Von Merkels »Bildungsrepublik« profitiert vor allem Kinder von Reichen, meint Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Hier ihre Rede im Bundestag als Video ansehen
Während das BAföG um gerade einmal zwei Prozent erhöht wird, wird das Büchergeld für Stipendiaten um 275 Prozent erhöht. Statistiken belegen, dass Stipendiaten in der großen Mehrheit Kinder von Akademikern und Reichen sind. Das zeigt, wer von Merkels Bildungsrepublik tatsächlich profitiert. Im Gegensatz zum Stipendienprogramm würde eine bessere Ausstattung der Hochschulen mit Lehrmitteln, Lernmitteln und Personal eine Verbesserung der Studienbedingungen für alle Studierenden bedeuten, auch für die vermeintlich Hochbegabten, die der Regierung so am Herzen liegen. Annette Schavan will die besten zehn Prozent der Studierenden mit Stipendien fördern, wie auch immer diese ermittelt werden sollen. DIE LINKE fordert, stattdessen die BAföG-Sätze und Freibeträge um zehn Prozent zu erhöhen, um auch denen ein Studium zu ermöglichen, die sich das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht leisten können.
Video:
Die Rede im Wortlaut:
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
»Taschengeld für die Elite« – Frau Ministerin – so titelten die Zeitungen, nachdem Sie Ihr Nationales Stipendienprogramm vorlegten. Was sind Ihre Vorschläge: Sie wollen die »leistungsstärksten zehn Prozent« der Studierenden mit 300 Euro im Monat fördern. Dabei wissen Sie genau – und diverse Untersuchungen belegen das – dass das vor allem die Studierenden sein werden, die ohnehin kaum finanzielle Probleme haben, die aus besserverdienenden Elternhäusern kommen. Denn in diesem Bildungssystem und an den Hochschulen herrschen ungleiche Bedingungen: die 19. Sozialerhebung vom April zeigt, dass zwei Drittel aller Studierenden parallel zum Studium arbeiten müssen; fast 40 Prozent arbeiten durchschnittlich 16 Stunden pro Woche.
Frau Schavan – ich weiß nicht, wie Sie sich Ihr Studium finanziert haben und ob Sie selber wissen, wie es ist, wenn man neben dem Studium arbeiten muss; aber ich kann Ihnen sagen, wenn man nachts bis eins kellnert oder zwei Tage die Woche bei einem Promotion-Job arbeitet, kann es schon mal sein, dass man am nächsten Tag im Seminar eben nicht so konzentriert oder nicht so gut vorbereitet ist. Und genau diese Studierenden, die sich ihr Studium auf diese Weise finanzieren müssen, werden durch ihre Politik noch weiter benachteiligt, und das ist ein Skandal!
Dass Sie auch noch allen Ernstes behaupten, dieses Vorhaben sei »zutiefst sozial«, schlägt dem Fass wirklich den Boden aus. Sie geben vor, sie wollten damit insbesondere Studieninteressierte aus finanziell schlechter gestellten Elternhäusern für ein Studium begeistern. Ich frage Sie – wie soll die vage Aussicht auf ein Stipendium dazu motivieren ein Studium aufzunehmen? Denn anders als mit dem BAföG, entsteht mit Ihrem Stipendienprogramm eben kein klarer Rechtsanspruch für die Studierenden.
Und die Allensbach-Studie zur Studienfinanzierung 2010 belegt, dass auch die Studierenden und Abiturientinnen und Abiturienten von der sozialen Wirkung von Stipendien wenig überzeugt sind: 84 bzw. 77 Prozent sprechen sich dafür aus, dass bei der Vergabe von Stipendien andere Kriterien berücksichtigt werden müssen – allen voran die soziale Lage.
Statt Ihrem Stipendienprogramm brauchen wir endlich eine Bildungspolitik, in der der Zugang zu Bildung und ein Hochschulstudium nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig sind! Sie hatten vor, die Kosten für dieses Elitenförderungsprogramm mit der Wirtschaft zu teilen: 150 Euro sollten vom Staat kommen, 150 von der Wirtschaft.
Die Bildungsgewerkschaft GEW hat in der vergangenen Woche vorgerechnet, dass davon
allerdings überhaupt keine Rede sein kann, weil de facto rund ein Drittel über die
Steuerrückerstattung wieder an die Unternehmen zurückfließt. Der Staat soll also zwei Drittel der Programmkosten tragen und gibt aber gleichzeitig die Entscheidung aus der Hand, wo die Mittel hinfließen. Es ist so wie auch ansonsten in der schwarz-gelben Politik: die Wirtschaft entscheidet, die Politik muss es bezahlen!
