Nach der Wahl steht Griechenland vor dem Scheideweg – eine Regierungsbildung scheint unmöglich. Die Volksparteien sind für ihre Kürzungspolitik abgestraft worden, profitiert haben nur die Linken und Rechten. Im Interview bewertet die Syriza-Aktivistin Haris Triandafilidou die Folgen des Wahlergebnisses
Griechenland steht nach der Wahl ohne eine Regierung da, denn die beiden großen Volksparteien sind nicht mehr in der Lage, eine Regierung zu bilden. Gewonnen hat vor allem das »Bündnis der radikalen Linken« (Syriza), in dem du aktiv bist. Ihr seid plötzlich mit 16,5 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft im Parlament. Wie kam es dazu?
Das zeigt, dass sich die Menschen nicht mehr einschüchtern lassen. Die ganze Zeit wurde die Bevölkerung mit einem Dilemma konfrontiert: wenn die Bevölkerung selber demokratisch über Kürzungspläne der Troika entscheiden würde, dann würden wir ins Chaos stürzen. Nun haben die Menschen kapiert, dass wir genau wegen dieser Kürzungspolitik der Konservativen und der Sozialdemokratie längst im Chaos leben.
Die konservative Partei Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok-Partei sind wegen ihrer Kürzungspolitik abgestraft worden. Aber bieten die Linken angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage Griechenlands eine Alternative?
Als Linke sind wir gewählt worden, weil wir dagegen ankämpfen, dass die Last der Krise auf die Bevölkerung abgewälzt wird. In den letzten zwei Jahren vermittelten die griechischen Medien immer nur den Eindruck, Griechenland sei arm und pleite. In der Realität gehört Griechenland aber immer noch zu den 25 reichsten Ländern der Welt. Wenn man aber gleichzeitig sieht, wie viele Menschen arbeitslos sind und unterhalb der Armutsgrenze leben, dann muss man sich fragen, wer dann den Reichtum unserer Gesellschaft besitzt. Das haben wir als Linke getan und gesagt, dass die Krisenverursacher für die Krise zahlen sollen.
Eines der Hauptargumente der griechischen Politiker war immer, dass die Unternehmen wegziehen, wenn man keine Anreize durch Steuersenkungen schafft. Ihr wollt die Reichen besteuern – ist das nicht ein Problem?
Nehmen wir die griechischen Banken, die einen Großteil des griechischen Reichtums besitzen. Die können nicht einfach wegziehen. Genauso ist es mit den Reedern: die griechische Handelsflotte ist die größte der Welt. Immer wieder haben diese Unternehmen damit gedroht, sie könnten auch die Flagge eines anderen Landes auf ihren Masten hissen. Aber auch die können das nicht einfach tun, denn sie wollen nicht auf ihre Privilegien verzichten, die sie nur als weltgrößte Flotte bekommen. Das ist nur ein Beispiel für die Mythen, gegen die wir angekämpft haben.
Ihr habt immer wieder öffentlich gemacht, dass das Geld der Troika nicht für die Renten und Löhne der Bevölkerung eingesetzt wird, sondern nur dazu dient, die griechischen Schulden zurückzuzahlen und damit andere Banken zu retten. War das das wichtigste Argument in eurem Wahlkampf?
Für unseren Erfolg ist weniger unsere Wahlkampagne oder das Programm verantwortlich. Viel wichtiger war, dass die Menschen gesehen haben, dass wir es waren, die die letzten zwei Jahren bei jedem Protest neben ihnen standen. Und zwar nicht nur auf den Demonstrationen, die immer wieder von der Polizei niedergeknüppelt wurden, sondern vor allem auch in den Nachbarschaftsversammlungen. Eine unserer wichtigsten Kampagnen ging um den Widerstand gegen eine ungerechte Immobilienbesteuerung, die über die Stromrechnung eingezogen wurde. Immer wenn Menschen der Strom abgeschaltet werden sollte, haben wir Telefonketten organisiert und uns dann vor der Tür versammelt und das Abschalten verhindert. Diese Basisarbeit unterscheidet uns Linke von den anderen Parteien. Es geht nicht darum, dass wir die Macht im Staat übernehmen und dann nur noch über die staatliche Organe mit der Bevölkerung kommunizieren. Als Linke wollen wir in allen Zellen der Gesellschaft aktiv sein.
Ihr habt euch das Ziel gesteckt habt, die verschiedenen linken Organisationen Griechenlands zusammenzubringen. Wie gut klappt das?
Das ist ganz unterschiedlich. Die Kommunistische Partei weigert sich zum Beispiel mit uns zusammenzuarbeiten. Das ist deshalb problematisch, weil das griechische Wahlsystem für die stärkste Partei im Parlament einen Bonus von 50 Sitzen vorsieht. Die Partei Nea Dimokratia hätte mit ihren fast 19 Prozent der Stimmen ungefähr 50-52 Plätze im Parlament und bekommt jetzt aber als stärkste Partei 50 Plätze dazu, weil sie drei Prozentpunkte vor Syriza liegt.
