Gut, dass über Frauenfeindlichkeit gesprochen wird, meint Katrin Schierbach. Doch das reicht nicht aus, um sie zu beseitigen
Ja, ich erwarte von Männern, dass sie keine frauenfeindlichen Sprüche machen. Ich erwarte, dass sie mich und andere Frauen nicht gegen unseren Willen berühren – wo auch immer. Ich erwarte, dass sie ein Nein als das akzeptieren, was es ist: ein Nein. Ich wünsche mir Menschen, die ein gleichberechtigtes Miteinander für unabdingbar halten.
Das sind Forderungen, die Frauen in der aktuellen Sexismus-Debatte aufstellen. Ausgelöst hat die Debatte FDP-Fraktionschef Reiner Brüderle, der gegenüber einer Journalistin aufdringlich geworden sein soll. Dass diese Forderungen nun laut werden, ist hervorragend. Denn wir Frauen können das Gefühl überwinden, dass wir Schuld wären an verbalen und körperlichen Übergriffen.
Wir erfahren, dass wir nicht überempfindlich sind, wenn wir anzügliche Witze und Berührungen als unangenehm empfinden. Es ist nicht unsere Psyche, die nicht richtig tickt. Es ist nicht so, dass wir uns »mal nicht so haben« sollen.
Sexismus gehört zur Klassengesellschaft
Die Spiegel-Autorinnen Barbara Hans und Simone Utler fordern, über Machtstrukturen zu sprechen. In vielen Diskussionsforen im Internet verlangen die Teilnehmerinnen, dass Männer ihr Verhalten ändern sollen. Beide Forderungen sind wichtig. Ich fürchte nur, dass dies allein nicht ausreichen wird.
Denn das, was allgemein als Sexismus bezeichnet wird, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Klassengesellschaft. Ein Element des »Teile und Herrsche« ist die Frauenunterdrückung – in all ihren Ausprägungen: von frauenfeindlichen Sprüchen über die privatisierte (weibliche) Verantwortung für Familie, Kinder und Pflege bis hin zur Pornographie, von schlechten Arbeitsbedingungen über Prostitution und Gewalt bis hin zu niedrigen Löhnen und dem Verbot, ungewollte Schwangerschaften ohne Beratungsschein abzubrechen.
Frau und Familie
Diese Ideologie des »Teile und Herrsche« weist Frauen und Männern bestimmte Rollen zu: die Frau als die Sorgende, die mit einem geringeren Gehalt zufrieden sein muss, weil ihre eigentliche, viel wichtigere Aufgabe in der Familie liegt; der Mann als der Versorger, der auf dem Arbeitsmarkt mehr wert und der Frau sowieso überlegen ist.
Teil dieser Ideologie ist auch die Auffassung, dass der Mann mächtiger als die Frau sei. Und wer mächtiger ist, der kann sich sozusagen nehmen, was er will. Das erleben viele Frauen tagtäglich – etwa die Hotelangestellte, vor der ein nackter Hotelgast steht und ihr erzählt, Sex gehöre ja wohl auch noch zum bezahlten Zimmerservice.
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO und die Gewerkschaften gehen davon aus, dass sich in der Wirtschaftskrise die sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz häufen. Sie beobachten: Je schlechter ein Arbeitsplatz bezahlt ist, desto häufiger gibt es sexuelle Übergriffe. Und desto schwieriger wird es, sich dagegen zu wehren.
Nur Kapitalisten profitieren wirklich
Aber es sind nicht alle Männer, die von der Frauenunterdrückung profitieren. Ihre vermeintliche Macht ist nur eine scheinbare. Letztendlich stabilisiert sie das System der Ausbeutung und Unterdrückung, unter dem die Mehrheit der Frauen und Männer leidet.
Sie hilft, die Profite einiger weniger Kapitalisten (und deutlich weniger Kapitalistinnen) durch sinkende Löhne, den Ausbau des Niedriglohnsektors und die Kürzungen im Sozialsystem zu erhöhen. Nur diese Wenigen sind die wirklichen Profiteure von der Frauenunterdrückung.
In diesem Sinne stehen wir vor der Notwendigkeit, aber auch vor der Chance, die Situation gemeinsam zu verändern. Denn, so schrieb einst Friedrich Engels, der »Grad der weiblichen Emanzipation« ist »das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation« einer Gesellschaft.
Zur Person:
Katrin Schierbach ist Mitglied der LINKEN in Berlin und Co-Autorin von »Marxismus und Frauenbefreiung« (Edition Aurora 1999).
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