Mittlerweile diskutiert auch die deutsche Linke darüber, ob ein Ausstieg aus dem Euro sinnvoll wäre oder nicht. Dabei geht es um eine ganz andere Frage, argumentiert David Meienreis
Seitdem Oskar Lafontaine öffentlich für ein Ende des Euro eingetreten ist, hat die Debatte über die Zukunftschancen der europäischen Gemeinschaftswährung DIE LINKE erreicht. Die Partei diskutiert, ob sie den Austritt einzelner Staaten aus dem Euro ablehnen, tolerieren oder sogar dazu ermutigen sollten.
Die Regierenden sind sich in dieser Frage zurzeit noch einig: Sie setzen auf den Erhalt des Euro-Verbundes, allerdings auf Kosten der unteren 80 Prozent der Einkommensbezieher. Sie sehen in der tiefen strukturellen Krise des Kapitalismus eine Chance, die Wirtschaft des Kontinents zu »modernisieren«, also die in Deutschland vollzogene Entwicklung von Lohnsenkung und Sozialstaatsabbau in potenzierter Form in ganz Europa nachzuholen. Um das zu verhindern, ist ein massives und organisiertes Eintreten der Bevölkerung nötig.
Dieser Kampf steht an, denn ohne Widerstand werden die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheiten in den Krisenländern und darüber hinaus unter die Räder kommen – ob mit oder ohne Euro. Die Verteilungsfrage ist letztlich eine Machtfrage und keine Frage der Währung. Unsere stärksten Waffen sind Widerstand von unten und internationale Solidarität. Die sollten wir nicht wegen währungspolitischer Fragen aufs Spiel setzen.
Aus guten Gründen gegen den Euro
Aus guten Gründen war nahezu die gesamte europäische Linke – jedenfalls die Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen – seinerzeit gegen die Einführung des Euro. Sie hat vor tiefgreifenden wirtschaftlichen Folgen wie der rücksichtslosen Vereinheitlichung des Zinsniveaus, möglichen Handelsbilanzungleichgewichten, der »Unabhängigkeit« der EZB von demokratischer Kontrolle, einem deutschen Übergewicht sowie fehlenden Regulierungsmöglichkeiten der Finanzmärkte gewarnt. Aufgrund des übermächtigen Einflusses Deutschlands wurde der Euro-Raum international von Anfang an als erweiterte D-Mark-Zone bezeichnet. Diese Vorhersagen haben sich bestätigt.
Die Kritik, die wir damals geäußert haben, ist heute nicht falsch, nur weil der Euro jetzt Realität ist. Leider würde ein – zumal unkontrolliertes – Zerbrechen des Euro schwere wirtschaftliche und soziale Problemen mit sich bringen. Die traurige Wahrheit ist, dass Weltwirtschaftskrisen im Kapitalismus immer die Eigenschaft haben, solche Probleme hervorzurufen, egal in welcher Währung abgerechnet wird.
Alternativen zum Euro
Wie heftig die Kapitalseite zur Rettung ihrer Bilanzen zuschlagen kann, hängt davon ab, wie viel Widerstand ihr entgegentritt. Die Drohung, dass es zu wirtschaftlichen Verwerfungen kommen könnte, wird schon heute kaum einen jungen Menschen in Spanien, Griechenland oder Portugal dafür begeistern, am bisherigen Währungssystem festzuhalten. Denn dort ist jeder zweite unter 30 Jahren bereits arbeitslos.
Mit Ausnahme Deutschlands, das im Jahr 2012 ein schwaches Wachstum von 0,7 Prozent erreichte, und einiger weniger anderer Länder schrumpft die Wirtschaft der gesamten Euro-Zone. Dabei verliert sie rapide ihr sowieso fragwürdiges Image als Insel des Wohlstands und der Demokratie.
Gleichzeitig erleben wir in den Krisenländern eine Welle der Politisierung und Radikalisierung. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu fahrlässig, wenn wir als deutsche Linke kategorisch ausschließen würden, über Alternativen zum Euro nachzudenken, der wirtschaftlich womöglich bald ohnehin nicht mehr haltbar sein wird.
Troika nährt Nationalismus
Nichts nährt gegenwärtig nationalistische Ressentiments in Europa stärker als die Krisenpolitik der Troika, die mit dem »Bekenntnis zum Euro« gerechtfertigt wird. Zudem erhöht sie massiv die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU und der zarten Pflanze der europäischen Solidarität, die im Zuge der koordinierten Streik- und Protestaktionen entstanden ist.
Wäre ein radikaler Kurswechsel der Troika oder eine radikale Umgestaltung der EU unmittelbar zu erwarten, könnte es sich lohnen, auf eine an sozialen und ökologischen Kriterien orientierte EU-(Währungs-)Politik zu hoffen. Und selbstverständlich muss die Linke gerade in Deutschland einen Kurswechsel der Troikapolitik fordern. Doch hierzulande haben sich sowohl das Kapital als auch alle möglichen künftigen Regierungsparteien in dieser Frage eindeutig positioniert. Deshalb dürfen wir – weder gegenüber der zu Recht immer eurokritischeren deutschen Bevölkerung noch auf internationaler Ebene – keinesfalls den Eindruck erwecken, als sei der Erhalt des Euro für die deutsche Linke eine zentrale Bedingung.
