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Ist die Krise bald vorbei? Wie reagieren Politik und Wirtschaft? Welche Wirkung haben Konjunkturprogramme? Was bedeutet das alles für die Masse der Bevölkerung? Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Walter zeichnet die Entwicklung der Krise nach und gibt einen Ausblick.
Die letzte große Krise war die Krise der »New Economy« im Jahr 2000, auch Dotcom-Krise genannt. Der folgende Aufschwung beruhte auf einem Boom in der Bauwirtschaft, der durch Hypothekenkredite finanziert war. Ein Finanzexperte der FAZ meint, dass durch diesen Bauboom in den USA ungefähr so viele Arbeitsplätze entstanden, wie durch die Globalisierung gleichzeitig in die dritte Welt ausgelagert worden sind. Dies wäre der Bush-Regierung, die wegen des Irakkrieges innenpolitisch unter Druck stand, gerade recht gekommen.1
Wie kam es zur jetzigen Krise?
Dabei reizten die Banken sämtliche Möglichkeiten aus, um das Kreditvolumen an die US-Häuslebauer auszuweiten. Indem die Hypothekenkredite an andere Banken weltweit weiterverkauft wurden, konnten die Eigenkapitalreserven der Banken der Welt voll für die Kreditvergabe genutzt werden. Als das an Grenzen stieß, wurden die Hypotheken an Nicht-Banken verkauft, die sich das Geld dafür liehen. So wurde die Bankenregulierung, welche Eigenkapitalreserven vorschreibt, umgangen. Der Einfachheit halber gründeten die Banken einfach selbst diese Nicht-Banken.
Außerdem wurden schließlich nichtkreditwürdigen Kunden »Subprime«-Hypotheken aufgeschwatzt. Als es dann zu ersten Zahlungsausfällen kam, wurden die Hypotheken plötzlich wertlos. Dies kam überraschend. Die Bankexperten hatten erwartet, dass diese Wertverluste gemäß den Ausfallraten der Hypothekenschuldner sich in Grenzen halten würden. Doch die Hypotheken waren nicht einfach weiterverkauft, sondern »zur Risikostreuung« zusammen mit anderen Krediten zu neuen Wertpapieren verpackt und »tranchiert« worden. Diese neuen »besicherten Wertpapiere« waren so undurchsichtig, dass keiner mehr ihre Risiken durchschaute. Niemand wollte mehr diese Papiere halten, als es bei Hypotheken zu ersten Zahlungsausfällen kam. Die Banken saßen auf riesigen Wertverlusten, deren letztendlicher Umfang immer noch nicht bekannt ist.
Die Verluste drohten sich noch wegen des »Leverageeffektes« (Hebeleffekt) zu vervielfachen. Der Ankauf der Hypotheken war mit wenig Eigenkapital und mit viel geliehenem Fremdkapital finanziert worden. Wertverluste bei den Hypotheken schlagen unmittelbar auf das Eigenkapital durch.
Ironischerweise kommt dies von neuen internationalen Bilanzierungsregeln. Hier hatte sich eine Kapitalfraktion gegen eine andere durchgesetzt. Früher konnten Banken recht großzügig selbst entscheiden, wie sie ihre Kapitalanlagen zu bewerten gedachten. Die internationalen Investoren wollten aber genau wissen, wie sicher ihre Geldanlagen bei den Banken waren. Sie setzten die Bilanzierungsregel »mark to market« durch. Die Banken müssen Wertverluste sofort in ihrer Bilanz ausweisen. So werden die Gelbgeber früh gewarnt und können notfalls ihr Geld abziehen. Das hatte jetzt unerwartete Folgen.
Aufgrund des Drucks derjenigen, die das Fremdkapital beisteuerten, müssen die Banken einen bestimmten Leverage halten, das heißt das Fremdkapital darf ein Verhältnis zum Eigenkapital nicht überschreiten. Dies ist so in internationalen Abkommen geregelt. Wenn nun das Eigenkapital aufgrund von Verlusten (»Abschreibungen«) zurückgeht, müssen die Banken das sofort ausweisen. Nun beträgt aber in der Regel das Fremdkapital ein Vielfaches des Eigenkapitals. So können die Banken ihre Rendite auf Eigenkapital gewaltig steigern, solange für das Fremdkapital weniger Zinsen gezahlt werden müssen, als die insgesamt mit dem Eigen- und Fremdkapital finanzierten Investitionen an Rendite abwerfen. So entstand auch die inzwischen berühmte Eigenkapitalrendite von 25 Prozent der Deutschen Bank.
Soll aber bei einem Verlust an Eigenkapital das alte Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital (Leverage, auch Verschuldungsgrad) beibehalten werden, muss ein Vielfaches des Eigenkapitalrückgangs an Fremdkapital abgebaut, also zurückgezahlt werden. Das Geld dafür müssen die Banken sich beschaffen, indem sie Hypotheken und andere Wertpapiere verkaufen. Dieser Verkaufsdruck entwertete die Wertpapiere, welche die Banken hielten, noch mehr. Das Eigenkapital schmolz noch mehr ab. Wegen dieser Vervielfachung drohte eine »Implosion des Finanzsystems«.2 Dazu kommt auch, dass die Banken, um den Leverage zu halten, keine neuen Kredite mehr vergaben. Von Kunden zurückgezahlte Kredite wurden einbehalten, um die Eigenkapitalreserven zu schonen. Es drohte somit eine Kreditklemme für die reale Wirtschaft.
