Massenstreiks und Hunderttausende auf den Straßen: Der erste Aktionstag der Gewerkschaften gegen die Politik von Präsident Macron war der Vorgeschmack auf einen heißen Herbst. Und auch die französische Linke formiert sich neu – mit vielen Stärken und alten Schwächen. John Mullen berichtet aus Paris
Es ist keine drei Monate her, dass Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten gewählt wurde und eine große Mehrheit der Parlamentssitze für seine junge Partei »La République en Marche« gewann. Dabei profitierte er von der tiefen Krise der traditionellen parlamentarischen Parteien. Kaum im Amt, holt Macron bereits zum Generalangriff aus. Höchste Priorität haben für ihn dabei Steuersenkungen für die Reichen sowie Gesetze, die die Macht der organisierten Arbeiterschaft weiter eindemmen sollen. Das neue Arbeitsgesetz enthält 36 »Reformen«: Die Befugnisse der Arbeitsschutzausschüsse, die seit 1947 in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten Pflicht sind und denen auch Gewerkschaftsvertreter angehören, sollen erheblich eingeschränkt werden. Entschädigungen für rechtswidrige Kündigung sollen gedeckelt werden. Wenn man etwa nach 20 Jahren bei einer Firma rechtswidrig entlassen wird, soll man nur noch für maximal 15 Monate bezahlt werden. Die Chefs von kleineren Unternehmen sollen zudem wesentlich mehr Freiheiten bekommen, die landesweiten Mindeststandards für Arbeitszeiten oder Prämien für Überstunden zu ignorieren.
Macron kann geschlagen werden
Außerdem will Macron Kürzungen im öffentlichen Dienst durchdrücken: Erst vor kurzem wurden bereits 150.000 von der Regierung subventionierte Stellen abgeschafft – eine Maßnahme, die einige Schulen so hart traf, dass die Leitungen sich nach den Ferien weigerten, die Schulen wieder zu öffnen. Ein weiteres Projekt von Macron, mit dem er in die Fußstapfen von Margaret Thatcher zu treten versucht, ist die Änderung der kommunalen Steuersysteme. Der Zentralregierung soll mehr Macht gegeben werden. Dahinter steckt die Absicht, es Kommunen unter linker Führung zu erschweren, mit ihrer Politik die Auswirkungen von Armut und Rassismus zu lindern.
Aber Macron ist nicht so stark, wie seine parlamentarische Mehrheit ihn aussehen lässt. Seine »Bewegung«, die aus rechten Mitgliedern der Sozialistischen Partei (PS) und traditionellen Konservativen zusammengeflickt wurde und eine große Anzahl von völlig unerfahrenen Abgeordneten hat, ist keineswegs stabil. Und wir dürfen nicht vergessen, dass nur 19 Prozent der Wahlberechtigten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ihre Stimme für Macron gaben. Seither ist seine Beliebtheit in den Umfragen im Keller. Anfang September gaben nur noch 37 Prozent der Befragten an, dass sie ihm zutrauen, das Land zu leiten.
Hohes Niveau an politischem Klassenbewusstsein
Und der Widerstand wächst. Vorgestern riefen die linkeren Gewerkschaften (CGT, FSU und Sud) zu einem ersten Aktionstag auf. Die Resonanz war gewaltig: Es kam zu massenhaften Streiks und in über 150 Städten im ganzen Land fanden große Demonstrationen statt. Die Protestzüge waren sehr multikulturell und stark von der Arbeiterklasse geprägt – es gab viele selbstgebastelte Plakate und politische Flugblätter. Der Tag hat gezeigt, dass die französische Arbeiterklasse immer noch ein hohes Niveau an politischem Klassenbewusstsein hat, denn die Bewegung richtet sich nicht gegen unmittelbare Lohnkürzungen oder Arbeitsplatzabbau, sondern gegen Gesetzesänderungen, die den Bossen mehr Waffen zur Verfügung stellen sollen.
Auch was den politischen Widerstand und eine linke Alternative betrifft, ist die Situation spannend. Die PS ist bei den Parlamentswahlen vollkommen in sich zusammengebrochen. Sie verlor 90 Prozent ihrer Mandate und stürzte von 295 auf 29 Abgeordnete. Das bietet eine große Chance für eine kämpferische linke Alternative.