Neoliberales Setup von EU und Euro
Übrigens setzen sich nicht nur diejenigen dem Verdacht des Nationalismus aus, die die Abschaffung des Euro vorschlagen. Das »Bekenntnis zum Euro« teilen seine linken Befürworter sowohl hierzulande als auch in anderen europäischen Ländern mit konservativen und nationalistischen Parteien ebenso wie mit Vertretern des Kapitals. Diese Leute verstehen, dass das neoliberale Setup von Euro und EU seit jeher ein effektives Mittel für Lohndumping und Entdemokratisierung ist.
Das könnte nur geändert werden, wenn die gesamte EU auf den Kopf gestellt würde – samt ihrer Verträge und Institutionen wie der völlig undemokratischen, aber sehr mächtigen EU-Kommission, dem weitgehend machtlosen EU-Parlament und dem bei Gewerkschaften berüchtigten Europäischen Gerichtshof. Die gegenwärtige EU ist tatsächlich ein Projekt der internationalen Zusammenarbeit – aber einer Zusammenarbeit der herrschenden Klassen, des »einen Prozents« gegen den Rest.
Widerstand gegen die EU
Es ist zudem fraglich, ob sich ein Zerfall des Euro angesichts der Tiefe der Krise mit staatlichen Mitteln überhaupt abwenden lassen wird. Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise hat ihre volle Entfaltung noch gar nicht erreicht. Trotzdem befindet sie sich schon jetzt auf einem historisch neuen Niveau. Klar ist, dass ein wirtschaftliches und soziales Desaster wie in den südeuropäischen Krisenländern nicht lange bestehen kann ohne schwerwiegende politische Verwerfungen nach sich zu ziehen. Da die unmittelbare Ursache des grassierenden Elends die rabiate Kürzungspolitik der Troika ist, wird sich der Widerstand wahrscheinlich immer entschiedener gegen die EU richten.
Auch in den weniger werdenden Euroländern, deren Bevölkerungen noch nicht unmittelbar von der Krise betroffen sind, nimmt die ablehnende Haltung gegenüber der EU zu. Diese ist aber nicht gleichzusetzen mit einer generellen Ablehnung von internationaler Solidarität. Erstens ist die EU nicht identisch mit Europa. Zweitens ist eine scharfe und grundsätzliche Kritik an Euro und EU völlig vereinbar mit der Vision eines anderen Europa, in dem die arbeitenden Menschen die Wirtschaft nach ihren Bedürfnissen anstatt nach den Vorgaben der EZB und des (Finanz-)Kapitals betreiben.
Die Kritik an der EU sollte die Linke nicht der Neuen Rechten überlassen. Wir sollten nicht an diesem zunehmend verhassten und sozial verheerenden Projekt in der Hoffnung festhalten, es möglicherweise eines fernen Tages in sein Gegenteil wenden zu können: in ein Mittel zur Anhebung und Angleichung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in Europa.
Für bessere Lebensqualität
Die entscheidende Frage ist daher heute nicht: Euro – ja oder nein? Vielmehr geht es um die Verteidigung der Lebensqualität der 99 Prozent. Diese Abwehrkämpfe – gegen Steuererhöhungen, Lohn- und Rentensenkungen oder andere Kürzungen – werden weiterhin vornehmlich im nationalen Rahmen zu führen sein.
DIE LINKE würde einen schweren Fehler machen, wenn sie sich angesichts der drohenden wirtschaftlichen Entwicklung an einer währungspolitischen Frage festbisse, die beizeiten durch den »stummen Zwang der Verhältnisse« ohnehin, auch ohne ihr Zutun, entschieden werden könnte.
Ebenso wenig Hoffnung sollten wir in eine »Palastrevolution« in den Führungsetagen der Europäischen Union setzen. Stattdessen ist es die Aufgabe der europäischen und deutschen Linken, den Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals zu unterstützen, zu politisieren und zu organisieren. Dazu sind politische Proteste wichtig. Letztlich verfügt aber die organisierte Arbeiterklasse als einzige gesellschaftliche Kraft über die Macht, der Profitlogik, nach der die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Europa ausgerichtet ist, eine menschenwürdige Alternative entgegenzusetzen.
Zur Person:
David Meienreis ist wirtschaftspolitischer Referent der Linksfraktion im Hessischen Landtag.
Mehr auf marx21.de:
- Soziale Kälte und nationale Enge: Die neue Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat in Hessen ihren ersten Landtagsabgeordneten – durch Übertritt von der FDP. LINKE-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler griff die AfD in einer Rede als Gefahr von Rechts an
- Kein Ausweg aus der Eurokrise: Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma: Um ihre Sparpolitik zu begründen, braucht sie ein Krisenszenario. Damit aber der Sparwille nicht erlahmt, muss sie behaupten, dass der Höhepunkt der Krise überwunden sei. Entsprechend verworren lesen sich Regierungserklärungen und Medienberichte zur Wirtschaftslage. Thomas Walter schildert, wie es wirklich aussieht