Wie die staatliche Politik reagiert
Inzwischen haben die Staaten, also Zentralbanken und Regierungen, zum großen Teil die Aufgaben des privaten Bankensystems übernommen. Regierungen übernahmen Garantien für die Banken. Sie glichen Verluste der Banken durch staatliche Gelder aus, was auch als »Sozialisierung« der Verluste bezeichnet wird. Die Politiker rechtfertigen dies damit, dass, wenn wichtige Banken zusammenbrechen, die restliche Wirtschaft ebenfalls mit in den Abgrund gezogen wird. Wir alle seien dann die Leidtragenden. Ganz falsch ist das nicht. Es stellt sich aber die Frage, in was für einem System wir leben, in dem private Interessen die ganze Gesellschaft in Geiselhaft nehmen können.
Ähnliche Argumente werden übrigens herangezogen, wenn die staatlichen Hilfen mit an sich selbstverständlichen Auflagen verknüpft werden. Verlange der Staat, heißt es, für seine Hilfen Mitsprache oder eine spätere Rückzahlung, dann hielten die Kapitalisten ihr Geld zurück. Da dies die Wirtschaft gefährde, müsste der Staat ohne Wenn und Aber den Banken helfen. Die Wirtschaftskrise fordert also nicht nur die marktwirtschaftliche Ideologie heraus, sondern auch alle jene, die glauben, innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung könne in größerem Umfang reguliert und staatlich gestaltet werden.
Zentralbanken stellen den Banken Kredite zu sehr niedrigen Zinssätzen zur Verfügung. Die Banken verleihen dieses Geld dann zu gar nicht niedrigen Zinssätzen an Private weiter. So verdienen die Banken Geld und können nach und nach ihre Verluste zu Lasten anderer abbauen. Der Börsenmakler »Mister Dax« ist empört: »Die Bürger und Unternehmen zahlen für Darlehen [der Banken] heute höhere Zinsen als vor den Zinssenkungen [der Zentralbanken]. Diese hatten also nur einen einzigen Zweck: den Banken ungeheure Gewinne zuzuschanzen, damit sie auf diese Weise ihre Verluste im Immobilienbereich gegenrechnen können. Es ging nur darum, die Banken zu retten. Die Bürger und die Wirtschaft im Allgemeinen spielten bei den Zinssenkungen überhaupt keine Rolle.«3
Gibt es »Frühlingstriebe«, die ein Ende der Krise ankündigen?
Die Regierungen hoffen, dass ein Teil der Wertverluste bei den von den Banken gehaltenen Hypotheken sich bald als übertrieben erweist.4 Manche sehen schon erste »Frühlingstriebe«, die ein Ende des Krisenwinters ankündigen.
Die Berichterstattung in den Medien ist zwiespältig. Auf der einen Seite werden immer neue Hiobsbotschaften verbreitet, zur Zeit hauptsächlich aus dem Realbereich der Wirtschaft. Andererseits wird von so genannten »green shoots«, also von ersten Frühjahrstrieben, begeistert berichtet, was dann auch Politiker in ihren Sonntagsreden aufgreifen.
So bunkern in Deutschland die Banken derzeit 50 Mrd. Euro bei der Zentralbank, statt dieses Geld weiter zu verleihen.5 In früheren Krisen waren es höchstens 10 Mrd. Euro gewesen. Noch zu Jahresbeginn hatten die Banken allerdings über 300 Mrd. Euro bei der Zentralbank gehortet, so dass manche eine Verbesserung behaupten.
Während früher die sogenannten Risikoprämien für Kredite zwischen Banken bei null lagen, weil die Banken sich vertrauten, stiegen sie in der Krise bis auf fast 200 Basispunkte an (2 Prozent-Punkte). Mittlerweile sind sie wieder auf etwa 50 abgesunken (0,5 Prozent-Punkte). Das ist weit über dem Normalmaß vor der Krise, aber eben auch deutlich niedriger als noch Ende 2008.
Der Dax, der Aktienkurs der dreißig größten Aktienunternehmen in Deutschland, hält sich vergleichsweise robust. Seit Jahresbeginn hat er inzwischen sogar zugelegt. Außerdem ist er bislang nach dieser Krise nicht so stark abgestürzt. Beim Zusammenbruch der »New Economy« fiel er von 8070 auf 2600 Zähler, jetzt von 8080 (fast derselbe Höchstwert) auf »nur« 3670. Das Handelsblatt jubelte schon am 7. Mai: »Dax nimmt Kurs auf 5000 Punkte«. Am 20. Mai nahm der DAX die 5000er Marke, zumindest vorübergehend.
Schließlich haben sich zuletzt einige Konjunkturindikatoren, wie der ifo-Index (der die Erwartungen von Unternehmen über die Entwicklung der Geschäftslage misst), der Index der DZ-Bank oder der ZEW-Index, gebessert. Die Auftragseingänge in der Industrie sind zuletzt nicht weiter abgestürzt, haben sich vielleicht sogar etwas erholt.
Ansonsten gibt es aber von der Realwirtschaft weniger gute Nachrichten. Die Institute der Gemeinschaftsdiagnose sagen voraus, dass es noch 2013 1,4 Mio. Arbeitsplätze weniger geben wird als 2008. Die Zahl der Arbeitslosen wird 4,2 Mio. betragen. Das sind eine Million mehr als noch 2008. Bei dieser Prognose unterstellen die Institute, dass es ab 2011 schon wieder »normal« aufwärts geht. Für viele Kommentatoren scheint aber der »Arbeitsmarkt« gar nicht so wichtig zu sein. Hauptsache, es geht an den Börsen wieder aufwärts.