La France Insoumise: Die Linke im Aufbruch
Im Zentrum des politischen Widerstandes gegen Macron stehen Jean-Luc Mélenchon und die Bewegung La France Insoumise (LFI). Viele Kommentatoren betonen die Neuartigkeit dieser Bewegung, dabei hat sie sehr starke Ähnlichkeit mit der Corbyn-Bewegung in Großbritannien: eine dynamische, linksreformistische Bewegung, die eine große Anzahl insbesondere junger Menschen anzieht. Anders als die Corbyn-Bewegung in Großbritannien, war aber in Frankreich der linke Flügel der traditionellen sozialdemokratischen Partei nicht stark genug, um die Parteiführung zu übernehmen. Ein weiterer Unterschied ist, dass die neoliberale Dampfwalze, mit der die Errungenschaften der Arbeiterklasse platt gemacht werden sollen, in Frankreich seit etwa 30 Jahren von deren kollektivem Widerstand gebremst wird – so sehr, dass die französischen Eliten heute von der Notwendigkeit »einer Revolution wie unter Thatcher« sprechen. Gleichzeitig ist Frankreich ein Land, in dem bestimmte Formen eines linken Patriotismus seit eh und je sehr stark verbreitet sind. Und auch unter Linken besteht eine große Verwirrung – und das ist noch ein sehr freundlicher Ausdruck – über die angebliche Gefahr, die vom Islam ausgehe. Islamophobie ist hier auch unter Linken weit verbreitet.
All diese Faktoren wirken natürlich auch auf La France Insoumise ein. Gleichzeitig betrachten 58 Prozent der französischen Bevölkerung die LFI als die Hauptopposition gegen Macron. Ihre 17 neugewählten Abgeordneten haben bewiesen, dass sie es verstehen, die Aufmerksamkeit der Presse auf den Widerstand zu lenken. Die örtlichen Gruppen der LFI-Bewegung ziehen sehr viele neue Aktive an und im Dezember wird es eine große Gründungskonferenz geben. Ende August beteiligten sich 5.000 Aktivistinnen und Aktivisten an der Sommerschule der LFI in Marseille.
Reformismus und Sektierertum
Nun haben Mélenchon und La France Insoumise zu einer landesweiten Demonstration am 23. September gegen die Angriffe Macrons aufgerufen. Der Grund, warum sie eigenständig die Initiative ergriffen haben – und eigentlich auch der Grund, warum die LFI überhaupt existiert -, sind die sehr schlechten Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit Versuchen, als linker Block mit der Kommunistischen Partei und anderen linken Gruppierungen zusammen zu arbeiten.
Selbstverständlich werden Revolutionäre immer unzählige Kritikpunkte gegenüber jedem reformistischen Führer haben, egal wie radikal er auch sein mag. Aber ein besorgniserregend großer Teil der revolutionären Linken in Frankreich scheint seine Rolle darin zu sehen, diese Differenzen aufzuzählen und neue hinzu zu erfinden. Der Vorsitzende der Neuen Antikapitalistische Partei (NPA), Olivier Besancenot, ging so weit, in einem TV-Interview, die Demonstration am 23. September zu verurteilen, weil seine Gruppe nicht in die Beratung über das Datum eingezogen wurde.
Eine Wurzel dieses Sektierertums liegt in der altbewährten Behauptung von einflussreichen Teilen des französischen Trotzkismus, der linke Reformismus könne im heutigen Kapitalismus nicht mehr bestehen. Offensichtlich verursacht eine solche Analyse Schwierigkeiten beim Umgang mit dem linken Reformismus, wenn er dann doch die historische Bühne betritt.
Eine politische Massenbewegung gegen Austerität
Die entscheidenden Fragen sind jetzt: Wird die weitverbreitete Wut gegen Macron in einer Bewegung münden, die stark genug ist, den Generalangriff abzuwehren? Und wird es La France Insoumise gelingen, eine politische Massenbewegung gegen Austerität und im Interesse der Arbeiterklasse aufzubauen und sie langfristig zu stabilisieren? Beides ist momentan möglich. Doch egal wie schnell die Situation sich weiterentwickelt, der Aufbau des Widerstands, gemeinsam mit den vielen neuen Aktiven, sowie die Aufrechterhaltung von Räumen, in denen sich marxistische Ideen verbreiten können, werden die wichtigsten Aufgaben jeder antikapitalistischen Aktivität bleiben.
John Mullen ist Aktivist aus Paris und Mitglied der antikapitalistischen Gruppe Ensemble. Außerdem engagiert er sich in einer Ortsgruppe von La France Insoumise.
Übersetzt ins Deutsche von Einde O’Callaghan.
Foto: CJ net
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