Jetzt steht fest, wer 2013 für die SPD ins Rennen um die Kanzlerschaft gehen soll. Ob Steinbrück Bundeskanzler wird, fragt Marja Winken
Kandidat für die Chefposition in der deutschen Politik ist er nun – Peer Steinbrück, erst glückloser Ministerpräsident in NRW, dann Bundesfinanzminister unter Angela Merkel, damals dem Volk versprechend, unter ihrer beiden Führung werde die Finanzkrise der Bundesrepublik keinen Schaden zufügen.
»Die beste Wahl« heißt es auf Spiegel online – aber für wen? Steinbrück, meint die Springer-Zeitung Die Welt, sei der richtige K-Kandidat, angriffslustig, intelligent und skrupellos. Offenbar ist die letztgenannte Eigenschaft medienkompatibel und gilt als Qualifikationsnachweis für Spitzenpolitiker.
Delegierte dürfen abnicken
Die Frankfurter Allgemeine, journalistisch nicht so oberflächlich wie die anderen Leitblätter, zeichnete nach, auf welche Weise Steinbrück erst zum Mitglied der Kandidaten-Troika wurde und dann Steinmeier sowie Gabriel hinter sich ließ: Das alles ging im Wege der »Selbstermächtigung«, um einen Gauckbegriff zu verwenden; die Mitglieder und Gremien der SPD waren nicht beteiligt.
Empfohlen als K-Kandidaten haben ihn zwei SPD-Altkanzler, hochgelobt der Spiegel und die Gazetten aus dem Hause Springer. Und nun steht er da, die Vorständler der SPD und die Parteitagsdelegierten dürfen seine Kandidatur absegnen.
SPD in der Mitte
Als Bankenbändiger ist Steinbrück jüngst aufgetreten, Antipathie gegen Kapitalinteressen kann man ihm jedoch nicht nachsagen. Zuneigung zu den Gewerkschaften auch nicht. Steinbrück werde die SPD noch mehr in die Mitte rücken, meinen die Kommentatoren in der bürgerlichen Presse, da müsse Angela Merkel achtgeben, dass ihr keine Stimmen weggenommen würden.
Allerdings stehe der SPD-Kanzlerkandidat noch vor der lästigen Aufgabe, sich als echter Sozialdemokrat zu präsentieren, also soziales Herz zu zeigen, sonst gewinne seine Partei Stimmen auf der einen, und verliere solche auf der anderen Seite der gesellschaftlichen Schichtung.
Vorbild Gerhard Schröder
Steinbrück, der Presse als Kanzlerkandidat präsentiert, wurde nach seinem Vorbild in diesem Amt gefragt. Er nannte Gerhard Schröder. Da äußerte er sich ehrlich.
Er war eindeutiger Befürworter der Agenda-Politik Gerhard Schröders, der Hartz-IV-Regelungen, der Lockerung des Arbeitsmarktes, der Hinwendung zum Niedriglohn, auch der Deregulierung des Finanzmarktes. Und er empfiehlt seiner Partei, auf die Agenda-2010-Politik stolz zu sein.
Wahlwerbende Gesten
»Als Kanzlerkandidat muss Steinbrück nun Dinge vertreten, die dem widersprechen, was er als Bundesfinanzminister getan hat«, heißt es im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen. Hingewiesen wird dabei auf die steuerpolitische Umverteilung nach oben unter Steinbrücks Regie. Aber Kandidaturauftritte folgen anderen Regeln als Regierungshandlungen, ein Steinbrück kanzlernd wäre nicht derselbe wie der Wahlwerber Steinbrück, und doch gibt es ihn, den echten Steinbrück. Da muss das große Kapital keine Bange haben.
Das schließt selbstverständlich wahlwerbende Gesten an die Geringverdiener nicht aus. Noch ist in der SPD die weitere Absenkung des Rentenniveaus umstritten, Ende November soll wahlprogrammatisch darüber entschieden werden. Steinbrück sagt dazu: »Es bahnt sich eine Lösung an, mit der jeder wird leben können.« Gemeint sind damit nicht etwa die künftigen Rentenempfängerinnen und -empfänger, es geht allein um innerparteiliche Balance.
