Immer mehr US-Amerikaner fordern ein Verbot von Sturmgewehren. Doch um die Zahl der Morde deutlich zu senken, müsste Obama den Sozialabbau beenden, meint Hans Krause
Hadiya Pendleton wartete am 29. Januar in Chicago mit Freundinnen auf den Bus, als jemand aus einem vorbeifahrenden Auto auf die Gruppe schoss und die 15-jährige tötete. Hätte die Jugendliche nicht eine Woche vorher mit ihrer Schulband bei der Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama gespielt, wäre der Mord nie in die Medien gelangt. Denn Pendleton war bereits der 42. Mensch, der mit einer Schusswaffe getötet wurde, nur in Chicago, nur in diesem Jahr.
Politiker haben den Fall im Parlament als Argument benutzt, für Obamas Gesetzesentwurf für ein Verbot bestimmter Modelle von Sturmgewehren. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Gesetz das Leben der Schülerin gerettet hätte, oder das der anderen Schusswaffenopfer in Chicago.
Waffengesetze reichen nicht
Denn Pendleton ist weder mit einem solchen Gewehr noch bei einem Amoklauf ermordet worden. Der Täter benutzte eine Pistole und die Polizei vermutet, dass es um einen Konflikt zwischen kriminellen Banden ging. Möglicherweise wurde die Jugendliche von dem Schützen verwechselt.
Zudem hat Chicago seit Langem eines der strengsten Waffengesetze der USA: Sturmgewehre sind verboten, jede Schusswaffe muss bei der Polizei registriert werden und der Verkauf ist vollständig illegal.
Soziale Ungleichheit steigt
Obwohl in den USA mehr Amokläufe geschehen als in den meisten anderen Ländern, werden auch hier die große Mehrzahl der jährlich etwa 11.000 Morde gezielt verübt. Doch diese Mordrate wird man nicht durch ein Verbot von Gewehren senken können, solange Armut und soziale Ungleichheit in den USA immer weiter steigen.
Dass tödliche Gewalt in einer Gesellschaft relativ viel mit sozialer Gerechtigkeit und relativ wenig mit Waffengesetzen zu tun hat, zeigt eine UNO-Studie von 2010: In einer Liste der Staaten mit den höchsten Mordraten liegen auf Platz 1 bis 15 Länder der Dritten Welt mit Honduras und El Salvador an der Spitze.
Jeder Fünfte arbeitslos
Dass die Rate in den USA sechs Mal höher ist als in Deutschland und zwölf Mal höher als in Japan mag auf den ersten Blick verwundern. Schließlich sind all diese Länder Industriestaaten. Doch ein großer Teil der US-amerikanischen Bevölkerung lebt heute in bitterer Armut, die in den Medien und Hollywood-Filmen meist nicht gezeigt wird.
Obwohl schon die offizielle Arbeitslosenquote mit 7,8 Prozent außergewöhnlich hoch ist, wird sie in den USA umfassender gefälscht, als in den meisten europäischen Staaten. Wer länger als ein halbes Jahr arbeitslos ist, wird normalerweise nicht mitgezählt. Alternative Berechnungen ergeben zurzeit eine Arbeitslosenquote über 20 Prozent.
Griechische Verhältnisse
Zusammen mit sehr niedrigen Löhnen führt das zu einer Armut, die heute eher den Verhältnissen in Griechenland ähnelt als in Deutschland: 30 Prozent der US-Amerikaner verdienen umgerechnet unter 1000 Euro im Monat, weitere 20 Prozent unter 1500.
Entstanden ist diese große Armut in den vergangenen 30 Jahren durch Kürzungen sozialer Leistungen, Liberalisierung des Arbeitsmarktes und Abschaffung von Rechten für Gewerkschaften. Gleichzeitig wurden Steuern für Banken, Konzerne und Reiche stark gesenkt.
Die scheinbare Macht der Schusswaffe
Dass seit den 80er Jahren auch die Zahl der privat verkauften Waffen und der damit verübten Verbrechen anstieg, lag an einer politischen Strategie, die vor allem der 1981 an die Macht gekommene republikanische Präsident Ronald Reagan verfolgte: Während er den Menschen mit Privatisierungen und der Liberalisierung des Arbeitsmarktes immer mehr politische Macht wegnahm, gab der Präsident ihnen scheinbar eine neue Macht in die Hand: Die Schusswaffe.
