Es ist absehbar, dass die neue Regierung Arbeitnehmer und Arme für die Krise zahlen lassen wird. Bernd Riexinger sprach mit Yaak Pabst über drohende Kürzungen, die Aufgaben der Gewerkschaften und den Widerstand gegen Sozialabbau.
marx21: Während FDP-Parteichef Guido Westerwelle die Gewerkschaften vor vier Jahren noch als »die wahre Plage in Deutschland« beschimpfte, lobt die Kanzlerin jetzt die Arbeitnehmervertreter und fordert sie zur weiteren Mithilfe bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise auf. DGB-Chef Sommer kritisiert zwar den Koalitionsvertrag, betont aber auch, dass »die Kanzlerin in Sachen Tarifautonomie, Mitbestimmung und Kündigungsschutz Wort gehalten hat.« Seiner Meinung nach sei »ein Dammbruch« verhindert worden. Wie bewertest du den Koalitionsvertrag, sind die Zeiten der Konfrontation vorbei?
Bernd Riexinger: Nein. Schwarz-Gelb setzt die neoliberale Politik der Großen Koalition verschärft fort. Merkel und Westerwelle wollen einen generellen Umbau des Sozialstaates zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Erstes Ziel ist das Gesundheitswesen. Die sogenannte Kopfpauschale soll eingeführt werden. Gut für alle, die reich und gesund sind – schlecht für Normalverdiener, Arme und Kranke. Außerdem soll der Arbeitgeberbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung eingefroren werden. Damit wird das solidarische Krankenversicherungssystem ausgehebelt. Unternehmer profitieren, die Beschäftigten zahlen. Gelingt der schwarz-gelben Regierung dieses Vorhaben, ist das ein Dammbruch für den weiteren Umbau und die Zerschlagung anderer Bereiche des Sozialstaates. Ein zweiter Großangriff findet auf der Ebene der Steuerpolitik statt….
Aber die neue Regierung verspricht »mehr Netto vom Brutto« und plant steuerliche Entlastung in Milliardenhöhe…
…ja aber für wen und zu welchem Preis? Von den sogenannten »steuerlichen Entlastungen« profitieren doch vor allem Unternehmer und Reiche. Diese Steuersenkungen gehen zu Lasten der Haushalte von Ländern und Kommunen. Dabei müssten die Kommunen finanziell gestärkt werden. Schon jetzt fehlen dort für die öffentliche Daseinsfürsorge Milliarden. Die schwarz-gelben Steuerpläne werden die finanzielle Notlage der Kommunen weiter forcieren – der Kostendruck wird nach unten weitergereicht: Haushaltssperren, Sozialkürzungen, Personalabbau und höhere Gebühren werden die Folge sein. Leidtragende sind die Verbraucher – vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen. Diese Regierung spielt nicht mit offenen Karten. Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle erzwingen den sozialen Abbau in Ländern und Gemeinden, während die Bundesregierung sich das Etikett »sozial gerecht« anheftet. Wir dürfen diesem Taschenspielertricks nicht auf den Leim gehen. Die Gewerkschaften sind doch kein Hasenzüchterverein, sondern wir vertreten die Interessen von Millionen Beschäftigten. Als Klassenorganisationen haben die Gewerkschaften die Aufgabe offensiv die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Zur Zeit sind wir viel zu defensiv.
Die öffentlichen Kassen sind hoch verschuldet. Länder und Kommen klagen schon seit Langem über chronische Unterfinanzierung. Was bedeutet das für die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst?
Ver.di muss sich auf harte Auseinandersetzungen vorbereiten. Ein wesentliches Element der neoliberalen Politik war und ist die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen. Um der finanziellen Katastrophe zu entgehen, verkauften viele Städte und Gemeinden ihre Krankenhäuser und Stadtwerke, privatisierten die Müllabfuhr oder die Wasserversorgung. Durch die schwarz-gelben Pläne bei der Steuerreform wird der Druck, dort weiterzumachen, verstärkt. Deswegen brauchen wir schon jetzt eine Kampagne für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen. Ver.di muss an der Frage richtig Druck machen. Nach dem Motto: Mehr Geld für Schulen, Schwimmbäder und Krankenhäuser – die Reichen sollen zahlen.
Die Forderung nach Ausbau des öffentlichen Sektors paart sich auch mit der Misere im Bildungssystem, den Defiziten in der Gesundheitsversorgung und der Notwendigkeit einer verstärkt ökologischen Orientierung. Die beeindruckenden Bildungsstreiks, die zum Beispiel in Stuttgart gemeinsam mit Erzieherinnen und Erziehern organisiert wurden, geben eine Vorahnung, welche gesellschaftlichen Bündnisse die Gewerkschaften auf diesem Feld schließen können.