Was für eine lange Krise spricht
1) Die Krisenserie: Diese Krise kam nicht überraschend. Sie bildet vielmehr einen neuen Tiefpunkt einer ganzen Reihe von Krisen: die Ölkrisen 1973 und 1980, US-Sparkassenkrise in den 80er Jahren, Japankrise seit 1991, Tequila-Krise Mexikos 1994/1995, Asienkrise 1997/1998, Krise der »New Economy« 2000. Dazu kommen Beinahekrisen wie der weltweite Börsenkrach 1987 oder die von der US-Zentralbank organisierte Rettung des Hedgefonds LTCM 1998. Manchmal schien es, als ob die US-Zentralbank in Zusammenarbeit mit anderen Banken das Schlimmste durch starke Markteingriffe abwenden könnte. Doch wurde mit der einen Rettungsaktion schon der Keim für die nächste Krise gelegt. So ist die Erholung aus der Krise der New Economy das Ergebnis weiter steigender Verschuldung in den USA. Genau diese Verschuldung führte in die jetzige Krise. Viele Ökonomen befürchten auch eine »moralische Gefährdung«, einen »Moral Hazard«. Wenn der Staat, Regierung oder Zentralbank, immer häufiger einzelnen Unternehmen hilft und deren Verluste sozialisiert, um die Gesamtwirtschaft zu retten, werden die Unternehmen immer übermütiger. Verluste trägt ja die Allgemeinheit. Greift so etwas um sich, wird das kapitalistische System noch stärker gefährdet.
Insgesamt hat sich im Zuge dieser Krisenserie die Lage für die Menschen immer mehr verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Beschäftigung wurde unsicherer, die Löhne stiegen langsamer oder wurden gesenkt, die Kaufkraft schrumpfte. Der Sozialstaat wurde immer weiter abgebaut. Eine nachhaltige Krisenüberwindung hat es nicht gegeben.
Krisen sind nicht mehr auf Länder der dritten Welt beschränkt. Diesmal ist die größte und mächtigste Volkswirtschaft der Welt, die USA, das Epizentrum der Krise. Japan, die zweitgrößte Volkswirtschaft, hat seine Krise seit 1990 bis heute nicht überwunden und die BRD, die drittgrößte Volkswirtschaft, sitzt als einer der Hauptkreditgeber der Welt auf einem Haufen fauler Kredite.
2) Realwirtschaft schwächelt: Der Internationale Währungsfonds (IWF) beklagt, dass die Profite weder den Investitionen, noch dem Wirtschaftswachstum zugute gekommen seien.6 1960 lag die Investitionsquote der Welt, also der Anteil der Investitionen am Welt-Bruttoinlandsprodukt, laut IWF bei 23 Prozent, erreichte 1974 26 Prozent und ist bis 2005 auf 22 Prozent abgesunken. Dies geschah, obwohl etwa seit Anfang der 80er Jahre die Gewinne einen immer größeren Anteil am Weltprodukt ausmachen, weil weltweit von unten nach oben umverteilt worden war.7
Auch das weltwirtschaftliche Wachstum hat sich seit den 80er Jahren bestenfalls stabilisiert. Es konnte nicht mehr auf die früheren Raten angehoben werden. In den 60er Jahren wuchs das Weltprodukt laut IWF noch mit einer Rate von jährlich 5 Prozent, in den 70er Jahren von 4 Prozent und seit den 80er Jahren mit rund 3 Prozent. 2009 wird das Bruttoprodukt der Welt erstmals seit dem zweiten Weltkrieg schrumpfen, laut einer Studie von Deutsche Bank Research um 3 Prozent.8 Normalerweise spricht man für einzelne Länder von Rezession, wenn das Bruttoinlandsprodukt schrumpft. Ein solches Ereignis wurde bisher für die Welt als Ganzes für so unwahrscheinlich gehalten, dass der IWF immer dann schon von einer Weltrezession gesprochen hat, wenn das Wirtschaftswachstum unter 2 Prozent lag.9
3) Tendenziellen Fall der Profitrate als tieferliegende Ursache: Interessant ist, dass Ben Bernanke, der Chef der US-Zentralbank, eine Argumentation über die Ursachen der Krisentendenz vorbringt, die sozusagen anschlussfähig an die Theorie von Marx ist. Bernanke spricht von einer »Ersparnisschwemme« (»saving glut«).10 Es gäbe mehr Ersparnis als Investitionsmöglichkeiten. Es werden also Gewinne gemacht, die aber nicht rentabel angelegt werden können. Als Ursache für dieses »Überangebot an Ersparnis«, auch »Anlagenotstand« genannt,11 sieht Bernanke, dass in den entwickelten Volkswirtschaften inzwischen das Verhältnis von Kapital zu Arbeit sehr hoch sei. Dies ist nichts anderes als eine hohe »organische Zusammensetzung des Kapitals«, die bei Marx dem von ihm untersuchten und behaupteten »tendenziellen Fall der Profitrate« zugrunde liegt.