Und jetzt kommt aber noch als Pointe hinzu, dass Sie selbst von den Unternehmen einen
deutlichen Korb für Ihr Elite-Projekt bekommen haben; die wollen sich nämlich gar nicht an ihrem Stipendienprogramm beteiligen. Aber Sie sind flexibel und haben blitzschnell umgeschwenkt und entdecken für Ihre Zwecke die »Zivilgesellschaft«, die Sie in die Pflicht nehmen wollen – insbesondere die ehemaligen Studierenden sollen zur Kasse gebeten werden. Und spätestens da wird es doch vollends absurd! Frau Schavan, es ist ja schön, wenn Sie es sich leisten können, ein Stipendium in NRWzu stiften. Aber glauben Sie ernsthaft, dass das der Regelfall ist? Nach Ihren Plänen sollen die ehemaligen Studierenden – ich zähle mal einige der Leistungen auf, aus denen sich der Staat zurückzieht und die nun privat zu finanzieren sind – die Hochschul-Absolventen sollen
– den Studienkredit und das BAföG für ihr eigenes Studium zurückzahlen,
– sie sollen Bildungssparkonten für ihre Kinder anlegen, um denen ein Studium finanzieren zu können, – sie sollen natürlich in die eigene Altersvorsorge investieren,
– und jetzt sollen sie noch obendrein Stipendien für andere Studierende stiften.
Frau Schavan – merken Sie das eigentlich nicht? Die große Mehrheit der Menschen, auch die Akademiker, kann sich das nicht leisten!
Aber all das ignorieren Sie einfach und wollen ihr Projekt durchziehen. In der Regierungsbefragung am 21. April sagten Sie allen Ernstes – ich zitiere Sie – »Wir müssen herausfinden, aus welchen Quellen die Stipendien finanziert werden. Dann können wir weitersehen.« Das soll seriöse Politik sein? Schon jetzt haben Sie die Zahl der Stipendien bis 2013 nach unten korrigiert. Das beweist doch: Sie glauben nicht einmal mehr selbst, dass Ihr neues Modell funktioniert! Das Bittere ist nur: dass Sie ihre Experimente und Ihre Elitepläne auf dem Rücken der Studierenden austragen!
Sie wurden auch gefragt, warum Sie nicht einfach das BAföG weiter ausbauen wollen. Sie antworteten: »Das tue ich deshalb nicht, weil es ziemlich altmodisch ist, ausschließlich auf das BAföG abzustellen.« Ich möchte an dieser Stelle die Begründung des BAföG-Gesetzes von 1971 zitieren, dort heißt es: »Der soziale Rechtsstaat, der soziale Unterschiede durch eine differenzierte Sozialordnung auszugleichen hat, ist verpflichtet, durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit der jungen Menschen hinzuwirken.« Zitat Ende.
Sie und ihre schwarz-gelbe Koalition halten den Sozialstaat also für altmodisch. Sie möchten, dass sich der Staat auch mehr und mehr aus der Studienfinanzierung zurückzieht und das dem »Engagement Privater« wie Sie es so schön formulieren, überlässt, also denen, die sich das eventuell leisten können. So eine Politik haben Sie selbst richtigerweise Mäzenatentum genannt. Mäzenatentum: das ist die Idee, reiche Gönner finanzieren Bedürftigen quasi als Gnadenakt ihre Bildung – natürlich nur so lange, wie die Gönner darauf eben Lust haben. Das muss man sich mal vorstellen, dass eine Bildungsministerin im 21. Jahrhundert Mäzenatentum fordert, weil sie den Sozialstaat für altmodisch hält. Wenn das Ihre gesellschaftspolitischen
Vorstellungen sind, dann ist das ein Skandal! Wenn Sie die Mäzene, also diejenigen, die sich die Finanzierung anderer leisten können, wenn sie diese Gutverdienenden und die Unternehmen für die Studienfinanzierung stärker in die Pflicht nehmen wollen, dann erhöhen Sie doch einfach den Spitzensteuersatz! Führen Sie die Vermögensteuer wieder ein und sorgen Sie dafür, dass die großen Unternehmen überhaupt Steuern bezahlen! – So eine Finanzierung kann ganz einfach sein, man muss sich gesellschaftspolitisch dafür gar nicht ins alte Rom begeben!
Und stecken Sie diese Einnahmen in einen ordentlichen Ausbau des BAföG, wie ihn DIE LINKE im vorliegenden Antrag fordert. Die zwei Prozent BAföG-Erhöhung, die Sie unter dem Druck der Proteste im Herbst versprechen mussten, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen eine breite Ausbildungsförderung, die den tatsächlichen Bedarf der Studierenden, Schülerinnen und Schüler deckt und schaffen Sie endlich den Darlehensanteil ab. Das wäre eine wirklich soziale Innovation und hundertmal moderner als das vorvorgestrige, antike Mäzenatentum, das Sie hier wieder aufleben lassen wollen!
Vielen Dank.
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