Seitdem die Wehrpflicht abgeschafft ist, wirbt die Bundeswehr verstärkt um Nachwuchs. Dorothea Weniger zeigt, wie die Armee Berufsinformationstage für junge Frauen instrumentalisiert
»Der Geist der Bundeswehr wird sich mit Aussetzung der Wehrpflicht nicht verändern. […] Was sich aber auch nicht ändern darf, ist der Geist, in dem wir als Bürger der Bundeswehr gegenübertreten. Sie gehört in unsere Mitte, in unsere Schulen und Hochschulen, auf öffentliche Plätze«, so der Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zum »Feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr« am 20. Juli in Berlin. Kraft seines Amtes müsste er es eigentlich besser wissen.
Der Geist der Bundeswehr ändert sich seit den 1990er-Jahren gewaltig. Seitdem arbeitet das Bundesverteidigungsministerium nämlich an der sogenannten Transformation der Bundeswehr. Lediglich eine Maßnahme dieser Transformation – die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1.7.2011 – ist bei der Bevölkerung angekommen. Laut Strukturkommission der Bundeswehr ist die Transformation aber ein »radikale[r] Umbau, der den Anforderungen der neuen Einsätze gerecht wird«. Die Motive für diese Auslandseinsätze – die Verteidigung der Landesgrenzen als Kriegsgrund wird kaum noch in Erwägung gezogen – sind an Zynismus kaum zu übertreffen: Bedrohungen werden im Zerfall von Staaten, im internationalen Terrorismus, in terroristischen und diktatorischen Regimen, in kriminellen Netzwerken, in Klima- und Umweltkatastrophen, in Migrationsentwicklungen, in der Verknappung von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, in Seuchen und Epidemien sowie in Gefährdungen für kritische Infrastrukturen wie der Informationstechnik gesehen.
Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr
Für ihre kriegerischen Auseinandersetzungen plant die Bundeswehr 5000 bis 15.000 Freiwillige Wehrdienstleistende ein. Doch die bisher geringe Anzahl an Freiwilligen stellt sie vor ein Problem, das sich in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Das Militär sorgt sich um die demografische Entwicklung und um die damit einhergehenden sinkenden SchülerInnenzahlen. Deshalb wurde der Etat zur Nachwuchswerbung in diesem Jahr bereits von 4,8 Millionen Euro auf über 10 Millionen Euro aufgestockt. Außerdem wird die Hardthöhe zum 1.1.2012 »eine mit entsprechenden personellen und materiellen Ressourcen ausgestattete Personalgewinnungsorganisation« einrichten.
Bei ihren Rekrutierungsmaßnahmen überlässt die Bundeswehr nichts dem Zufall. Seit 2004 untersucht das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr regelmäßig den Themenbereich »Berufswahl Jugendlicher und Nachwuchswerbung der Bundeswehr«. Aufgrund detaillierter Analysen werden dort abschließend auch Empfehlungen für die Zukunft gegeben. Die Differenzierung nach Geschlecht ist dabei nur ein Kriterium, aber ein wesentliches, denn der Frauenanteil bei der Bundeswehr ist alles andere als zufriedenstellend. So traten am 4. Juli nur 44 Frauen der Bundeswehr bei (1 Prozent im Vergleich zu den Männern). Aktuell liegt der Frauenanteil in der Bundeswehr bei 9 Prozent, anvisiert sind 15 Prozent.
Girls' Day als Rekrutierungsinstrument
2007 stellte ein weiterer Forschungsbericht fest, dass sich 20 Prozent der jungen Frauen einen Dienst an der Waffe vorstellen können, 2004 waren es nur 13 Prozent. Diese Steigerung führt der für die Studie verantwortliche Wissenschaftler Thomas Bulmahn auf das Engagement der Bundeswehr vor allem beim Girls' Day zurück. Deshalb empfiehlt er: »Die vorhandenen Angebote, wie beispielsweise die Sport- und Musik-Events der Bundeswehr (BW-Beachen, BW-Olympix), Girls' day, Tage der offenen Tür (»Open Ship« der Marine) etc., sollten weiter ausgebaut und weitere geeignete Möglichkeiten entwickelt werden.« Dass die Empfehlungen ernst genommen werden, spiegelt sich in den Zahlen des Girls' Day 2011 wider: Bundesweit boten diesmal 172 Dienststellen der Bundeswehr (+27 Prozent im Vergleich zu 2006) 7837 Plätze beim Girls' Day an. Damit stellte sie 6,2 Prozent der 125.512 Plätze.
Geworben wurde unter anderem mit Slogans wie: »Es kann bunt werden«, »Arbeitgeber Bundeswehr – Feuerwehrfrau, Infanteristin und Fahrlehrerin«, »Ein toller Tag bei der Bundeswehr«, »Girls und der Lagerberg«, »Erlebnistag bei der Luftwaffe«, »Hallo, Karriere! Berufsstart in der Logistik«. Unterstützt wurden die rein militärischen Einrichtungen auch von der Agentur für Arbeit, von der ADAC Luftrettung und vom Amt für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten. Bei allen Veranstaltungen versucht sich die Bundeswehr als ganz normaler Arbeitgeber zu präsentieren – ein wichtiges strategisches und konzeptionelles Element des militärischen Personalmanagements.
