Die Londoner Sängerin M.I.A. macht es einem in ihrem neuen Album ‚Matangi’ nicht einfach, ihr in ihre Welt zu folgen. Dabei verstecken sich dort viele politische Aussagen über Flüchtlingszelte bis hin zu Freundschaften auf Facebook.
»Der Kopf ist verbunden mit dem Nacken/ Der Nacken ist verbunden mit dem Arm/ Der Arm ist verbunden mit der Hand/ Die Hand ist verbunden mit dem Internet/ Ist verbunden mit Google, ist verbunden mit der Regierung/« Als M.I.A. 2010 so ihr Album // / Y / (MAYA) eröffnete, klang das für den bundesdeutschen Medienkonsumenten noch nach dem Verfolgungswahn verkiffter Orwell-Fans.
Ende 2013 ist es hingegen bis zur BILD-App vorgedrungen, dass multinationale Konzerne und Geheimdienste im großen Stil E-Mails und Telefonate ausspionieren. Schutz bieten da teilweise Kryptographie-Programme, die Daten ver- und beim Empfänger wieder entschlüsseln sollen. Da scheint es kein Zufall, dass M.I.A.s neustes Album ‚Matangi‘ mit seiner Mischung aus indischem Bhangra und kreischenden Electro-Samples mitunter klingt wie ein noch nicht dechiffrierter Telefonanruf aus den Tropen Sri Lankas.
»Zellen werden zu Cell Phones«
Dabei beginnt das Album recht behutsam: auf Harfen-Töne und ein meditatives »Om« folgt eine passiv-aggressive Bassline und moderne Wortspiele zu hinduistischen Schöpfungsmythen (»Es gibt eine Eröffnungszeremonie und wir haben alle den gleichen Ursprung/ Zellen werden zu Cell Phones (Handys)/ Manche formen Zellen/ Manche werden in Zellen gesteckt/«.
Doch dann geht’s los: ein treibender Trommelrhythmus, tranceartige Gesänge, Sirenen-Samples und etwas, das klingt wie ein auf den Schwanz getretener Chihuahua machen aus dem Titelsong ‚Matangi‘ eine repetitive Soundkulisse, die sich nur von innen heraus – mit dem Beat gehend – genießen lässt. Genau dazu ruft M.I.A. im Refrain auf und zählt in ähnlich monotoner Hartnäckigkeit alle möglichen Länder auf, die sie vereint auf der Tanzfläche sehen möchte. Raver aller Länder, vereinigt euch.
1,5 Millionen Dollar für einen Mittelfinger
‚Matangi‘ ist dabei nicht nur der bürgerliche Vorname M.I.A.s sondern auch eine hinduistische Göttin, auf die im Album immer wieder Bezug genommen wird und zum Gesamtkunstwerk M.I.A. nicht besser hätte passen können. Als bewaffnete Unberührbare und Göttin der Rede und Musik ist sie quasi die Ghetto-Rap-Queen der hinduistischen Götterwelt.
Ihr Mudra, eine rituelle Handgeste, ist kurioserweise den Mittelfinger zu zeigen. Als M.I.A. dies 2012 während eines Gastbeitrages für Madonna beim Super Bowl tat, sorgte sie damit für Furore und wurde prompt vom NFL auf 1,5 Millionen Dollar verklagt.
Songs über Flüchtlinge
Obwohl sie sich solche Beträge sicherlich heutzutage problemlos leisten kann, bezeichnet sich die in Sri Lanka geborene Londonerin selber jedoch noch immer als Flüchtling. Zusammengefasst als Bewohner von Flüchtlingszelten (engl. tent) handelt ein Lied auf ‚Matangi’ dann auch von Exilanten. Dabei wird in Wörtern, die das im Englischen häufig gebrauchte Suffix »-tent« beinhalten, jene Silbe immer zusätzlich durch eine laute, blecherne Computerstimme betont. Solcherart penetriert, sowie ebenfalls auf der Erzählebene mit dem Thema konfrontiert, kommt der Zuhörer daher hier gar nicht drum herum, (zumindest abstrakt) seine Aufmerksamkeit auf die Situation von Flüchtlingen zu richten. Sinnigerweise heißt der Song, bei dem angeblich auch Wiki-Leaks-Gründer Julian Assange mitgearbeitet hat, daher auch ‚aTENTion’.
Mit ‚Know it ain’t right’ und ‚Exodus’ beweist M.I.A., dass sie auch langsam und weitestgehend frei von kreischenden Computersounds ziemlich gut klingen kann. Thematisch deckt man sich hier mit den Problematiken vorabendlicher Fernsehprogramme: verbotene Liebe und der Sinn des Lebens in guten und schlechten Zeiten.
‚Come walk with me’ beginnt ähnlich harmonisch als warmer Arme-hin-und-her-Schwenker, erleidet dann aber plötzlich mittendrin einen epileptischen Anfall und läuft als Techno-Monster weiter. M.I.A. singt hingegen völlig unbeirrt weiter. Zwar scheint es hier um Freundschaft zu gehen (»Kann ich dein bester Freund sein/ (…) Komm mit mir mit/«), doch nach den ersten Zeilen beschleichen einen Zweifel: »Heutzutage gibt es tausende Wege dich zu treffen/ tausende Wege jemanden aufzuspüren/ Was immer du gesagt und getan hast/ es gibt tausende Wege daraus etwas zu machen/«.
Ein quietschig buntes Autobahn-Zelt
Anscheinend geht es hier eher um das Bestätigen von Freundschaftsanfragen bei Facebook als um das Austauschen von Freundschaftsarmbändern. Der Aufruf der Sängerin, ihr als Freund zu folgen lässt sich so auch mutterseelenallein vor dem heimischen PC erledigen. Echte Verbundenheit wird hier ad absurdum geführt, tiefere Einsicht in sein Gegenüber wird so fast unmöglich.
Ja, M.I.A. macht es einem auf ‚Matangi’ häufig nicht einfach, ihr in ihre Welt zu folgen. Die vielen politischen Aussagen verstecken sich im Kleingedruckten und die Instrumentals haben sicherlich für viele mehr mit der Soundkulisse der A7 gemein, als mit wirklicher Musik. Wer es jedoch wagt sich darauf einzulassen und grade bei den Texten noch mal genauer hinhört, der will am liebsten gar nicht mehr raus, aus M.I.A.s quietschig buntem Autobahn-Zelt.
Von David Jeikowski
Foto: Coup d’Oreille
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