Wird mehr Kapital je Arbeiter akkumuliert, wird dadurch die Arbeitsproduktivität gesteigert. Der Mehrwert richtet sich aber nicht nach der Menge der produzierten Gebrauchswerte, sondern nach der zu deren Produktion notwendigen Arbeitszeit, und die steigt eben nicht, wenn mehr je Arbeitsplatz investiert wird statt in mehr Arbeitsplätze. Eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität bringt zwar dem einen Kapitalisten einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz; gleichzeitig werden aber auch bestehende Kapitalwerte entwertet, weil diese jetzt kostengünstiger produziert werden können. Dazu kommt, dass mit der höheren Arbeitsproduktivität für die konkurrierenden Kapitalisten die Latte höher gelegt wird. Um sich in der Konkurrenz zu behaupten, müssen auch sie mehr je Arbeitsplatz investieren. Das erhöht die Kosten. Rechnet man alle diese Wirkungen zusammen, dann ergibt sich, dass nur die Ausweitung der Beschäftigung tatsächlich Mehrwert für die Kapitalisten schafft, während reine Steigerungen der Arbeitsproduktivität für die Kapitalisten in ihrer Gesamtheit keine nachhaltigen Verbesserungen bringen.12
Im Ergebnis führt dieser »tendenzielle Fall der Profitrate« zu einem Konzentrationsprozess des Kapitals (und umgekehrt). Die Großen fressen die Kleinen. Die letzten Jahrzehnte waren nicht nur durch Krisen, sondern auch durch Fusionen und Unternehmensübernahmen geprägt. Die jetzige Krise hat schon einige große Banken verschwinden lassen. In der Realwirtschaft, z.B. Autoindustrie oder bei Kaufhäusern, fängt der Konzentrationsprozess dieser Krise gerade erst an.
Die Konzerne sperren sich oft gegen technischen Fortschritt. Sie halten sich mit neuen Investitionen zurück, weil das ihre früheren Investitionen entwerten würde. Sie können mehr produzieren, aber nicht mehr profitabel absetzen. Es wird auf Halde produziert. Es entstehen Überkapazitäten, was die Investitionsneigung dämpft. Diese Investitionszurückhaltung, so kann man Bernanke verstehen, ist für die Ersparnisschwemme verantwortlich.
Was tat die Wirtschaftspolitik? – Die Verschuldung steigt
Aus Sicht der Wirtschaftspolitiker ist diese Ersparnisschwemme nicht nur langfristig, sondern schon kurzfristig gefährlich. Horten die Kapitalisten ihre Profite, statt sie auszugeben, droht sofort ein Zusammenbruch der Wirtschaft. Dies wird unter dem Stichwort »Deflation« diskutiert. Ben Bernanke, der Chef der US-Zentralbank, gilt als Experte in Sachen Deflationsbekämpfung. Die wirtschaftspolitische Herausforderung besteht darin, diese »Überersparnis« dem Wirtschaftskreislauf wieder zuzuführen, zu recyclen. Wenn es nicht genügend profitable Geldanlagemöglichkeiten gibt, dann muss die Überersparnis eben in weniger profitable Geldanlagen überführt werden. Mit weniger rentablen Geldanlagen kann aber nicht ausreichend wirtschaftliches Wachstum finanziert werden. Im Ergebnis wachsen auf der einen Seite die Ersparnisse, auf der anderen Seite die Schulden stärker als die Wirtschaft. Es kommt zu einer Überschuldung der Wirtschaft, die zu einer immer größeren Last wird.
Innerhalb des Wirtschaftskreislaufes gibt es vier Profitquellen. Als Profite erweisen sich in diesem Kreislaufzusammenhang (1) die Investitionen der Unternehmen und der Konsum der Kapitalisten, (2) die Ausgaben des Staates, soweit sie über Kredite finanziert sind, und (3) die Konsumausgaben der Arbeiter, ebenfalls soweit sie über Kredite finanziert sind, und (4) schließlich der Exportüberschuss, der ebenfalls über Kredite finanziert wird, da den überschüssigen Exporten ja keine Gegenleistungen in Form von Importen gegenüberstehen.13 Man kann sich das vielleicht so klar machen, dass alle diese Ausgaben aus Profiten finanziert werden, folglich auch so groß wie die Profite sein müssen.
Vier Kanäle des Recycling der Überersparnis
Gemäß diesem Schema haben sich vier Kanäle des Recycling von Überersparnissen herausgebildet.
Erstens investieren die Konzerne weiterhin, aber weniger rentabel. Sie bauen Überkapazitäten auf. Dies kann eine einzelwirtschaftlich sinnvolle Strategie der Konzerne in ihrem Konkurrenzkampf gegeneinander sein.
Zweitens übernimmt der Staat die Überersparnis, indem er sich bei den Kapitalisten verschuldet. Dies ist Bestandteil des klassischen Keynesianismus. Der Staat gibt das Geld dann aus für Staatskonsum, klassisch für Rüstung.
Drittens wird die Verschuldung privater Haushalte gefördert und damit deren Konsum, zuerst der reichen Haushalte, später auch der ärmeren. Dies war in den letzten Jahren zu beobachten. Diese Politik gipfelte zuletzt in der »Subprime«-Krise. Dies wird auch als »Finanzkeynesianismus« bezeichnet, weil die private Verschuldung für Konsum über die Finanzmärkte finanziert wird.
Schließlich viertens kann die Überersparnis auch im Ausland angelegt werden. Mit diesem Geld kann dann das Ausland importieren. Der eigene Staat wird zum Exporteur von Waren und Dienstleistungen. Das können allerdings nicht alle Staaten gleichzeitig machen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die USA als »Schuldner der letzten Instanz« »geopfert«. Dies ist eine ganz merkwürdige Konstruktion, die auch als Bretton Woods II oder als Chimerica bezeichnet wird.
