Der Kapitalismus kann gestürzt werden. Darum bietet die Oktoberrevolution auch nach 100 Jahren noch Anlass zur Hoffnung. Von Jan Maas
Die Oktoberrevolution abfeiern? Ernsthaft? Tun das nicht nur Ewiggestrige, Entrückte und Stalin-Fans? Es stimmt: Auf den ersten Blick hat die Welt von vor 100 Jahren mit der Welt von heute wenig bis gar nichts zu tun. Und unter Stalins Regime starben – auch wenn die genauen Zahlen umstritten sind – Millionen an vermeidbaren Hungerkatastrophen, in den Arbeitslagern und Gefängnissen. Dennoch: Die Oktoberrevolution ist und bleibt das größte Ereignis der Menschheitsgeschichte.
Nicht, weil sie zu paradiesischen Verhältnissen führte, sondern weil sie lehrt, dass die Unterdrückten gewinnen und ihr Leben in die eigene Hand nehmen können. Arbeiterinnen und Soldaten, zum größten Teil kaum des Lesens mächtig und unter unwürdigen Bedingungen lebend, zwangen einen Polizeistaat in die Knie, der noch kurz zuvor Tausende von ihnen niedermetzeln ließ, wenn sie zu protestieren wagten, und der im Ersten Weltkrieg Hunderttausende in den sicheren Tod an der Front schickte.
Die umfassendste Befreiung der Menschheit
Was dann folgte, war trotz aller Beschränkungen die umfassendste Befreiung der Menschheit bis dahin: Die Arbeiterklasse übernahm die Kontrolle der Fabriken, die Bauernschaft teilte den Grundbesitz auf. Frauen erhielten das Recht auf Scheidung und Abtreibung, homosexuelle Handlungen standen nicht länger unter Strafe. Die Liste fortschrittlicher Maßnahmen ließe sich noch fortführen. Entscheidend ist: Die meisten dieser Freiheiten genießt der größte Teil der Menschheit heute nicht.
Dass dieser einmalige Aufbruch in den Stalinismus mündete, dafür sind in erster Linie einmalige historische Umstände verantwortlich: Erstens die Isolation Russlands nach dem Scheitern der Aufstände im übrigen Europa, vor allem der deutschen Revolution. Zweitens die Vernichtung der russischen Arbeiterklasse durch den Bürgerkrieg, angeheizt von den Herrschenden weltweit. Diese Umstände leiteten den Verfall der Revolution ein. Sie werden sich so nicht wiederholen.
Eine weltweite Arbeiterklasse ist entstanden
Heute haben sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht nur auf den ganzen Erdball ausgedehnt, sondern sie haben sich nahezu sämtliche Aspekte menschlichen Daseins untergeordnet. Bildung, Gesundheit, Wasser – fast alles ist zur Ware geworden. Gleichzeitig droht der Kapitalismus den Planeten zu zerstören. Das ist einerseits beängstigend, andererseits bedeutet es aber auch, dass eine weltweite Arbeiterklasse entstanden ist, die rund um den Globus unter ähnlichen Bedingungen lebt und arbeitet.
Dass auch unter diesen Bedingungen Revolutionen noch auf der Tagesordnung stehen, hat zuletzt der arabische Frühling gezeigt. Es waren die Streiks der Arbeiterinnen und Arbeiter in den riesigen Baumwollspinnereien und -webereien Ägyptens, die Mubaraks Regime 2011 schließlich zu Fall brachten. Der arabische Frühling hat auch in Erinnerung gerufen, dass Revolutionen nicht von Parteien oder Geheimbünden gemacht werden, sondern spontan aus den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft entstehen.
Organisieren, bevor sich die Widersprüche zuspitzen
Ob solche Revolutionen erfolgreich sind oder nicht, das hängt allerdings schon davon ab, welche Kräfte und Organisationen in die Klassenkämpfe eingreifen. Ohne die Bolschewiki beispielsweise hätte es 1917 zwar die Februarrevolution – den Sturz des Zaren –, aber nicht die Oktoberrevolution – den Sturz des Kapitalismus –, gegeben. Und das ist die zweite Lehre aus dem Roten Oktober: sich zu organisieren, noch bevor sich die Widersprüche in der Gesellschaft zuspitzen.
Schlagwörter: Arbeiterklasse, bolschewiki, Kapitalismus, Lenin, Oktoberrevolution, Russische Revolution, Russland, Sozialismus, Trotzki