Andrea Ypsilanti will sich mit den Stimmen der LINKEN zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen. Aber die Krise an den internationalen Finanzmärkten stellt auch eine neue Landesregierung vor große Herausforderungen. Eine Stellungnahme des marx21-Netzwerkes zum Landesparteitag der LINKEN in Hessen.
Andrea Ypsilanti will sich mit den Stimmen der LINKEN zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen. Aber die Krise an den internationalen Finanzmärkten stellt auch eine neue Landesregierung vor große Herausforderungen. Sollte Ypsilanti in Hessen gewählt werden wird sie die Chefin leerer Kassen werden. Die Steuereinnahmen brechen jetzt schon ein. Geld für Bildung und Soziales? Fehlanzeige! Peer Steinbrück (SPD) sagte schon vor drei Wochen: "Wir schauen noch tiefer in den Abgrund". Die Wirtschaft in der Euro-Zone ist im zweiten aufeinander folgenden Quartal geschrumpft. Die Exportaufträge der deutschen Industrie sind auf ein Achtjahrestief gesunken. In Spanien und Italien schrumpft die Wirtschaft schon seit Jahresbeginn.
Gleichzeitig steigen die Preise immer noch schneller als die Reallöhne. "Stagflation" (Stagnation und Inflation zugleich) wurde das in den 70er Jahren genannt – ein Albtraum tut sich auf für die ganze Welt, Europa und Deutschland. Viele verharmlosen die drohende Wirtschaftskrise als Finanzkrise und meinen, es reiche aus, den internationalen Finanzverkehr zu regulieren. Tatsächlich haben wir es mit einer Krise des Kapitalismus zu tun, wie Karl Marx sie analysiert hat. Das Hauptproblem ist nicht die "falsche Politik", sondern ein "falsches" Wirtschaftssystem. Marx beschrieb den Kapitalismus als eine Produktionsweise, die auf Grund ihr innewohnender Gesetze zwangsläufig zu Krisen und katastrophalen Zusammenbrüchen führt. Die Politik kann solche Krisen lindern oder beschleunigen, verhindern kann sie diese jedoch nicht, solange sie die Gesetze von Konkurrenz und Profitmaximierung nicht außer Kraft setzt.
Wirtschaftskrisen gab es immer im Kapitalismus: 1873-90, 1921, 1929 bis 1939, 1974, 1981, 1989 bis 1993 und 2000 bis 2001. Bisher hat der Kapitalismus alle Krisen überwinden können – der Preis dafür waren Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Hunger und Kriege. Die Krise führt jetzt schon in den armen Ländern zu Rebellion gegen teure Lebensmittel. Sie wird die Klimakatastrophe weiter verschärfen und die imperialistischen Rivalitäten um Einflusszonen und die Kontrolle von Rohstoffen anheizen. Die LINKE muss jetzt dazu übergehen, diesen Kapitalismus in Frage zu stellen. Es ist Zeit die Eigentumsfrage neue zu stellen. Rosa Luxemburgs Satz „Sozialismus oder Barbarei" wird wieder aktuell.
Große Koalition, Ypsilanti und die SPD
Banker und Unternehmer werden alles daran setzen, auch diese Krise auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu lösen. Sie werden von den Regierungen fordern, Sozialausgaben und Renten zu kürzen, sie werden versuchen die Tarifverträge kaputt machen, um Löhne zu senken und Arbeitszeiten zu verlängern, sie werden drohen Abteilungen und Betriebe still zulegen und sie werden ihre Schulden durch Anheizen der Inflation abbauen. Sie werden uns erzählen, dass dies alles notwendig sei, um den Standort Deutschland unter verschärfter Weltkonkurrenz zu verteidigen.
CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE werden uns im Wahljahr das Blaue vom Himmel versprechen. Wir sollten uns nicht täuschen lassen, auch und gerade nicht von der SPD. Sie ist nicht das "kleinere Übel", sie ist ein anderes Übel. Denn durch ihren großen Einfluss auf die Gewerkschaftsführungen hat sie allein die Macht, diese daran zu hindern, ihre ganze Kampfkraft einzusetzen. Die neue Parteiführung der SPD von Walter Steinmeier und Franz Müntefering steht für die Verteidigung von Kapitalinteressen ohne Rücksicht auf die eigenen Wähler. Andrea Ypsilanti hat bereits angekündigt, dass sie Steinmeiers und Münterferings SPD im Wahljahr unterstützen wird. Ihre Minderheitenregierung – wenn sie zustande kommt – läuft angesichts leerer Kassen Gefahr, die eigene Basis mit Phrasen abzuspeisen. Die Wahl von Ypsilanti ist noch keine Garantie für ein anderes, sozialeres Hessen. Das wird es nur geben, wenn die Landesfinanzen nicht länger durch die Steuerpolitik der Bundesregierung geplündert werden und wenn sich soziale Kämpfe, wie die der Studierenden gegen Studiengebühren, verbreiten.
Sparhaushalt in Hessen?
Die hessische SPD verlangt von der LINKEN "Verlässlichkeit", vor allem bei der Haushaltskonsolidierung. Außerdem wird verlangt, dass die LINKE bei jeder Forderung eine "Gegenfinanzierung" nennt. Zugleich ist "Parteigenosse" Steinbrück dabei, riesige Löcher in den Bundeshaushalt zu reißen – ganz ohne Gegenfinanzierung.