Sie wird als Bretton Woods II bezeichnet, weil die Übertragung der Ersparnisse beispielsweise aus China in die USA dadurch stattfindet, dass die chinesische Währung wie damals im Bretton-Woods-System fester Wechselkurse von den chinesischen Währungsbehörden fest an den Dollar gekoppelt wird. Dadurch bleiben chinesische Exporte billig. Sie können sich nicht durch eine Aufwertung der chinesischen Währung verteuern. China erzielt einen Exportüberschuss gegen die USA und finanziert diese Exporte über seine eigenen »Ersparnisse« (Profite), die in den USA angelegt werden.
Diese Konstruktion heißt auch Chimerica, weil China und USA die zwei typischen Partner für diese merkwürdige Symbiose sind zwischen einem Staat, der seine Ersparnisse und seine Exporte abgibt, und einem anderen, der dies empfängt. Der Vorteil für China und ähnliche Länder besteht darin, dass sie so Dollar ansparen. Sie hoffen dadurch krisenfest zu werden. Sollten ihnen nämlich die Dollar ausgehen, werden sie zahlungsunfähig. Dann »hilft« ihnen der Internationale Währungsfonds unter drakonischen Auflagen. Grund genug für diese Länder alles zu tun, um solche »Hilfen« in einer Krise zu vermeiden. Der Vorteil für die USA sind die billigen Importe. Deutschland und Japan sind als Exporteure ebenfalls Teil dieser Konstruktion.
Alle vier Kanäle des Recycling der Überersparnis führen langfristig zu Schwierigkeiten.
Kanal 1: Überersparnisse finanzieren den Aufbau von Überkapazitäten
Dennis Meadows, 1972 der Verfasser des Berichtes »Die Grenzen des Wachstums«, meinte unlängst zur Autoindustrie: »Wir können 16 oder 17 Millionen Fahrzeuge herstellen, doch wir brauchen nur 6 Millionen im Jahr.« Überkapazitäten können nicht beliebig aufgebaut werden. »Wir müssen daher das Produktivkapital auf irgendeine Art und Weise abarbeiten. Das letzte Mal, nach der Großen Depression, haben wir es durch den zweiten Weltkrieg gemacht. Das war ein enorm effizienter Weg, jede Menge Produktivkapital loszuwerden. Ich bin jetzt vielleicht ein wenig sarkastisch, aber in der Sache genau. Wir hoffen, dass wir diesmal einen friedlicheren und schnelleren Weg finden werden.«14 Wir können uns dieser Hoffnung anschließen.
In diesem Sinne kann auch der Kommentar der Wirtschaftsjournalistin Karen Horn gesehen werden, die am 3. Februar 2003 in der FAZ über einen Sammelband internationaler Ökonomen zur Weltwirtschaftskrise 1929 schrieb: »Geradezu beklemmend vor dem aktuellen Hintergrund des drohenden Irak-Kriegs ist dabei der völlige Konsens der Ökonomen, nach dem letztlich ein einziges Ereignis den Ausweg aus der Krise gebracht hat: der Zweite Weltkrieg.« Wir können diese Beklemmung teilen.
Kanal 2: Überersparnis finanziert staatlichen Konsum (keynesianische Politik)
Auch die Staatsverschuldung kann nicht beliebig ausgedehnt werden. Die Staatsverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), kletterte in den kapitalistischen Ländern immer höher. 1970 betrug die Staatsschuld in den USA noch 47 Prozent, in der BRD 18 Prozent und in Japan 12 Prozent des BIP. 2000 lauteten diese Werte 56 Prozent, 60 Prozent und 137 Prozent, 2008 schließlich 68 Prozent, 64 Prozent und 178 Prozent. Fachleute sind sich einig, dass im Zuge dieser Krise die Staatsverschuldung noch einmal dramatisch ansteigen wird. An sich hätte der Staat das Geld auch investieren und so das Wachstum fördern können. Offensichtlich steht aber der Staat bei der Suche nach rentablen Geldanlagen vor den gleichen Problemen wie das private Kapital.
Kanal 3: Überersparnis finanziert privaten Konsum (Finanzkeynesianismus)
Der Finanzkeynesianismus erlebt gerade in der letzten Krise sein Waterloo. Die privaten Haushalte in den USA gehen entweder pleite oder müssen auf Jahre hinaus sparen, um ihre hohen Schulden abzubauen. Sie kommen als Nachfrager für Konsumgüter bis auf weiteres nicht in Frage.
Kanal 4: Überersparnis finanziert Exportüberschüsse (»Bretton-Woods-II-Regime« oder »Chimerica«)
Der Ersparnis der Exportländer entspricht die Verschuldung der Importländer, in erster Linie der USA. Auch hier zeigte sich, dass das Wirtschaftswachstum der USA mit der steigenden Verschuldung der inländischen Sektoren nicht mit hielt. So betrug in den USA die Verschuldung der Unternehmen ohne Banken 1980 noch 97 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).15 Bis 2008 ist dieser Wert auf 130 Prozent angestiegen. 1946 hatte dieser Wert noch 45 Prozent betragen. Bei den Privaten Haushalten war die Entwicklung ähnlich. Deren Verbindlichkeiten stiegen von 17 Prozent 1946 über 52 Prozent 1980 auf 100 Prozent des BIP 2008. Dem US-Inlandsprodukt steht also ein immer größerer Schuldenberg gegenüber.
