Sybille Stamm im marx21-Interview über die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und die Rolle der LINKEN in den anstehenden Arbeitskämpfen
marx21: Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst haben begonnen. Wie ist die Stimmung an der Basis? Was erwarten die Kolleginnen und Kollegen von den Verhandlungen?
Sybille Stamm: In Baden-Württemberg ist die Stimmung super. Am 3. und 4. Februar haben über 10.000 Kolleginnen und Kollegen gestreikt, deutlich mehr als erwartet. In erster Linie geht es um mehr Geld. Aber auch die Verlängerung der Altersteilzeit und die Übernahme der Azubis spielen eine wichtige Rolle. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Die Alten sollen früher in Ruhestand gehen dürfen und damit können Jüngere an ihre Stelle treten. Das begreifen die Azubis und sind aktiv in der Tarifrunde dabei.
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Die öffentlichen Kassen sind leer, Länder und Kommunen hoch verschuldet. Seit Langem klagen sie schon über chronische Unterfinanzierung. Finanzminister Schäuble sagt, es sei kein finanzieller Spielraum für Lohnerhöhungen vorhanden…
Für den öffentlichen Dienst ist nie genug Geld da. Seit Jahren werden die Städte und Gemeinden finanziell ausgeblutet. Für immer mehr Aufgaben und Ausgaben, insbesondere im sozialen Bereich, bekommen sie immer weniger Geld. Aktuell werden die Lasten der Wirtschaftskrise auf die Kommunen abgewälzt. Die Einbrüche bei der Gewerbesteuer sind verheerend, zumal, wenn sie wegen der Krise in der Realwirtschaft zurückgezahlt werden müssen. Mit dem so genannten »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« werden die öffentlichen Haushalte zusätzlich belastet. Das ist ein Gesetz, das zwar den Reichtum Weniger, aber mit Sicherheit nicht das Wirtschaftswachstum erhöhen wird.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, wenn Regierung, kommunale Arbeitgeber und die Medien versuchen, unsere Forderung als maßlos überzogen darzustellen und kaputt zu reden. Sonntag aktuell, eine südwestdeutsche Zeitung mit einer Auflage von einer Million, bezeichnete jüngst die Metaller als die Guten, weil sie angeblich nichts fordern, und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit ihrer 5-Prozent- Volumensforderung als die Bösen. Aber gerade, weil alle Lasten der Jahrhundertkrise aus Steuermitteln finanziert werden sollen, kommt der Tarifrunde im öffentlichen Dienst eine zentrale politisch-strategische Bedeutung zu. Es geht um widerständiges Handeln gegen das Abwälzen der Krisenlasten auf die »kleinen Leute«.
4 Milliarden Euro für reiche Erben und Hotelbesitzer und kein Geld für die Beschäftigten – das geht einfach nicht. Reiche besteuern, Bankensteuer einführen, die Gewerbesteuer konjunkturfest machen – das wäre gesetzlich möglich und machbar, um die Länder und Kommunen zu unterstützen und die öffentliche Daseinsvorsorge zu sichern. Ich bin sicher, dass die Beschäftigten das wissen. »Wir zahlen nicht für eure Krise« – diese Losung war deshalb der heimliche Generalbass der Streiks in den vergangenen Tagen.
Natürlich geht es auch um die konjunkturpolitische Wirkung im Tarifkampf im öffentlichen Dienst. Vom Export ist nichts zu erwarten, das wissen alle. Woher soll also Wachstum kommen, wenn die Menschen immer weniger Geld haben? Eine ordentliche Tariferhöhung für zwei Millionen Beschäftigte würde die Binnennachfrage ankurbeln und – wie nennt es Frau Merkel doch so schön – das »Wachstum beschleunigen «. Wer wenigen reichen Erben mehr zuschanzt, sorgt nur für noch mehr Spekulation auf den Finanzmärkten. Insofern sind Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie auch gesamtwirtschaftlich ein Gebot der Stunde.