Wenn Syriza in einem Bündnis mit der Kommunistischen Partei angetreten wäre, hättet ihr dann die 50 zusätzlichen Sitze bekommen?
Ja, dann wären wir nun mit 23 Prozent die stärkste Kraft im Parlament. Man muss aber betonen, dass es eigentlich nur die Parteispitze der KP ist, die sich nicht mit uns auseinandersetzen will. Was an der Basis passiert, ist eine ganz andere Sache, da brodelt es. Die Kommunistische Partei war seit 1974 immer die drittstärkste Kraft im Parlament und der bedeutendste linke Pol im Parteienspektrum. Die Tatsache, dass sie nun angesichts dieser riesigenKrise des Kapitalismus ihr Wahlergebnis nicht einmal um ein Prozent steigern konnten, sagt einiges aus.
Ein Tag nach der Wahl sind die griechischen Aktienkurse auf den tiefsten Stand seit 2008 abgestürzt, da im Parlament nun keine Mehrheit mehr für den Troika-Kurs vorhanden ist.
Diese unruhigen Märkte haben wir ja nicht nur in Griechenland gesehen. Natürlich ist das auch ein politischer Faktor. Nachdem die beiden ehemaligen Regierungsparteien nicht in der Lage waren, die griechische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass das Chaos über sie hereinbricht, wenn sie nicht gewählt werden, kommt jetzt noch einmal die Unterstützung durch die Finanzmärkte. Wichtig zu betonen ist, dass es hier nicht um Konflikte zwischen Nationen, sondern zwischen Klassen geht. Die VertreterInnen der herrschenden Klasse in Griechenland haben auch auf den Kapitalmärkten ihre Unterstützer. Wir sind weit davon entfernt, zu glauben, dass wir jetzt das System stürzen.
Es gab in den letzten Tagen zahlreiche Angriffe auf MigrantInnen in Athen. Die faschistische Partei »Goldene Morgendämmerung« (Cgrysi Avgi) ist mit fast sieben Prozent ins Parlament eingezogen. Ihr Parteichef Nikolaos Michaloliakos hat nach der Wahl gesagt: »Jetzt ist die Zeit, Angst zu bekommen. Jetzt kommen wir.« Wie real ist diese Gefahr?
Sehr real, denn die Neonazis schleichen sich ganz vorsichtig in die Gedanken der Menschen ein. Zum Beispiel indem sie für ältere Leute Sozialdienste machen oder den Einkauf machen. Sie greifen außerdem das Migrationsproblem in Athen auf. Es gibt in Griechenland keine echte Migrationsgesetzgebung und keine Unterbringungsmöglichkeiten. Die MigrantInnen werden ausgenutzt und verelenden auf der Straße. Die Neonazis fragen nicht nach den Ursachen, sondern sagen nur, dass diese Menschen Dreck seien, der weg müsse. Darauf ist ihre Politik gebaut. Die andere Ursache ist das Wegbrechen der rechten LAOS-Partei, die für ihre Regierungsbeteiligung abgestraft worden sind. Ihre WählerInnen haben sich nun noch rechter ausgerichtet. Man darf aber auch nicht die Besonderheit der griechischen Sozialdemokratie unterschätzen. Seit 1981 hat Pasok die griechische Politik mitsamt ihrer populistischen Strategie dominiert. Ihnen ging es immer auch um ein Innen-Außen-Dilemma, um ein ,Wir‘ gegen die ,Fremden‘. Der Vater des letzten Präsidenten Papandreou ist seinerzeit mit dem Slogan ,Griechenland den Griechen‘ an die Macht gekommen. Es ist kein Zufall, dass nun acht Prozent der faschistischen Cgrysi Avgi-WählerInnen aus dem Schoß früherer Pasok-WählerInnen kommen.
Bundeskanzlerin Merkel vertritt die Ansicht, dass Demokratie immer auch ,marktkonform‘ sein müsse. Kann man angesichts der von EU und Deutschland beschlossenen Kürzungen für die griechische Bevölkerung noch von einer Demokratie reden?
Die Schulden sind nicht das Problem, sondern sie sind nur der Vorwand, diese neoliberale Politik mit der Troika und dem IWF bei uns durchzusetzen. Das Problem ist letztlich die Logik des Kapitalismus. Die Leute in Griechenland haben wahrscheinlich noch viel stärker als die Menschen in Deutschland gespürt, dass freier Markt und Demokratie absolut unvereinbar sind.
Zur Person:
Haris Triandafilidou ist in Athen in der Jugend von Synaspismos aktiv, die zum Wahlbündnis Syriza gehört.
(Das Interview führte Ole Guinand. Es wurde zuerst im Studierendenmagazin www.critica-online.de veröffentlicht)
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