Die USA als Ganzes als jahrelanger Nettoimporteur haben inzwischen netto eine Auslandsverschuldung von fast 20 Prozent des BIPs. Dem stehen Forderungen von Ländern wie China, Japan und BRD gegenüber. Japan hatte 2007 per Saldo Forderungen gegenüber dem Ausland in Höhe von 49 Prozent seines BIPs, bei der BRD beträgt dieser Wert 26 Prozent.16 China hat Devisenreserven von Billionen von Dollar.
Immer wieder wird gefordert, dass diese »Ungleichgewichte« abgebaut werden müssten, soll die Weltwirtschaft wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs einschwenken. Die Fähigkeit der USA und ihrer Wirtschaftssektoren sich zu verschulden ist ja offensichtlich nicht unbegrenzt. Doch schon 2003 errechnete der US-Ökonom Lester Thurow, dass ein Abbau des Handelsbilanzdefizits der USA von damals noch rund 450 Mrd. Dollar weltweit 20 bis 25 Millionen Arbeitsplätze kosten würde.17 Auch der konservative Ökonom Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut macht sich Sorgen: »Ein Defizit, das in 40 Jahren entstanden ist, kann schwerlich in vier Jahren nachhaltig abgebaut werden.«18
Ist die US-Zentralbank an allem schuld?
Bernanke mit seiner »Überersparnis« liegt der Wahrheit sicherlich näher als die neue Sprachregelung der deutschen Eliten. Jahrelang waren die USA als das große marktwirtschaftliche Vorbild angepriesen worden. Jetzt wird im Nachhinein die US-Zentralbank dafür verantwortlich gemacht, die Verschuldung der USA extrem aufgebläht und damit die Welt in die Krise geführt zu haben.19 Richtig ist, dass Länder wie Deutschland, Japan und China ununterbrochen Exportüberschüsse erzielt haben, weil die USA auf Kredit diese Waren kauften. Als Exportüberschussland gehörte auch Deutschland zu den Kreditgebern der USA. Jetzt sitzt es auf den faulen Krediten.
Früher wiesen linke Ökonomen darauf hin, dass Deutschland Exportweltmeister sei. Es gäbe keinen Grund, den Gürtel enger zu schnallen, um den Standort Deutschland zu verteidigen. Dem wurde entgegnet, es wäre genau umgekehrt. Nicht weil die USA soviel importierte, seien sie auf Kredit angewiesen, sondern umgekehrt, weil die USA so marktwirtschaftlich seien, fliehe das deutsche Kapital in die USA. Mit diesem Kapital könnten die USA dann Waren aus Deutschland kaufen. Um die »erdrutschartige Fluchtbewegung des Kapitals«20 aus Deutschland zu stoppen, müsste der »Standort Deutschland« für die Unternehmen verbessert werden, indem die Stundenlöhne gesenkt werden. Dies behaupteten und behaupten dieselben Leute, die heute die US-Zentralbank und die US-Regierung an den Pranger stellen, weil sie die Verschuldung in den USA aufgebläht und gefördert hätten.21
Können Konjunkturpakete helfen?
Massiv hilft der Staat, Regierungen und Zentralbanken, den Banken. Politiker fordern angesichts des Nachfragerückgangs, dass der Staat dazu hin über Konjunkturprogramme Nachfrage schaffen muss, um Arbeitsplätze zu halten. Bislang ist hier wenig passiert. Die Studie der Deutschen Bank Research beziffert das Volumen der weltweiten staatlichen Konjunkturprogramme auf 2 Bio. US-Dollar, die sich auf zwei bis drei Jahre verteilten. Das ist gerade mal die Hälfte der 4 Bio. Dollar, welche diese Forscher als Verlust beim Weltbruttoprodukt, das insgesamt 55 Bio. Dollar beträgt, ansetzen.22 Dabei wäre ohne die Konjunkturpakete der Verlust noch größer.
So wie staatliche Bürgschaften und »Kapitalspritzen« für Banken noch tiefere Abstürze vermeiden mögen, können auch Konjunkturpakete verhindern, dass Einbrüche noch tiefer ausfallen.
Was passiert bei einem Konjunkturprogramm?
Ausgangspunkt einer Krise ist, dass Kapital Arbeitskraft nicht mehr mit Profit ausbeuten kann. Das Geld wird von den Kapitalisten zurückgehalten, gehortet, nicht mehr investiert, weder für Material noch für Arbeitskräfte. Die Folge ist, dass jetzt die Nachfrage noch mehr zurückgeht, weil Lieferanten und Arbeiter kein Geld mehr bekommen, so dass die Wirtschaft erst recht einknickt. Es kommt zu einem Dominoeffekt. Branchen und Unternehmen, die zunächst noch liefen, und Beschäftigte, die zunächst noch in Lohn und Brot standen, werden jetzt auch in die Krise gezogen. Hier setzten die Überlegungen des britischen Ökonomen Keynes an. Der Staat borgt sich das bei den Kapitalisten brachliegende Kapital. Die Kapitalisten bekommen als Gegenleistung eine zwar recht sichere, aber doch niedrige Verzinsung.
Der Staat gibt das Geld aus und verhindert so einen größeren Absturz der Wirtschaft. Der bürgerliche Staat wird natürlich versuchen, sich über Besteuerung der Arbeiter das Geld zu beschaffen, das er braucht, um den Kapitalisten das Kapital mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen. Können die Kapitalisten in der Krise die Arbeiter nicht mehr profitabel ausbeuten, so ist jetzt der Staat sozusagen zum stellvertretenden Ausbeuter geworden. Den Ertrag der Ausbeute gibt er über Zins- und Tilgungszahlungen an die privaten Kapitalisten weiter. Diese Ausbeutung ist aber an sich nicht schlimmer, als die Ausbeutung durch private Kapitalisten. Im günstigen von Keynes und seinen Anhängern erhofften Fall hat sie den Vorteil, dass die Wirtschaft nicht völlig abstürzt. Linke Politiker sollten allerdings fordern, dass die Konjunkturpakete wie auch die Bankenhilfen durch eine Besteuerung der Reichen finanziert werden. Dann muss den Kapitalisten auch kein Geld zurück gezahlt werden.
