Klaus-Dieter Heiser kommentiert den Streit in der LINKEN um die Zeitung »Junge Welt«.
Für die einen war das Titelblatt der jungen Welt (jW) ein satirischer Kontrapunkt zum Medienauftrieb anlässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus. Für die anderen war es eine unerträgliche Verhöhnung der Opfer, die an der Berliner Mauer erschossen wurden, und der 28 Jahre dauernden Leiden von getrennten Familien und Freunden.
Ich meine: Es war vor allem eine Fehlentscheidung der jW-Redaktion, diese Titelseite zu produzieren. Das großformatige Foto vom 13. August 1961 zeigt Mitglieder der »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«, die mit Kalaschnikows vor der Brust vor dem Brandenburger Tor stehen. Der dazu gestellte Text vermittelt »Dank« für angebliche Folgen des Mauerbaus, von »Friedenssicherung« bis zu einem Alternativgetränk zu Coca Cola.
Eine solche Titelseite wurde dem Anlass nicht gerecht, konnte es auch nicht werden. Denn mit der Berliner Mauer schuf die SED ein Synonym für den Sozialismus. Fortan wurde er mit Unfreiheit durch Stacheldraht, Wachtürme und Schießbefehl identifiziert. Auch 22 Jahre nach dem Scheitern des Staatssozialismus existiert diese Gleichung noch in vielen Köpfen. Deshalb bedarf es besonders in Deutschland beharrlicher Argumentation, um die Einsicht durchzusetzen, dass es Sozialismus ohne Freiheit nicht geben kann, wie andererseits Freiheit ohne Sozialismus nicht möglich ist. Ein »Danke« für die Mauer befördert das Gegenteil.
Der Fall »Titelblatt« hatte ein Nachspiel in der LINKEN. Einzelne Mitglieder verfassten einen Boykottaufruf gegen die junge Welt. In Internetforen hieß es: »Das Drecksblatt soll ausgetrocknet werden«. Medienpartnerschaften mit der Zeitung wurden aufgekündigt, Anzeigen der LINKEN sollen dort nicht mehr geschaltet werden.
Bei anderen Medien hingegen, zum Beispiel bei der taz oder der Frankfurter Rundschau, kommt niemand in der Partei auf die Idee, redaktionelle Übereinstimmung zum Maßstab für Anzeigenschaltungen zu machen. Diese Denkweise wird sonst vor allem in Konzernführungsetagen gepflegt, wo neben Produktwerbung ein »sauberes« Umfeld erwartet wird. Anzeigenerlöse bilden neben Abonnements und Einzelverkauf die wirtschaftliche Grundlage der Medien. Redakteure in »bürgerlichen« Blättern kennen das genau. Für sie bedeutet es, mit der Schere im Kopf zu arbeiten, um den Anzeigenkunden zufrieden zu stellen. Deshalb lässt das Agieren der jW-Boykotteure bei mir alle Alarmglocken läuten: Es geht im Kern um die Pressefreiheit. Angesichts zunehmender Pressekonzentration ist sie ein bedrohtes Gut. In Thüringen beispielsweise befinden sich alle Regionalzeitungen in der Hand eines Großverlags.
Ich weiß um die Verantwortung von Zeitungsredakteuren. Deshalb kritisiere ich die jW-Redaktion, für die Gestaltung der Titelseite am 13. August 2011. Außerdem stimme ich dem zu, was Holger Schmale in seinem Kommentar in der Berliner Zeitung geschrieben hat: »Zu den in der DDR unterdrückten demokratischen Rechten gehörte die Pressefreiheit. Sie passte nicht in die Diktatur der Arbeiterklasse, wie die SED sie verstand. Denn eine freie Presse ist manchmal schwer erträglich, auch unter demokratischen Bedingungen. Wenn sich zum Beispiel die einstige FDJ-Zeitung junge Welt die Freiheit nimmt, zum 13. August den Bau der Mauer zu feiern und den Todesschützen Dank zu sagen, dann ist das eklig und kaum zu glauben. Aber es ist zu tolerieren. Es ist ihr gutes Recht, von der herrschenden Meinung, der historischen Wahrheit und vom menschlichen Anstand abzuweichen. Wir sollten es verteidigen.«
Zur Person:
Klaus-Dieter Heiser ist seit vielen Jahren journalistisch tätig und gehört zu den Initiatoren der Linken Medienakademie LiMA.