Wenn von Politikverdrossenheit oder einer Krise der politischen Parteien die Rede ist, dann ist eine Partei damit auf keinen Fall gemeint: die Grünen. Wesentlich für ihre steigende Popularität sind die Wut über die Laufzeitverlängerung für AKW durch die schwarz-gelbe Bundesregierung und der Super-GAU im japanischen AKW Fukushima. Dabei sieht die Bilanz der Grünen als Regierungspartei von 1998-2005 – gerade was den Atomausstieg angeht – alles andere als überzeugend aus. Auf örtlicher Ebene geht der Spagat zwischen verbaler AKW-Gegnerschaft und praktischem Friedensschluss mit der Energiewirtschaft zum Teil noch über die rot-grüne Regierungspraxis hinaus. Von Heinz Willemsen
Im Februar 2011 machte Marianne Weiß, Geschäftsführerin der Bielefelder Grünen und 2009 grüne Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters gegenüber der Illustrierten »Bielefelder« ein paar erstaunliche Äußerungen: »Es muss klar sein, dass ein Verzicht der Stadtwerke auf Atomenergie auch eine Einschränkung der Einnahmen bedeutet. Der Strom würde nur noch für die Region reichen und könnte nicht mehr überregional verkauft werden. Das bedeutet natürlich auch ein großes Loch für den städtischen Haushalt.« Die kommunalen Stadtwerke Bielefeld sind neben München die einzigen Stadtwerke bundesweit, die Miteigentümer eines Atomkraftwerks sind. Mit 16,67 Prozent sind sie am niedersächsischen AKW Grohnde beteiligt. Haupteigentümer ist die E.on AG, die 2010 einen Jahresumsatz von mehr als 90 Milliarden Euro hatte. Europas größtem Energiekonzern gehören insgesamt 11 der 17 deutschen Meiler. 53 Prozent ihres Stromes beziehen die Stadtwerke aus Grohnde. Das ist mehr als das doppelte des bundesdeutschen Durchschnitts.
Im Dezember 2010 hatten die Stadtwerke ein neues Energiekonzept vorgestellt. Verabschiedet worden war es unter anderem mit den Stimmen von Inge Schulze, grüne Fraktionsgeschäftsführerin im Rat und Mitglied im Aufsichtsrat der Stadtwerke. 2020 sollen demnach immerhin noch 37,5 Prozent des Stroms aus Kernenergie stammen. Nach dem rot-grünen Atomgesetz vom April 2002 wäre Grohnde dann aber eigentlich schon abgeschaltet. Einem Bürgerbegehren, das zum Ziel hat, die Stadtwerke auf einen Ausstieg bei Grohnde bis 2018 – dem rot-grünen Ausstiegsdatum für Grohnde – festzulegen, erteilt die Geschäftsführerin Weiß eine Abfuhr: »Die Bevölkerung ist noch nicht ausreichend informiert für ein Bürgerbegehren.« Gleichzeitig bekräftigte sie »Wir sind nach wie vor für den Atomausstieg.«
Vor der Kommunalwahl…
Im Kommunalwahlkampf 2009 sah alles noch ganz anders aus. Marianne Weiß und Britta Haßelmann, Bundestagsabgeordnete aus Bielefeld und parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag erklärten: »Der Druck eines klar definierten Endpunkts wie hier durch den Atomausstieg erhöht den Erfolgszwang einer (Energie-)Wende und setzt damit neue Kräfte frei. … Vielleicht sollten dies sogar die Bielefelder Bürgerinnen und Bürgern in Form einer Abstimmung bestimmen.« Und noch nach der Kommunalwahl im November 2009, als der neue OB von der SPD Pit Clausen verlauten ließ, »aus ideologischen Gründen sollte nicht das eine oder andere von vornherein ausgeschlossen werden.«, polemisierte die grüne Geschäftsführerin: »Man darf mich gern korrigieren, aber die SPD war doch auch mal für den Atomausstieg, oder, schrieb mir ein Facebook-Freund … Die Pläne von Schwarz-Gelb, die AKW-Laufzeiten und damit auch Grohnde zu verlängern, werden von den örtlichen Sozialdemokraten bei diversen Anlässen schon einmal so kommentiert: Ja, wenn’s denn nun so kommt, dann werden wir sicher nichts dagegen unternehmen. Grohnde als Gelddruckmaschine für den Ausbau des ÖPNV scheint das Konzept zu heissen.«
Und die Befürchtungen der Grünen waren mehr als berechtigt. Im Sommer 2008 hatte Friedhelm Rieke, Geschäftsführer der Stadtwerke Bielefeld, die Verlängerung der Laufzeit des AKW Grohnde gefordert. Kurz darauf, am 12. Juli 2008, erschien ein Kommentar in der größten der beiden Lokalzeitungen, der zu 57,5 Prozent in SPD-Besitz befindlichen »Neuen Westfälischen« (NW): »Laufzeitverlängerung für Grohnde. Damit es jeder hell und warm hat«. Darin wird Grohnde als Gelddruckmaschine bezeichnet. »Deswegen ist es nicht nur erlaubt, es ist geradezu notwendig, dass sich die Geschäftsführung Gedanken über eine Verlängerung der Laufzeit über das Jahr 2018 hinaus macht.« Das ganze wird als Konzept der Daseinsvorsorge bezeichnet im Gegensatz zum Monopolgebaren der vier großen Energiekonzerne.