Kanzler nur mit der FDP
Hat der SPD-Kandidat Aussichten, Angela Merkel abzulösen (und als Minister unter ihr will er ja nach eigener Aussage nicht wieder dienen)? Aus eigener Kraft der SPD sicherlich nicht. Und dass die Grünen genug Stimmen dafür holen, ist wenig wahrscheinlich. Aber die FDP würde möglicherweise ampeln, vielleicht kämen noch ein paar Piraten dazu.
Dann könnte unter SPD-Führung regiert werden – in welcher Richtung? Eine zweite Agenda? Um den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik noch besser fit zu machen für unternehmerische Konkurrenz- und Gewinninteressen im Weltmarkt, mittels Sozialdumping im eigenen Lande?
Dann stehen die sozialdemokratischen SPD-Anhänger wieder als »Heulsusen« da, wie Steinbrück es ihnen schon mal vorwarf, und viele SPD-Wählerinnen und -Wähler kommen sich betrogen vor. Jetzt allerdings wird sich auch die sogenannte Linke in der SPD hinter ihren Kandidaten stellen, Parteidisziplin muss sein.
Rhetorische Nebenverdienste
Es kann auch sein, dass aus dem Kandidaten kein Kanzler wird. Umwerfen wird ihn das nicht, auch als Vortragsreisender kann er gut leben, jetzt schon ist er der Bundestagsabgeordnete mit den besten rhetorischen Nebenverdiensten, was leider nicht allzu viel Anwesenheit im Parlament zulässt. Und wer weiß, vielleicht braucht irgendwann die europäische Finanzwelt einen deutschen Experten. Man muss also demnächst nicht die SPD wählen, nur damit Steinbrück der Altersarmut entgeht.
Und wenn aus einer SPD-Kanzlerschaft nichts wird und Angela Merkel Sozialdemokraten als Gehilfen braucht? Für diesen Fall ist immer noch Frank-Walter Steinmeier da, den zeichnet bekanntlich Bescheidenheit aus.
Postscriptum (09.10.12):
Gerade waren wir durch unsere Leitmedien davon unterrichtet worden, daß Steinbrück »der Beste« sei, da wird in einigen Gazetten auch schon wieder an ihm herumgekrittelt. Nebenberufliche Einkünfte habe er in Mengen gescheffelt – aber das zeigt doch gerade, dass der Mann etwas von Finanzen versteht. Außerdem sei von ihm in seiner Zeit als Bundesfinanzminister die Firma Freshfields damit beauftragt worden, die Gesetzesentwürfe für die Bankenrettung auszuarbeiten und die selbe Kanzlei habe dann anschließend Banken beraten, wie sie sich vom Staat retten lassen könnten; später sei Steinbrück von Freshfields als gutbezahlter Redner eingesetzt worden.
Na und? Hätte der Bundesfinanzminister denn einem Genossen aus der Arbeitnehmer-AG seiner Partei die Bankenrettung anvertrauen sollen ? Und beim SPD-Ortsverein in Kleinkleckersdorf gegen Fahrgelderstattung über die große Welt des Finanzmarktes berichten? Das wäre doch eigenhändige Disqualifizierung gewesen. Nicht einmal ein russischer Konzern würde ihn dann, wenn es mit der Politik vorbei ist, in den Aufsichtsrat holen.
Mehr auf marx21.de:
- Renten und Renditen: Mit seinem Rentenplan ist Sigmar Gabriel auf innerparteiliche Kritiker gestoßen. Nun wird nachgebessert, aber die Grundrichtung bleibt: Materielle Sicherung im Alter soll schrittweise privatisiert werden. Die SPD will sich wahlwerbend als Kümmererpartei präsentieren, regierend wird sie kapitalkompatibel tätig werden – meint Arno Klönne
- Scheingefechte um Spitzenämter: Im jetzt bereits angelaufenen Parteienwettbewerb für die Bundestagswahl 2013 wird die öffentliche Aufmerksamkeit auf zwei Fragen ausgerichtet: Wer wird von den einzelnen Parteien als Spitzenkandidat aufgestellt und welche Partei erhält von welcher anderen das Prädikat, für eine Regierungskoalition akzeptabel zu sein. In beiden Fällen handelt es sich um Täuschungsmanöver, meint Arno Klönne