Reagans Regierung benutzte dafür eine Tradition von privaten Waffen in den USA. Sie entstand durch einen lange relativ schwachen Staat, der bis Anfang des 20. Jahrhunderts in großen Teilen des Landes keine ausreichende Sicherheit für die Menschen bot. Jedoch wurde das Recht auf Waffenbesitz in den 60er und 70er Jahren wie in anderen Industriestaaten stark eingeschränkt.
Reagan vereinfacht Waffenhandel
Die Republikaner machten die Tradition der Schusswaffe jedoch zum Teil ihres patriotischen Marktradikalismus und gingen dabei Anfang der 80er Jahre ein enges Bündnis mit der Waffenlobby »Nationalen Schusswaffenvereinigung« (NRA) ein. Auf deren Wunsch, schaffte Reagan das Bundesamt, welches für die Kontrolle von Schusswaffen zuständig war, komplett ab.
Zusätzlich wurde 1986 das Verbot von Waffenverkäufen per Versandhandel aufgehoben. Der Waffenversand wurde illegal, nachdem man herausfand, dass Lee Harvey Oswald, offiziell der Mörder von Präsident John F. Kennedy 1963, sein Scharfschützengewehr per Versandhandel gekauft hatte.
Pro Einwohner eine Schusswaffe
Der Regierung und der NRA gelang es, einem Teil der US-Amerikaner weiszumachen, dass sie nicht ihre Arbeitsplätze und Löhne, sondern für sich und ihre Familien eine unbestimmte »Freiheit« verteidigen müssten. Und zwar mit Pistolen und Gewehren.
Der Marktradikalismus gepaart mit Schusswaffenfanatismus führte dazu, dass heute 310 Millionen Menschen in den USA etwa 300 Millionen Schusswaffen besitzen, die von Armee und Polizei nicht mitgezählt. Neben vielen anderen Grausamkeiten führte dies seit den 80er Jahren auch zu mehr Morden, sowohl durch Polizisten als auch durch kriminelle Banden.
Häufung von Amokläufen
Hinzu kam in den 80er Jahren eine neue Häufung von Amokläufen mit Schusswaffen, die zuvor nur selten vorkamen. Die Täter waren meist Menschen, die mit jahrelangem Dauerstress und Erniedrigungen am Arbeitsplatz nicht umgehen konnten und irgendwann ihren Chef, andere Angestellte und sich selbst umbrachten.
Auch heute werden die meisten Amokläufe am Arbeitsplatz ausgeführt. Dass man in Europa wenig davon hört, liegt lediglich an den höheren Opferzahlen, wenn jemand in einer Schule oder einem Kino um sich schießt.
Negativbeispiel Clinton
Dass strengere Waffengesetze nicht wirken, wenn der Sozialabbau weiter verschärft wird, zeigte sich bereits unter Präsident Bill Clinton: Sein Verbot einiger Modelle von Sturmgewehren 1994 hat die Zahl der Amokläufe nicht vermindert.
Stattdessen wurden sie erst nach diesem Verbot häufiger an Schulen ausgeführt. Am bekanntesten war der Amoklauf zweier Schüler an der Columbine High School 1999. Michael Moore drehte darüber die Dokumentation »Bowling for Columbine«.
Obama wird weiter kürzen
Daher wird voraussichtlich auch das von Obama vorgeschlagene Verbot von Sturmgewehren kaum einem Menschen das Leben retten. Vielmehr ist zu erwarten, dass die absehbaren sozialen Kürzungen zu mehr unkontrollierter Aggression, Bandenkriminalität, Polizeigewalt, Amokläufen und Selbstmorden führen.
Denn auch wenn die Entscheidung über den US-Haushalt 2013 vor kurzem erneut auf Mai verschoben wurde, steht praktisch fest, dass Obama im Gegenzug für eine höhere Schuldengrenze deutlichen Kürzungen im Haushalt zustimmen wird. Welche Ausgaben gesenkt werden, hat der Präsident bereits angekündigt: Soziales und Gesundheit.
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