Heute wäre Stefan Heym 100 Jahre alt geworden. Thomas Haschke stellt einen der bekanntesten, aber auch umstrittensten linken Literaten in einer persönlichen Würdigung vor
Ich werde mit einem Auszug aus dem Gedicht Exportgeschäft von Helmut Flieg (Geburtsname von Stefan Heym) beginnen. Dieses entstand 1931 und prägte das Leben von Stephan Heym entscheidend. Das Gedicht bezieht sich auf die militärische Ausbildungsunterstützung der chinesischen Kuomintang-Armee durch die Rüstungsindustrie und Reichswehroffiziere (z.B. Max Bauer, Oberst der Reichswehr, Waffenhändler und Militärberater, der sich auch am Kapp-Putsch beteiligte):
»Wir exportieren!
Wir exportieren!
Wir machen Export in Offizieren!
Wir machen Export!
Wir machen Export!
Das Kriegsspiel ist ein gesunder Sport!
….
Wir lehren Mord! Wir speien Mord! Wir haben in Mördern großen Export!
Ja!
Es freut sich das Kind, es freut sich die Frau. Von Gas werden die Gesichter blau.
Die Instruktionsoffiziere sind da.
Was tun wir denn Böses? Wir vertreten doch nur die deutsche Kultur.«
Antisemitische Hetze
Dieses Gedicht erschien in der Chemnitzer SPD-nahen Zeitung Volksstimme am 7. September 1931. Wegen dieser Zeilen musste der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Jude Helmut Flieg die Schule und die Stadt verlassen. Grund dafür war die antisemitische Hetze, die von der NSDAP angeheizt wurde. Der Druck war so groß geworden, dass die Schulleitung Helmut von der Schule warf.
2002 schlug die damalige PDS vor, dieses Chemnitzer Gymnasium nach Stefan Heym zu benennen. Dies lehnte der damalige rechte Förderverein der Schule ab, u.a. mit der Begründung, Heym sei von der Schule verwiesen worden, weil er ein »unverbesserlicher Sozialist« gewesen sei, in dessen Werken »Menschenverachtung« zum Ausdruck komme. Leider konnte sich der Förderverein durchsetzen.
Flucht über Prag in die USA
Helmut Flieg floh zu Verwandten nach Berlin, wo er am Heinrich-Schliemann-Gymnasium seinen Abschluss machte und ein Journalistik-Studium begann. Dieses musste er nach dem Reichstagsbrand 1933 abbrechen. Die Nazis in Chemnitz hatten Helmut Flieg nicht vergessen; im Zuge des Reichstagsbrandes nahmen sie seinen Vater als Geisel in Haft und forderten, dass er sich stelle. Auf Drängen besonders seiner Mutter floh er in das liberale Prag. Hier nahm er den Namen Stefan Heym an, unter dem er später berühmt werden sollte.
Geldknappheit und die Expansionsgelüste Nazideutschlands zwangen ihn, Prag bald zu verlassen. Ein Angebot aus den USA, ein Stipendium für geflohene jüdische Studenten, brachte ihn nach Chicago. Dort engagierte er sich bei der KP-nahen Zeitung Deutsches Volksecho und lernte seine erste Frau Gertrude kennen. Hier entstand auch sein erstes Buch, Hostages – Der Fall Glasenapp.
Kritisch-solidarische Haltung zur Sowjetunion
Schikaniert von den Nazis beging Stefan Heyms Vater Selbstmord. Als US-Staatsbürger konnte Stefan Heym jedoch wenigstens seine Mutter und seinen Bruder vor den Nazis retten, indem er sie nach Amerika holte. Ein Großteil seiner Verwandten und Freunde wurde in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet.
Als die USA in den Krieg eintraten, wurden zuerst die neuen Staatsbürger einberufen und viele von ihnen nach Europa geschickt (auch heute noch gehen z.B. viele Flüchtlinge aus Südamerika zum Militär, da dies der US-Staatsbürgerschaft/Aufenthaltsrecht förderlich ist). Als Mitglied der Abteilung Psychologische Kriegsführung war Heyms Aufgabe die Gestaltung von Flugblättern und Radiosendungen gegen die Wehrmacht. Aufgrund seiner kritisch-solidarischen Haltung zur Sowjetunion wurde er dann nach Kriegsende wieder in die USA zurückgeschickt.