Vom 13. bis 15. November 2009 organisiert das Bündnis »Wir zahlen nicht für eure Krise« eine bundesweite Aktionskonferenz in Stuttgart. Du bist Mitinitiator der Konferenz. Warum?
Wir organisieren diese Konferenz, um den gemeinsamen Protest zu planen. Schon vor der Bundestagswahl haben sich die Auseinandersetzungen um die konkrete Abwälzung der Krisenkosten intensiviert: Belegschaften wehren sich gegen Personalabbau und Outsourcing, hunderttausende Studierende und Schüler demonstrierten gegen die Krise im Bildungsbereich, Zehntausende gegen Überwachungswahn und die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Jetzt haben wir eine neue Regierung und die Protestbewegung muss darüber beraten, wie es weiter geht. Gemeinsam wollen wir den schwarz-gelben Koalitionsvertrag diskutieren, bewerten und entscheiden, an welchen Punkten wir den Widerstand organisieren können.
Was schlägst du vor?
Die schwarz-gelbe Regierung startet zwei Großangriffe. Auf die sozialen Sicherungssysteme und in der Steuerpolitik. Hier müssen wir handeln, Gegenforderungen diskutieren und den Protest bündeln. Ich halte es für völlig falsch, abzuwarten. Gerade die Gewerkschaften wären schlecht beraten, jetzt nicht alles dafür zu tun, den Widerstand aufzubauen. Ich werde dafür argumentieren, dass es im März einen ersten Aktionstag gibt. Beispielsweise mit landesweiten Demonstrationen und Kundgebungen. Wir brauchen einen aufsteigenden Aktionsplan. In zahlreichen Städten haben sich schon lokale Bündnisse unter dem Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise« gebildet. Solche Strukturen brauchen wir überall.
Was ist auf der Konferenz genau geplant?
Es wird Workshops zu verschiedenen Themenbereichen geben. Beispielsweise über die »Auswirkungen der Krise in den Betrieben – Kampf um Arbeitsplätze, Lohn und Arbeitsbedingungen« oder der Workshop »Auswirkungen der Krise auf die öffentlichen Haushalte – Gegenwehr der Beschäftigten und Bürger/innen für eine soziale Infrastruktur«. Dabei geht es uns darum, Perspektiven gegen die unsoziale Sparpolitik und für die Verbesserung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu entwickeln. Uns interessiert natürlich auch die globale Dimension der Krise. Deswegen wird es den Workshop »Internationale Antworten und Perspektiven« geben.
Natürlich warten viele Menschen noch ab, wie sich die Regierung positionieren wird. Aber die Proteste müssen vorbereitet werden. Die Konferenz lädt alle Interessierten ein, gemeinsam die gegenwärtige Situation einzuschätzen, bisherige Aktivitäten zu reflektieren und über die nächsten Schritte, Strategien und Perspektiven zu beraten.
Was können Gewerkschafter tun, um die Protestbewegung aufzubauen? Und was können Studierende und Schüler machen?
Ende November werden Studierende und Schüler eine Neuauflage des Bildungsstreiks organisieren. Hier kann jeder und jede aktiv werden. Für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ist es wichtig, das sie diese Proteste unterstützen. Ich halte es für wichtig, dass klar wird: Die Bildungsstreiks sind Teil der Krisenproteste. So sehen es auch viele der Bildungstreik-Aktiven. Für mich wäre ein erfolgreicher Bildungsstreik ein gelungener Auftakt für die kommenden »Krisenproteste«.
In den Betrieben, im öffentlichen Dienst und auf lokaler Ebene muss die Gegenwehr aufgebaut werden. Das ist die Hauptaufgabe der Gewerkschaften. Wichtig wäre, die Aktionen inhaltlich zu begleiten. Das heißt auch, auf betrieblicher Ebene Aufklärung zu betreiben und Diskussionsangebote zu schaffen. Wir müssen uns schließlich auch argumentativ gegen Schwarz-Gelb in Stellung bringen. Wir brauchen eine Aktivierung der Gewerkschaftsmitglieder. Jeder kann sich einbringen.
Du bist auch Mitglied der LINKEN und ihres Landesvorstandes Baden-Württemberg. Warum soll eine linke Partei soziale Bewegungen mit aufbauen? Reicht es nicht aus, in den Parlamenten aktiv zu sein?