Andrea Ypsilanti wäre gut beraten, wenn sie sich vom Druck von CDU, FDP und GRÜNEN für einen ausgeglichenen Haushalt befreite. Roland Kochs Regierung hat die meiste Zeit mit verfassungswidrigen Haushalten regiert. zum Beispiel hat er im Haushaltsjahr 2003 eine Neuverschuldung von 7,2 Prozent oder 2,5 Milliarden Euro in Kauf genommen. Weiterhin hat er 1 Milliarde Euro bei Löhnen, Gehältern und im Sozialbereich gekürzt! Das Schlimmste wäre, wenn eine rot-grüne Minderheitenregierung unter dem Druck schrumpfender Steuereinnahmen zum Sparen aufriefe und damit sämtliche Hoffnungen auf einen Einstieg in einen Politikwechsel zunichte machte. Die hessische Verfassung (Artikel 141) sieht die Möglichkeiten zur Neuverschuldung bei "außerordentlichem Bedarf" vor. Der ist jetzt bei drohendem Ausbruch einer Wirtschaftskrise ohne Zweifel gegeben. Statt Milliarden in schwarze Löcher bankrotter Banken zu versenken, sollte das Geld für Bildung und Armutsbekämpfung verwandt werden.
JA in der Urabstimmung, aber Wachsamkeit nach der Wahl
LINKE, SPD und GRÜNE haben im Wiesbadener Parlament gemeinsam die Studiengebühren von Roland Koch abgeschafft. Das hat die Hoffnungen in eine neue Linksregierung in Hessen enorm gesteigert. Gewerkschaften, Studierendenverbände, Bürgerinitiativen, Lehrer und Eltern – sie alle wollen Koch und die CDU-Regierung weg haben. Schon im Wahlkampf hat die LINKE zum Sturz von Koch aufgerufen. Das muss sie jetzt auch einhalten, in dem sie einer Ministerpräsidentin Ypsilanti ihre Stimme gibt. Es gibt Ängste und Befürchtungen, dass die hessische LINKE jetzt schon den Weg der GRÜNEN in Richtung Anpassung geht und dass sie sich mit der vorliegenden "Erklärung der Partei" für vier Jahre an die Rot-Grüne-Regierung binden lässt. Diese Gefahr gibt es ohne Zweifel, aber sie muss nicht zwangsläufig obsiegen. Denn: Unter Punkt 10 heißt es: "Die LINKE ist kein Teil der künftigen Koalition und an der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen nicht beteiligt" Die Zustimmung zum Haushalt wird zwar in Aussicht gestellt, aber nicht bedingungslos: "Keine weitere Privatisierung, keine Verschlechterung beim Umweltschutz, kein Personal- oder Sozialabbau" (Punkt 2). Und schließlich behält sich die LINKE vor, eigene Anträge im Landtag zu stellen (Punkt 8).
Die in Punkt 2 genannten Haltelinien sind zwar wichtig, aber in der Praxis schwer einzuhalten. Bei jeder Abstimmung kommt es auf die Stimmen der LINKEN an und immer wird es heißen: "wollt Ihr, dass Koch wieder zurückkommt". Dazu sagen wir: Es gibt Schlimmeres als Koch, nämlich ein Verrat der Linken, der die Rechte insgesamt stärken würde. Die Folgen eines solchen Verrats haben in Italien und Österreich zur Stärkung der rassistischen und neofaschistischen Rechten geführt. Die Schwierigkeit wird sein, dass die Enttäuschung scheibchenweise kommen kann, als schleichender Prozess. Dem müssen wir vorbeugen, indem wir immer wieder die Logik von knappen Haushaltsmitteln und "ausgeglichenen Haushalt" in Frage stellen. Denn Geld ist genug da: Bei den Reichen.
Widerstand jetzt
Wachsamkeit der gesamten Partei wird auch nicht ausreichen. Schon die letzten Monate haben gezeigt: Nur dann gibt es eine Chance, Verbesserungen und Reformen zu erstreiten, wenn die Betroffenen für ihre Interessen auch kämpfen. Deshalb muss die LINKE die Gewerkschaften, Sozialverbände, Bürgerinitiativen und andere aufrufen, nicht aus falscher Rücksicht aus eine "linke Regierung" die Füße "stille zu halten". Denn das wird nur dazu führen, dass sie leer ausgingen. Denn der Druck von der Kapitalseite wird enorm sein und sechs Parlamentarier der LINKEN werden dagegen alleine nichts ausrichten können. Überall wo sich hoffentlich Widerstand regen wird, muss DIE LINKE diesen tatkräftig aufbauen, unterstützen und über die Stimmen ihrer Abgeordneten ins Parlament tragen.
Veranstaltungen zur Finanzkrise beim Marx is muss Kongress 2008:
- Die marxistische Krisentheorie
- Finanzmärkte und Realökonomie: Regiert Geld die Welt?
- Buchvorstellung: Henryk Grossman's Beitrag zur marx'schen Krisentheorie
- Einführung in die Arbeitswertlehre: Wie entsteht Profit?
- Kann demokratische Planwirtschaft funktionieren?