In Ungnade bei der SED
1952, in Zeiten der Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära, floh Heym aus den USA und kam auf Umwegen in die DDR. Spätestens mit seinem Buch »5 Tage in Juni«, das er 1956 schrieb, fiel er auch bei der SED-Führung in Ungnade. In diesem Roman schreibt Heym seine linke Sicht über die Arbeiteraufstände von 1953 nieder.
In der Folge hatte er immer wieder Probleme, seine Romane in der DDR zu veröffentlichen. Dies sollte sich erst 1989 ändern. Stefan Heym war einer der führenden Köpfe der Intellektuellen der DDR-Opposition.
Gegner von Helmut Kohls Plänen
Er war Redner und Mitorganisator der größten nicht-staatlichen Demonstration am 4. November 1989 in der DDR. Hier das wohl bekannteste Zitat aus seiner Rede:
»Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all‘ den Jahren der Stagnation – der geistigen, wirtschaftlichen, politischen; – den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. […] Einer schrieb mir – und der Mann hat recht: Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen!«
Stefan Heym gehörte zu den Linken, die ein neue basis-sozialistische DDR gestalten wollten. Er war Mitorganisator des 1989er Aufrufs Für unser Land, der sich gegen Helmut Kohls Pläne der Angliederung an die kapitalistische BRD richtete. Im Jahr 1994 kandidierte Heym für den Bundestag, darüber später mehr. Bis zu seinem Tod am 16. Dezember 2001 brachte er sich mit seinen Büchern und Vorträgen immer wieder politisch ein.
Biographien von historischen Persönlichkeiten
Als Literaturtipp möchte ich gern das Buch Schwarzenberg empfehlen. Stefan Heym brachte eine Vielzahl von Romanen heraus. Hervorheben möchte ich seine Biographien von historischen Persönlichkeiten.
Interessant ist, dass seine Biographien, z.B. Lassalle, Pragfrider, Radek, Lenz (Andreas Lenz und die badische Revolution) und seine Audiobiographie Nachruf sehr viel Spielraum geben für Interpretationen. Stefan Heym konnte kritisch und nicht heroisierend die Personen darstellen.
Lassalles Stärken und Schwächen
Bei Lassalle beschreibt er dessen Verdienste (z.B. die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, eine der zwei Vereinigungen aus der die SPD entstand), aber auch seine Schwächen: Lassalles elitärer Führungsstil oder die Gespräche mit Bismarck, um aus Verhandlungen und gutem Zureden Rechte für die Arbeiter auszuhandeln, was – welch Wunder – scheitern musste. Nur durch Klassenkämpfe wie Streiks haben es dann die Arbeiter geschafft, Verbesserungen und das Wahlrecht für alle zu erreichen. Selbst heute noch wird Bismarck bei manchen Gewerkschaftern und SPD-lern als Gründer der Sozialversicherungen fast angebetet.
Der Leser kann dieses Buch über Lassalle auch gegen die Selbstherrlichkeit der SED-Führung auslegen. Heym legt auch die Positionen von Marx und Engels dar, die sich mehr auf die Sozialistische Arbeiterpartei beziehen und Lassalle teilweise arrogant belächelten. Die Darstellung von Marx und Engels als arrogant führte dazu, dass dieses Buch in der DDR erst 1974 veröffentlicht wurde, fünf Jahre nach seinem Erscheinen in der BRD. Die Veröffentlichung in der BRD, ohne die dieses Buch wohl nie in der DDR gedruckt worden wäre, brachte Heym eine Strafe von 300 Mark ein.
Radek und der Niedergang der Russischen Revolution
Ein weiteres super Buch ist der Roman über das Leben von Karl Radek, der 1995 veröffentlicht wurde. Radek gehört heute (obwohl dieses Buch ihn auch für Linke wieder interessant machte) zu den streitbarsten Linken der europäischen Arbeitergeschichte. Radek wurde 1905 aus der Polnischen Sozialistischen Partei wegen seiner Unterstützung der russischen Revolution ausgeschlossen, später dann auch aus der deutschen SPD, wo er auch Meinungsverschiedenheiten mit Rosa Luxemburg hatte.