»Expandierendes Unternehmen«
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit fanden seit dem Herbst 2009 Verhandlungen um den Rückkauf von Anteilen der Stadtwerke statt. Im Gefolge der Liberalisierung des Strommarktes hatte im Jahr 2002 die damalige CDU-Mehrheit im Bielefelder Stadtrat 49,9 Prozent der Anteile an den Stadtwerken veräußert. Käufer waren die SWB AG, die vollständig privatisierten und in eine Aktiengesellschaft umgewandelten ehemaligen kommunalen Stadtwerke Bremen. Der Rückkauf war möglich geworden durch einen Eigentümerwechsel der SWB AG und besonders die SPD machte sich stark dafür. Begründet wurde das mit einer Abkehr von der Privatisierungspolitik, mit Rekommunalisierung und Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge. Das eigentliche Objekt der Begierde aber waren die satten Profite aus Grohnde: 20-30 Millionen Euro jährlich, die nicht mehr wie bisher zwischen der Stadt Bielefeld und der SWB AG geteilt werden sollten. Dieses sollte die Basis bilden für ein »expandierendes Unternehmen« (Eigenwerbung der Stadtwerke) auf einem liberalisierten Strommarkt. Schon heute werden 50 Prozent des Stadtwerkestroms, also fast so viel wie aus Grohnde bezogen werden, überregional verkauft. Und im neuen Energiekonzept der Stadtwerke soll nicht nur an der Atomenergie festgehalten werden, sondern auch die Stromproduktion bis 2020 um 30 Prozent gesteigert werden. Mit der Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge hat das wenig zu tuen.
Andererseits sind aber gerade wegen Grohnde die Rückkaufverhandlungen seit fast zwei Jahren nicht von der Stelle gekommen. Zuhause rührte die SPD die Werbetrommel für eine Laufzeitverlängerung für AKW. In den Verhandlungen mit der SWB AG versucht sie dagegen mit dem Verweis auf das absehbare Ende der Gelddruckmaschine 2018 den Preis auf 109 Millionen Euro zu drücken. Die Bremer verlangen dagegen 335 Millionen Euro. Soviel hatten sie 2002 für ihren Anteil an dem »Schlüssel zu neuen regionalen Märkten« bezahlt. Die Begründung für den höheren Preis ist jetzt aber die Verlängerung der Laufzeiten der AKW durch die Bundesregierung, also die Aussicht, dass die Superprofite aus Grohnde noch lange fließen. Statt einer an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierten Rekommunalisierung steht nun ein aufwendiges Schlichtungsverfahren mit ungewissem Ausgang, aber mehreren 100.000 Euro Kosten, auf der Tagesordnung.
Nach der Kommunalwahl…
Nach der Wahl war alles ganz anders. Die Grünen gingen eine Ampelkoalition mit SPD und FDP ein, mit dem Ziel einer Politik der neoliberalen Haushaltskonsolidierung, kurz »Bielefeld-Pakt« genannt. Zur Energiepolitik vereinbarten die drei Parteien im März 2010 im Koalitionsvertrag: »Das Gemeinschaftskraftwerk Grohnde soll bis 2018 bzw. bei Laufzeitverlängerung durch Änderung der Beschlusslage bis zum Laufzeitende genutzt werden«. Noch bevor die Bundesregierung den Ausstieg aus dem Ausstieg beschloss, hatte die Bielefelder Ampel »grünes Licht« gegeben, für die Weiternutzung der Atomenergie aus Grohnde auch über 2018 hinaus. Die Begründung für den Abschied vom Atomausstieg hört sich so ähnlich an, wie Merkels Plädoyer für »Atomstrom als Brückentechnologie«: Die Profite aus Grohnde sollen für Investitionen in erneuerbare Energie genutzt werden.