Was bedeutet die verschärfte Haushaltslage für die Kampfstrategie bei den Tarifverhandlungen? Was kann ver.di deiner Meinung nach aus vergangenen Auseinandersetzungen lernen?
Wir müssen schnell mobilisieren und Druck erzeugen. »Den großen Streik vermeidet womöglich, wer ihn glaubwürdig androhen kann« – eine alte Arbeitskampferfahrung. Deshalb entscheidet sich die Frage, ob es zum großen Streik kommt, daran, wie viel Druck verhandlungsbegleitend aufgebaut werden kann. Das läuft derzeit in fast allen Landesbezirken sehr gut: In Niedersachsen haben beispielsweise dieser Tage 15.000 gestreikt. Falls es in der dritten Verhandlungsrunde zu keiner Einigung kommt, wird es mit großer Sicherheit zu einer Schlichtung kommen mit einem Einigungsvorschlag, über dessen Annahme die Mitglieder entscheiden. Wenn es nicht reicht, kommt es zum Streik.
Die Beschäftigten haben ein feines Gespür für Ungerechtigkeit. Ob im Einzelhandel, in der Metallindustrie oder im öffentlichen Dienst – sie ahnen, dass sie zahlen sollen, während die Deutsche Bank wieder Milliardengewinne macht. Auch hiergegen geht es auch in dieser Tarifrunde. Und dass viel geht, haben die Warnstreiks der vergangenen Tage gezeigt.
Du bist im Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in Baden-Württemberg. Wie bereitet ihr euch auf die Tarifverhandlungen vor?
Wir haben mehrfach im Landesvorstand über die anstehenden Tarifrunden und über die notwendige Unterstützung beraten. Es gab an vielen Orten im Land Veranstaltungen zur aktuellen ökonomischen Lage in Baden-Württemberg. Die Kriseneinschätzung und die Frage der Unterstützung der kämpfenden Belegschaften war ein zentraler Gegenstand unseres Landesparteitages Ende Januar. Es gab und gibt Gespräche mit den Gewerkschaftsgliederungen auf Landesebene und regional. Eine wichtige Rolle bei den Vorbereitungen spielt die »AG Betrieb und Gewerkschaft« in der LINKEN. Dort sind viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter organisiert. Notwendig ist natürlich auch, selbst, wenn man nicht unmittelbar betroffen ist, im eigenen Umkreis die Streiks argumentativ zu unterstützen und meinungsbildend zu wirken. Dafür müssen die Parteimitglieder inhaltlich geschult und argumentativ gut drauf sein.
Reicht es nicht, wenn die Parteiführung eine Solidaritätserklärung abgibt?
Natürlich nicht. DIE LINKE in Baden-Württemberg hat eine gute Basis in den Betrieben. Sie steht also nicht außerhalb der betrieblichen- und Tarifkämpfe, sondern agiert mittendrin. Sie ist Teil des handelnden Subjekts. Wir erfahren überwiegend große Zustimmung, zum Beispiel beim Verteilen von Flugblättern bei Kundgebungen. Es gibt derzeit ja nicht viele Parteien, auf die sich die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verlassen können. Aber auch wir müssen und können noch viel besser werden. Was vielleicht am wichtigsten ist: Wir sind überall vor Ort mit dabei – bei Daimler in Sindelfingen auf der großen Streikkundgebung mit 20.000 Beschäftigten im Kampf um den Erhalt der C-Klasse-Produktion, beim Streik der Beschäftigten der alteingesessenen Kühlerfabrik Behr in Stuttgart-Feuerbach Anfang Februar und natürlich bei den Streiks im Öffentlichen Dienst.
(Die Fragen stellte Yaak Pabst)
Zur Person:
Sybille Stamm war Landesbezirksleiterin von ver.di in Baden-Württemberg. Jetzt ist sie Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der LINKEN.
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