Für mich muss eine linke Partei den politischen Anspruch haben, die gesamte Gesellschaft grundlegend zu verändern. Die Gesellschaft ist aber mehr als das Parlament. Die Gesellschaft verändern wir nicht nur im Überbau. Wenn wir eine andere Welt wollen, müssen wir die Ökonomie und das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit verändern. Das findet in der außerparlamentarischen Auseinandersetzung statt. Wenn die Partei einen Beitrag leisten will, dass die Gesellschaft verändert wird, dann muss sie dort tätig sein. Sie kann nicht so tun, als wenn das alleine übers Parlament passiert. Zum anderen finden außerhalb des Parlaments reale Auseinandersetzungen statt. Das muss DIE LINKE im Fokus haben. Menschen passen sich an, oder sie wehren sich. Nach meinen Verständnis muss die Partei das »sich wehren« unterstützen, stärken und dem eine Sprache geben. Das heißt auch, Forderungen und Alternativen gemeinsam zu entwickeln und vorzustellen. So können wir einen Beitrag zu den gesellschaftlichen Debatten leisten. Auch für die Partei selber ist das wichtig. Die Partei muss den Anspruch haben, in den gesellschaftlichen Raum hineinzuwirken. Nicht nur über die Parlamente und die Medien, sondern vor allem durch die Verankerung in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen – den kleinen und den großen Kämpfen vor Ort, in den Betrieben, Universitäten, Schulen und Stadtteilen. Die Arbeit an der Basis ist zentral. Hier kann DIE LINKE auf die Gewerkschaften zugehen, Bündnisarbeit machen und dort sein, wo sich vor Ort etwas bewegt. Die Partei soll Menschen zusammenbringen und im Kampf praktisch unterstützen. Die Menschen müssen erfahren, dass DIE LINKE auf ihrer Seite steht.
Was macht DIE LINKE in Baden-Württemberg, um die Protestbewegung zu unterstützen?
DIE LINKE ist anerkannter Teil des Protestbündnisses »Wir zahlen nicht für eure Krise«. Wir haben die Kreisverbände dazu aufgerufen, lokal in den Bündnissen mitzuarbeiten oder Bündnisse dort zu gründen, wo es keine gibt. Die Krise trifft Baden-Württemberg hart. Es droht die Vernichtung von bis zu 30 Prozent der industriellen Arbeitsplätze. Besonders betroffen sind dabei die Automobilindustrie, Automobilzulieferer, der Maschinenbau und der Werkzeugmaschinenbau. Deswegen schlagen wir Alarm. DIE LINKE in Baden-Württemberg hat jetzt ein Sofortprogramm verabschiedet. Darin fordern wir einen Finanzschutzschirm in Höhe von fünf Milliarden Euro für Bürgschaften und Kredite. Uns geht es darum, die industriellen Kerne zu retten und damit viele Arbeitsplätze. Vor allem geht es auch um den Erhalt und Ausbau der Ausbildungsplätze junger Menschen und die Übernahme der Auszubildenden. Zum anderen fordert DIE LINKE ein Zukunftsprogramm in Höhe von fünf Milliarden Euro. In vielen Schulen und Turnhallen rieselt der Putz von Wänden und Decken, marode Sporthallen müssen geschlossen werden, Toiletten sind kaum noch begehbar und beim Personal fehlt es hinten und vorne. Wir wollen endlich einen Schutzschirm für die Menschen.
Mit dem Sofortprogramm haben wir einiges Aufsehen erregt. Die SPD und die IG Metall haben eigene Forderungen aufgestellt, die in eine ähnliche Richtung gehen. Wir haben eine Debatte angestoßen und viele Menschen stimmen uns zu. Wir planen Diskussionsveranstaltungen und Seminare, um uns inhaltlich auf die kommenden Auseinandersetzungen vorzubereiten. Wir haben Flugblätter gemacht und gehen damit vor die Betriebe. Wir wollen dort sein, wo sich Protest regt.
(Das Gespräch führte Yaak Pabst)
Zur Person:
Bernd Riexinger ist ver.di-Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der LINKEN in Baden-Württemberg.
Mehr im Internet:
- 13.-15.11: Bundesweite Aktionskonferenz des Bündnisses »Wir zahlen nicht für eure Krise«, Stuttgart, Gewerkschaftshaus, Willi-Bleicher-Straße 20
Mehr auf marx21.de:
- Nur kämpfen hilft: Theodor Bergmann und Bernd Riexinger vergleichen die gegenwärtigen Ereignisse mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und diskutieren Gewerkschaftsstrategien von damals und heute (erschienen in: marx21, Heft 9, Februar 2009)