Einen Ratsbeschluss aus dem Mai 2009, der die Stadtwerke eindeutig auf den Ausstieg aus der Atomenergie festlegt, erklärte der Bürgermeister Pit Clausen (SPD) kurzer Hand für ungültig. In einer Pressemitteilung der Stadt Bielefeld vom 28. Dezember 2010 sagt er auch, warum: »Die gesetzliche Laufzeitbegrenzung wurde … inzwischen aufgehoben. Damit ist eine Grundlage des Ratsauftrages weggefallen« Widerspruch vom grünen Koalitionspartner gab es nicht. Die erklärten lieber das Aktionsbündnis Bürgerbegehren zum politischen Feind. Gegen den Koalitionsvertrag sprachen sich auf der Grünen-Mitgliederversammlung nur drei Menschen aus. Das frühere Ratsmitglied Ulrich Burmeister nannte den Koalitionsvertrag: »Das ist Green-Washing der besonderen Art.«
»Der bitterste Punkt«
»Unser Nachgeben beim Thema Atomausstieg war sicher der bitterste Punkt«, erklärte die Geschäftsführerin Marianne Weiß, »aber sonst wäre keine Ampel möglich gewesen.« Und die Fraktionsgeschäftsführerin Inge Schulze (Grüne) bekannte, dass sie schlecht schlafen würde, seit die Ampel den möglichen Atomausstieg auf das Jahr 2018 verlegt habe. Politik sei immer ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren. Das Machbare, das ist die reale Machtlosigkeit der Grünen, über das Parlament als Kontrollgremium die Stadtwerke zum Atomausstieg zu bewegen. Ihre Schlafprobleme lösen die Grünen dagegen marktwirtschaftlich: »Besser spät als nie. Nach dieser Devise haben die Bielefelder Grünen jetzt ihren Stromanbieter gewechselt und rufen die BielefelderInnen und Bielefelder auf, es ihnen nachzutun,« hieß es in einer Pressemitteilung. Das ist nicht nur heuchlerisch. Es ist auch politisch verheerend.
Die Beschäftigten der Stadtwerke werden vor die Alternative gestellt: Entweder ihre Arbeitsplätze werden von einem Öko-Anbieter weg konkurriert oder sie müssen sich der lokalen SPD mit ihrem Atomfilz an den Hals werfen. Den Sozialdemokraten wird es so leicht gemacht, sich als Schutztruppe der Stadtwerke-Arbeiter aufzuspielen: »So eine Forderung ist gegenüber den Beschäftigten des eigenen kommunalen Energieversorgers unverschämt und gegenüber einer städtischen Beteiligung unverantwortlich« Dabei wäre es gerade wichtig aufzuzeigen, dass sichere Arbeitsplätze bei den Stadtwerken nicht durch eine Ausrichtung auf rein betriebswirtschaftliche Ziele zu erreichen sind. Die Gier nach kurzfristigen Profitinteressen durch Grohnde steht einer Rekommunalisierung, in der die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung und der Beschäftigten maßgebend sind, im Wege. Und in der von der Atomindustrie angeschobenen Debatte um Strompreissteigerung beim Ausstieg bleibt die Wechselkampagne hilflos.
Bürgerbegehren: Die Grünen machen nicht mit
Das Jahr 2010 stand energiepolitisch ganz im Zeichen der Proteste gegen die Laufzeitverlängerung für AKW durch die Bundesregierung. Auch im ostwestfälischen Bielefeld organisierte sich Widerstand dagegen. Auf Initiative der »Bürgernähe«, einer lokalen Abspaltung der Grünen, die mit 2 Mandaten im Kommunalparlament sitzt, wurde ein Aktionsbündnis »Bielefeld steigt aus!« ins Leben gerufen. Das Bündnis strebt ein Bürgerbegehren gemäß der Gemeindeordnung NRW an. Damit sollen die Stadtwerke verpflichtet werden, ihren Anteil an Grohnde bis 2018 zu verkaufen und ab diesem Zeitpunkt auch keinen Strom mehr von dort zu beziehen.