Droht durch Konjunkturpakete Inflation?
Allerdings misstrauen Konservative den keynesianischen Vorstellungen. Sie befürchten eine Politisierung der Wirtschaft, wenn der Staat zu sehr in die sogenannte freie Marktwirtschaft eingreift. Sie fürchten denn auch zu üppige Konjunkturprogramme. Sie warnen wegen der damit steigenden Staatsverschuldung vor drohender Inflation. Dies wird mit scheinbar plausiblen Bildern zu begründen versucht. So »pumpen« die Zentralbanken riesige Mengen an Geld in die Wirtschaft. Das müsse doch irgendwann zu Inflation führen. Die Forscher der Deutsche Bank Research weisen aber wohl zu Recht darauf hin, dass eine Ausdehnung der Geldmenge noch keine Inflation bedeutet. Dazu sind die Produktionskapazitäten viel zu schwach ausgelastet.
Auch Linke befürchten manchmal, dass die Herrschenden absichtlich eine Inflation herbei führen könnten. Schuldner könnten dann ihre Schulden mit Geld zurückzahlen, das immer wertloser wird. In der großen Inflation der 20er Jahre mussten viele Sparer erleben, wie sie mit einem Sparbuch von vielleicht 1000 Mark plötzlich gerade noch eine Briefmarke kaufen konnten. Die Inflation führte zu einer geräuschlosen Entschuldung der Konzerne. Eine solche Entschuldung erscheint auch jetzt für den Kapitalismus immer dringlicher zu sein, denn weltweit türmen sich die Schuldenberge. Allerdings stehen diesen Schulden die entsprechenden Forderungen der Gläubiger gegenüber. Diese Kapitalisten werden sich wehren, mit inflationiertem Geld abgespeist zu werden.
Anders sieht es mit den Forderungen der Pensionsfonds aus, welche die Gelder für zukünftige Rentenzahlungen an Rentner verwalten. Würden deren Vermögenswerte durch Inflation entwertet, träfe es Arbeiter und nicht Kapitalisten. 1946 verwalteten diese Pensionsfonds in den USA ein Vermögen in Höhe von 6 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bis 2000 stieg dieser Wert auf 92 Prozent. Seitdem ist es schon zu Entwertungen dieser Pensionsfondsvermögen zu Lasten der Arbeiter gekommen, so dass 2008 die Pensionsfondsvermögen nur noch 72 Prozent des BIPs ausmachten. Insgesamt betrug das Pensionsfondsvermögen in den USA 2008 rund 10 Bio. Dollar. Könnte man diese Gelder, die eigentlich für die zukünftigen Renten der US-Arbeiter angespart worden sind, per Krise, etwa durch Inflation, entwerten, wäre das natürlich eine große Erleichterung für das US-Kapital.
Überhaupt sind diese »kapitalgedeckten Rentenversicherungen« ein Instrument, um die Risiken der Kapitalmärkte auf die Arbeiter abzuwälzen. Diese müssen dann die Werteinbrüche über schwindende Altersvorsorge tragen. In Deutschland ist diese Art der Altersvorsorge noch nicht so bedeutend, weil hier die Renten immer noch stark über das sog. Umlageverfahren finanziert werden. Aber mit der »Riester-Rente« hat ein sozialdemokratischer Arbeitsminister die Kapitaldeckung auch in Deutschland ein Stück weit eingeführt.
Neben der »kapitalgedeckten Altersvorsorge« gibt es noch andere Tricks, wie Kapitalmarktrisiken auf kleine Leute abgewälzt werden sollen. Als die Immobilienpreise während der letzten Jahre immer mehr stiegen, kamen Unternehmen in den USA und in Europa auf die Idee, ihre Grundstücke über besondere Trusts, die REITS, an Privatkunden zu verkaufen. Das Ganze wurde auch noch steuerlich gefördert. »Mister Dax«: »Die Jungs haben gerochen, dass die Immobilienblase vor dem Bersten steht, und wollten die Zeitbomben mit staatlicher Unterstützung an den blöden Anleger verticken.«23
Was aber speziell die Inflationsfrage betrifft, so spricht das Ausmaß der Krise dafür, dass diejenigen Teile der herrschenden Klasse, zum Beispiel die US-Zentralbank, recht haben, die eher eine De- als eine Inflation befürchten. Das heißt freilich nicht, dass die Pensionsvermögen geschützt sind. Zwischen 2005 und 2008 sind sie von 11 Bio. Dollar auf 10 Bio. Dollar zurückgegangen, auch ohne Inflation.
Ausblick
Es gibt keine Anzeichen, dass der Welt eine neue große Weltwirtschaftskrise erspart bliebe. Jahrelang konnte nur durch eine Verschuldung, die rascher wuchs als die Wirtschaft, künstlich ein Wirtschaftswachstum aufrecht erhalten weden. Millionen von Arbeitsplätzen stehen jetzt auf dem Spiel. Das Kapital wird versuchen, die Krise dazu zu benutzen, dass Löhne gesenkt und Arbeitszeiten verlängert werden, wobei vielleicht einigen Kapitalgruppen symbolische Sonderopfer abverlangt werden. Es kommt auf die internationale Solidarität der Arbeiter an, um die gegen sie gerichteten Angriffe abzuwehren.