Radek nahm an der Zimmerwalder Antikriegskonferenz teil. Er gehörte zum engsten Kreis Lenins während der Oktoberrevolution. Leider lehnte er sich nicht stark genug gegen Stalin auf; bis es zu spät war und er der stalinistischen Säuberung zum Opfer viel und nach Sibirien verbannt wurde. Heym beschreibt Radek als intellektuellen Denker und zeigt sehr anschaulich seine Stärken und Schwächen.
Ich konnte in diesem Buch Vergleiche ziehen zu Heyms Austritt aus dem Bundestag im Oktober 1995. Dies geschah, weil Heym einer Verfassungsänderung zur Diätenerhöhung für Bundestagsabgeordnete nicht zustimmen wollte. Die Arbeitslosenquote lag in diesem Jahr bei über 10,4 Prozent. Stefan Heym wollte ein Zeichen setzen gegen das Bereichern einer politischen Klientel zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung: für mich die passende Konsequenz aus seiner Auseinandersetzung mit Radek, der sich nicht früh und konsequent genug gegen Stalins Aufstieg wehrte.
Stefan Heym und DIE LINKE
Stefan Heym war einer der ersten Parteilosen, die auf der Liste der PDS seit ihrer Öffnung für Nichtmitglieder kandidierten. Er erkämpfte auf Anhieb das Direktmandat mit über 40 Prozent in Berlin-Prenzlauer Berg – gegen Wolfgang Thierse (SPD). Die PDS und heute DIE LINKE werden von vielen linken parteilosen Menschen bei Wahlen auf der Liste der Partei unterstützt. Der Friedensaktivist Tobias Pflüger kandidierte 2004 zum EU-Parlament und stärkte dadurch die Antikriegsposition der PDS.
Als Alterspräsident hielt Stefan Heym die Eröffnungsrede zum 13. Bundestag, was helle Aufregung bei der CDU verursachte. Heyms Mandatsniederlegung half mit bei der Entscheidung der Abgeordneten der LINKEN, die Erhöhungen der Diäten für soziale und linke Projekte zu spenden. Auch heute noch zeigt z.B. Wolfgang Neskovic durch seinen Rückzug aus der Fraktion, wo es Schwachstellen bei uns, der LINKEN, gibt. Er zieht sich wegen der Regierungspolitik der LINKEN in Brandenburg zurück.
Gegen Stalinismus und Kapitalismus
Heym zählt mit zu den bekanntesten, linken Sozialisten, die gegen Stalinismus und Kapitalismus kämpften. Er hat die Gesellschaft und auch sich selbst kritisch hinterfragt und Lehren daraus gezogen oder seinen Weg korrigiert. Dabei ist er aber seinen Idealen immer treu geblieben. Deswegen sollten wir Stefan Heyms gedenken und uns in seinem Sinne für eine bessere Welt einsetzen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat für dieses Jahr einen Schwerpunkt auf Stefan Heym gesetzt und bietet vielfältige Veranstaltungen an (http://stefanheym.blog.rosalux.de/).
In seiner Geburtsstadt Chemnitz findet erst in den letzten Jahren eine intensivere Ehrung von Stefan Heym statt. So wurde er erst 2001 Ehrenbürger der Stadt. Seit 2009 gibt es eine Internationale Stefan-Heym-Gesellschaft, die ihren Sitz in Chemnitz hat. Seit 2008 vergibt die Stadt Chemnitz einen Stefan-Heym-Preis. Dieses Jahr wird vor dem zukünftigen Sächsischen Landesmuseum für Archäologie (dem Gebäude des Kaufhauses der jüdischen Familie Schocken, das im Zuge der Nationalsozialistischen »Arisierung« von der Deutschen Bank übernommen wurde) ein Stefan-Heym-Platz eingeweiht.
Mehr über Stefan Heym:
Lust, mehr über Stefan Heym zu erfahren? Kein Problem. Am 11. und 12. April 2013 gibt es an der TU Chemnitz eine Tagung mit dem Titel »Der Jahrhundertzeuge – Geschichtsschreibung und Geschichtsentwürfe im Werk von Stefan Heym«, zu der ich euch herzlich einlade.
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Schlagwörter: Buch, Bücher, DDR, Helmut Kohl, Kultur, Rezension, SED, Sowjetunion