Angesichts der begrenzten Zuständigkeiten der kommunalen Gremien würde ein erfolgreiches Bürgerbegehren zwar kein unmittelbares Aus für Grohnde bedeuten. Es erhöht aber den politischen Druck. Trotzdem wurde und wird es von den Bielefelder Grünen bekämpft. Dabei bewegt sich die Initiative ganz im Rahmen des rot-grünen Ausstiegsbeschlusses von 2002, wonach das niedersächsische AKW gegen 2018/2019 vom Netz gehen sollte. Nicht das nach Fukushima populäre »Abschalten sofort«, sondern »Rücknahme der Laufzeitverlängerung« ist also der Grundtenor des Bürgerbegehrens. Auch ansonsten ist in der Initiative die grüne marktwirtschaftliche Perspektive (»Stromwechseln jetzt!«) stark präsent und nicht so sehr die antikapitalistische Forderung nach einer demokratischen Kontrolle der kommunalen Stadtwerke. Unterstützt wird das Bürgerbegehren neben der »Bürgernähe« u.a. von attac, BUND, Naturfreundejugend, IPPNW, der Grünen Jugend und den LINKEN.
Mit der Zerstörung des AKW-Komplexes im japanischen Fukushima erfahren die Grünen einen ungeheuren Durchbruch im Wählerzuspruch. Sie sind aber, was oft übersehen wird, auch Getriebene der Entwicklung. Auf ihrem »kleinen Bundesparteitag« in Mainz am 19. März versuchten sie Schritt zu halten mit der aktuellen Entwicklung. Bis 2017, also am Ende der nächsten Legislaturperiode des Bundestages, sollen laut Parteitagsbeschluss nun alle AKW stillgelegt sein. Damit wird der eigene Regierungsbeschluss von 2002 stillschweigend ad acta gelegt. Auch in Bielefeld stehen die Grünen nun unter Druck und fassen im Wochentakt neue Beschlüsse. Mal soll 2018 mit Grohnde Schluss sein, dann schon entsprechend des Beschlusses der Bundesgrünen 2017. Das Bürgerbegehren boykottieren die Grünen trotzdem weiter. Einen offen Brief der LINKEN beantworten sie mit einem Tobsuchtsanfall auf dem Bündnistreffen für die Mahnwachen. Schließlich werden sie von der SPD noch links überholt. Der SPD Oberbürgermeister schlug am 2. April überraschend einen Ratsbürgerentscheid zum Thema Grohnde vor.
Grüne Nagelprobe
Das Verhalten der Bielefelder Grünen ist keineswegs eine Ausnahme. Auch in München betreiben die dortigen Grünen eine Politik der friedlichen Koexistenz mit der Nutzung der Atomtechnologie. Schon seit 1996 sind sie in der Koalition mit der SPD, während die dortigen Stadtwerke zu 25 Prozent am AKW Isar II beteiligt sind. »Wie SPD und Grüne am AKW verdienen«, schrieb der Stern im September 2010. Nach Fukushima standen die Münchener Grünen in der ersten Reihe, als es galt, Merkels dreimonatige Zwangspause für alte AKW in ein dauerhaftes Aus umzuwandeln: »Isar I muss abgeschaltet werden und darf nie wieder anlaufen.« Wer erwartet, dass dies auch für Isar II gilt, sieht sich getäuscht. In einem Antrag vom 14. März fordern sie lediglich die Verschärfung der Sicherheitsauflagen für das Atomkraftwerk Isar II.
Georg Fülberth hat in einer Wahlnachlese die Vermutung geäußert, dass die Energiepolitik der Merkel-Regierung bei Teilen der Herrschenden an Zustimmung verliert. Der Green New Deal würde der neue Motor der deutschen Exportwirtschaft. »Die stofflichen Grundlagen kapitalistischen Wirtschaftens müssen reorganisiert werden. Hier steht in Deutschland schon die geeignete Partei bereit.« Die Erfahrungen in Bielefeld und München legen anderes nahe, nämlich das grüne Arrangement auch mit der Nutzung der Atomtechnologie. In Baden-Württemberg sind die Grünen nicht mit einem kommunalen Stadtwerk konfrontiert, sondern mit einem der vier Energieriesen, mit EnBW. Für diesen Konzern, der die Hälfte seines Umsatz mit Strom aus Kerntechnik macht, sind die AKW eine Existenzfrage. Hier wird sich in den nächsten Monaten zeigen, welchen Weg die Grünen einschlagen.
Zum Autor:
Heinz Willemsen ist Mitglied der LINKEN in Bielefeld.