Die Herrschenden haben bislang Angst, die Arbeiter frontal anzugreifen. Sie sind ideologisch in der Defensive. Im Zuge der Krise mussten Regierungen in Island (Januar 2009), Lettland (Februar 2009), Ungarn (März 2009) und Tschechien (März 2009) zurücktreten.
Die öffentlichen Diskussionen entwickeln sich rasch. Vor Kurzem schreckten noch linke Politiker von einer Diskussion um »Verstaatlichung« zurück. Inzwischen ist das erste Gesetz zur Verstaatlichung einer Bank verabschiedet worden. In den von der Krise betroffenen Betrieben wird über regionale Wirtschaftsräte und Wirtschaftsdemokratie gesprochen. Bald könnten in den Betrieben unter dem Druck der Krise Sachen zur Sprache kommen, wie dies vor wenigen Monaten noch undenkbar gewesen wären.
Zum Autor:
Thomas Walter ist Wirtschaftswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Konjunkturprognose und schreibt regelmäßig für marx21.
Mehr von Thomas Walter auf marx21.de:
- Wahnsinn mit Methode: In der Krise boomen Wirtschaftsbücher – besonders wenn im Titel Schlagworte wie Crash oder Kernschmelze vorkommen. Thomas Walter hat einige der neuen Werke gelesen und meint, dass Karl Marx noch immer die beste Erklärung für die aktuellen Ereignisse liefert.
- Ende der Party: Thomas Walter über Lucas Zeises Buch »Ende der Party: Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft« und über Joachim Bischoffs Buch »Globale Finanzkrise«
Fußnoten zum Artikel:
1 Benedikt Fehr: Der Weg in die Krise. FAZ-Net 17. März 2008 http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~EEF6FC52887ED40AE806C30DC3B129E8D~ATpl~Ecommon~Scontent.html (abgerufen 10. Mai 2009)
2 Brief des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an Bundesminister Michael Glos vom 23. Januar 2009, in: Bundesminsterium für Wirtschaft und Technologie: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht März 2009 (www.bmwi.de).
3 Dirk Müller: Crashkurs – Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen. Droemer Verlag München 2009, S. 87.
4 Brief des Wissenschaftlichen Beirates a.a.O..
5 FAZ 7.5.09
6 World Economic Outlook, September 2005: Chapter 2. Global Imbalances: A Saving and Investment Perspective September 14, 2005 http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2005/02/pdf/chapter2.pdf
7 Vgl. dazu Chris Harman: Misreadings and misconceptions. In: International Socialism No. 119, Summer 2008.
8 Bernhard Gräf und Stefan Schneider: »Wie bedrohlich sind die mittelfristigen Inflationsrisiken?« Deutsche Bank Research 30. April 2009, http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000241015.pdf
9 Vgl.: Klaus Abberger und Wolfgang Nierhaus: How to define a recession? In: CESifo Forum 4/2008. http://www.docstoc.com/docs/4292067/recession-definition
10 Ben Bernanke: »The Global Saving Glut and the U.S. Current Account Deficit«. 10. März 2005. http://www.federalreserve.gov/boarddocs/speeches/2005/200503102/
11 Marxisten sprechen von »Überakkumulation«. »… zu viel Kapital steht zu wenig lohnenden Investitionen gegenüber.« Tobias ten Brink: Geopolitik. Westfälisches Dampfboot Münster 2008 S. 96.
12 Tatsächlich kann durch steigende Arbeitsproduktivität die Mehrwertrate erhöht werden, ohne dass deshalb die Menge der Waren, welche die Arbeiter kaufen können, sinken muss.
13 Vgl. Sahra Wagenknecht: Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft. Das Neue Berlin 2008. S. 190.
14 24.4.09 Dennis Meadows in Technology Report. Gespräch mit Martin Koelling. http://www.heise.de/tr/Der-boese-Samurai-ist-schon-tot-ohne-es-zu-merken–/artikel/136646/1/100 (abgerufen: 6. Mai 2009)
15 Veröffentlichungen der Federal Reserve Bank. https://www.federalreserve.gov/releases/z1/Current/data.htm
16 Japan’s International Investment Position at Year-End 2007, Bank of Japan, Reports and Research Papers. August 2008. http://www.boj.or.jp/en/type/ronbun/ron/research07/data/ron0808a.pdf
17 Lester Thurow: Die Zukunft der Weltwirtschaft. Campus-Verlag Frankfurt/Main 2004, S. 170.
18 Hans-Werner Sinn, a.a. O. S. 42
19 So behauptet die FDP auf ihrer Homepage: »Am Beginn der Krise standen staatliche Eingriffe in den US-Immobilienmarkt: Jahrzehntelang war es erklärtes Ziel der Politik in den USA, auch nicht kreditwürdigen Personen zu Wohneigentum zu verhelfen. Gleichzeitig sorgte die US-Notenbank mit ihrer Niedrigzinspolitik für billiges Geld.« http://www.liberale.de/files/653/Argumentationsleitfaden_Finanzkrise.pdf
20 Hans-Werner Sinn, S. 31.
21 Hans-Werner Sinn, S. 32ff.
22 Wert für 2007 laut Weltbank.
23 Dirk Müller, S. 159.