Schweigen zur Bundeswehr
Erstaunlich ist, dass man in den Materialien und Evaluationsberichten zum Girls' Day nichts zur Bundeswehr findet. Auch die Inhalte der Internetseite www.girls-day.de liefern lediglich drei Treffer. So berichtet eine Soldatin von ihrem »Beruf« und wie sie diesen über den Girls' Day kennengelernt hat: »Wir haben uns Zelte und Lagerfeuerstellen angeschaut und auch einen Panzer. Eben das, was man mit dem Soldat sein in Verbindung bringt.«
Die Lenkungsgruppe des Girls' Day, die sich aus VertreterInnen der Aktionspartner – unter anderem des DGB – sowie der Kultusministerkonferenz (KMK), der Gleichstellungs- und Frauenministerienkonferenz (GFMK) sowie des Bundeselternrates (BER) zusammensetzt, begleitet den Girls' Day inhaltlich und organisatorisch. Jenny Huschke vom DGB-Bundesvorstand, Abteilung Gleichstellungs- und Frauenpolitik, weist darauf hin, dass seit vielen Jahren mit dem Bundesministerium für Verteidigung abgestimmt sei, dass eine Girls' Day-Beteiligung bei der Bundeswehr erst ab Klasse 9 erfolgen solle.
Gewerkschaften gegen Rekrutierung
Erfahrungen zeigen, dass dies dennoch nicht immer eingehalten wird. Die Problematik der Rekrutierung aufgrund der Umstellung des vormaligen Wehrdienstes auf einen Freiwilligendienst bringe die Bundeswehr zusätzlich in eine neue Situation. »Darum haben wir uns als bundesweite Lenkungsgruppe auf der Sitzung im Mai 2011 auch mit der Problematik Bundeswehr und Angebote beim Girls' Day befasst«, so Jenny Huschke. »Wir werden zukünftig sicher noch genauer prüfen, was beim Girls' Day angeboten wird und ob er bei der Bundeswehr weiterhin als Berufsorientierungsveranstaltung stattfindet oder eher Rekrutierungszwecken dient.«
Anne Jenter, Leiterin des Arbeitsbereichs Frauenpolitik beim GEW-Hauptvorstand, die sich seit Jahren dafür einsetzt, dass Mädchen formal die gleichen Zugangs- und Aufstiegschancen zu allen Berufen haben sollen, meint bezüglich des verstärkten Auftretens der Bundeswehr beim Girls' Day: »Wir lehnen ein verstärktes Werben der Bundeswehr an Schulen und besonders nachdrücklich ein Instrumentalisieren des Girls' Day ab.« Anne Jenter verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Beschluss des GEW-Hauptvorstands vom 05./06. März 2010: Bundeswehr und Schule: Einfluss zurückdrängen – Politische Bildung ist Aufgabe von Lehrkräften.
Wie bereits erwähnt, bemüht sich die Bundeswehr bei ihren Rekrutierungsversuchen intensiv darum, das Militär als »normalen« Arbeitgeber darzustellen. Denn als eines der größten Probleme der Personalgewinnung gilt, dass »damit zu rechnen [ist], dass den Jugendlichen immer mehr bewusst wird, dass es sich bei der Bundeswehr um eine Armee im Einsatz handelt und dass der Beruf des Soldaten erhebliche Risiken mit sich bringt.«
Wieso halten die Arbeitgeberorganisationen still?
Die Bundeswehr erhält 2011 eine 100-prozentige Erhöhung ihres Etats für die Rekrutierung ihrer SoldatInnen. Zwischen Kultusministerien und Bundeswehr werden Kooperationsvereinbarungen geschlossen, ebenso zwischen Agenturen für Arbeit und Bundeswehr. Die Bundeswehr formuliert dabei klar ihre Ziele: Der »Wettbewerb um die verbleibenden leistungsfähigen und motivierten Jugendlichen [werde sich] verschärfen« und: Die Bundeswehr sieht sich »künftig zunehmend in Konkurrenz mit anderen nach qualifiziertem Personal suchenden Mitbewerbern.« Dabei handele es sich um einen Wettbewerb »um die geschicktesten Hände und klügsten Köpfe«.
Warum schweigen die Arbeitgeber bei diesen Kampfansagen? Auch sie fürchten doch zusehends den Fachkräftemangel. Antwort gibt stellvertretend die Internetseite www.bundeswehr-wirtschaft-leipzig.de/ (Partner: IHK Leipzig, Handwerkskammer Leipzig, 13. Panzergrenadierdivision, Wehrbereichsverwaltung OST, Berufsförderungsdienst der Bundeswehr, Zentrum für Nachwuchsgewinnung OST): »Jährlich beenden zirka 15.000 Soldatinnen und Soldaten auf Zeit ihr Dienstverhältnis bei der Bundeswehr und stehen Unternehmen mit den unterschiedlichsten Qualifikationen zur Verfügung. Sie profitieren als Arbeitgeber nicht nur von den sozialen und beruflichen Qualifikationen der Bewerber, sondern minimieren bereits im Rahmen der Personalgewinnung Ihren Aufwand, wenn die Vorteile der Zusammenarbeit mit dem Berufsförderungsdienst genutzt werden.« Der Geist der Bundeswehr hat sich verändert und verändert sich weiter, hin zur Militarisierung der Gesellschaft.
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitung »Die demokratische Schule« der GEW Bayern erschienen.
Zur Person:
Dorothea Weniger ist Journalistin und Mitglied der DDS-Redaktion.
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