinas in der UNO einlegte, erklärte Belgrad, es werde die kosovarischen Zollstempel nicht anerkennen, weil das gleichbedeutend sei mit der Anerkennung der Unabhängigkeit. Nun musste die serbische Regierung am 3. August nach den Grenzstreitigkeiten einen Kompromiss akzeptieren. Die unter dem Namen KFOR unter Führung der USA im Kosovo stationierten Streitkräfte sollen die Kontrolle der umstrittenen Grenzposten übernehmen. Pkw und Busse sollen passieren können, aber keine Waren.
Faktisch ist damit die Jahrzehnte alte Strategie Serbiens, das Kosovo zu teilen, gescheitert. Nach den illegalen Luftangriffen der Nato im Jahr 1999 auf Serbien hatte es die Hoheit über das Gebiet verloren, und nur das Veto Russlands verhinderte die offizielle Lostrennung des Kosovos.
Das Kosovo blieb ein Protektorat der UNO, aber die Rückkehr Russlands auf die internationale Bühne als Energiegroßmacht Mitte der 2000er Jahre gestattete es Serbien, die Großmächte gegeneinander auszuspielen und Druck zur Schaffung von Kantonen nach „ethnischer" Zugehörigkeit auszuüben. Vorbild dafür war Bosnien, das mit dem Abkommen von Dayton im Jahr 1995 in eine serbisch und eine bosniakisch-kroatische Teilrepublik aufgeteilt wurde.
Die brutale ethnische Säuberung Zehntausender Serben aus dem Kosovo unmittelbar nach dem Abzug der jugoslawischen Armee Mitte 1999 und erneut nach den Pogromen im März 2004 gab Belgrad die Gelegenheit, sein Vorgehen als Verteidigung gegen Unterdrückung darzustellen, und das, nachdem es selbst Jahrzehnte lang Unterdrücker gewesen war.
Die Schaffung autonomer serbischer Regionen in Bosnien und im Kosovo zusammen mit dem Antrag auf EU-Mitgliedschaft hätten die nationalistischen Auseinandersetzungen in die EU getragen, so wie die Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei über Zypern oder Griechenlands Anspruch auf Mazedonien. Die USA wollten das anscheinend unbedingt vermeiden, weil ihr Einfluss in der Region dadurch geschwächt würde, weshalb sie bei jedem Schritt den albanischen Nationalismus unterstützten. Schließlich stellten sie sich hinter die einseitige Unabhängigkeitserklärung Prištinas.
Das Pendel schlug im vergangenen Jahr weiter zugunsten Prištinas aus, als der Internationale Gerichtshof entschied, dass »die Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 nicht gegen das Völkerrecht verstoßen habe«, weil es im internationalen Recht kein »Verbot der Erklärung der Unabhängigkeit« gebe. Auf dieser Grundlage fuhr Priština fort damit, serbische Mobilfunkanbieter zu verbieten und serbische Funksender zu zerstören. Nachdem die KFOR nun den Import serbischer Waren in das Kosovo unterbunden hat, ist es für die kosovo-serbische Enklave noch schwieriger, ihre Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten. Der neueste Zusammenstoß erhöht also die Spannungen zwischen Serben und Albanern im Kosovo und belebt den Nationalismus in der Region.
Die Unterstützung Prištinas durch die USA und die EU wird längerfristig den albanischen Separatismus in Mazedonien und die Unnachgiebigkeit der Serben in Bosnien stärken.
Die Erweiterung der EU auf dem westlichen Balkan macht es erforderlich, die Karten dort neu zu mischen, mit allem mörderischen Potenzial, den neue nationalistische Kämpfe mit sich bringen könnten. Die EU ist deshalb keine Alternative zu Nationalismus und Spaltung, sondern der neue Rahmen, in dem das ausgetragen wird. Deshalb sind Sozialisten in der Region weiterhin Gegner des Nationalismus und Imperialismus sondern treten für eine gleichberechtigte Föderation der Balkanstaaten ein.
Zur Person:
Vladimir Unkowski-Korica ist Sozialist und lebt in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Er studiert und ist Mitglied der linken Gruppe "Socijalni Front".
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