Hauptsache arbeitsmarkttauglich – »Fack ju Göhte« weist mit Kalauern den Weg in die angepasste Gesellschaft, meint Christian Baron
Vor drei Jahren rief die Jugendrichterin Kirsten Heisig unter großem Applaus des bürgerlichen Feuilletons »Das Ende der Geduld« aus und forderte mehr Härte gegen benachteiligte Jugendliche. Kürzlich zog ihr Kollege Andreas Müller nach und veröffentlichte ein Buch, bei dem die Lektüre des Titels vollkommen ausreicht, um die Botschaft zu verstehen: »Schluss mit der Sozialromantik«. Denn, so die beiden Juristen, nur wenn Problemkinder hart angepackt und zu Duckmäusern umerzogen würden, habe die Gesellschaft eine Zukunft. Beide Bücher gingen und gehen weg wie warme Semmeln.
Solcherlei Prediger von Anpassung und Unterdrückung bestimmen anscheinend derzeit die öffentliche Diskussion über Bildung und Erziehung. Damit die Gefängnisse aber nicht bald überquellen, bedarf es vorbeugender Maßnahmen, die möglichst cool aussehen sollen. Oft nimmt die Unterhaltungsindustrie den Law-and-Order-Ideologen diese Drecksarbeit ab. Wie zum Beispiel die Macher des Films »Fack ju Göhte«.
Regisseur Bora Dağtekin (»Türkisch für Anfänger«) feiert darin die angepasste Gesellschaft auf der Grundlage einer abenteuerlich konstruierten Story. Soeben aus dem Gefängnis entlassen, will der schulabschlussfreie Kleinganove Zeki Müller die verbuddelte Beute des letzten Raubzugs abholen und ein neues Leben in Südamerika beginnen. Doch auf dem Versteck hat die örtliche Goethe-Gesamtschule ihre neue Turnhalle errichtet. Um die Kohle durch Umgraben des Gebäudes zu ergattern, bewirbt Müller sich kurzerhand als Hausmeister, doch die Direktorin (Katja Riemann) sieht in ihm nur den dringend benötigten Aushilfslehrer. Bauernschlau ergaunert sich Müller die nötigen Papiere von der idealistisch-naiven Referendarin Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) und muss sich sogleich mit der Problemklasse 10b herumärgern.
Verantwortungslose Hartz-IV-Eltern
Diese Ansammlung von als seelisch verwahrlost und geistig minderbemittelt dargestellten »abgefuckten Asis« (O-Ton aus dem Kollegium) schafft es nun sogar, auf dem straßengestählten Nervenkostüm des Zeki Müller herumzureiten. Im Gegensatz zu allen Kollegen vor ihm greift er dann aber zu unkonventionellen Mitteln: Schüler werden mit »Achtet auf eure Ausdrucksweise, ihr Wichser!« angesprochen, Schwänzer mit dem Paintball-Gewehr ins Klassenzimmer zurückgeschossen und dem männlichen Anführer Danger (Max von der Groeben) wird mal eben der Kopf ins Schwimmbecken getaucht.
Bei dem an Letzteres anschließenden Telefonat Müllers mit dem Vater des Gepeinigten erlebt der Möchtegern-Pädagoge eine faustdicke Überraschung: Nicht etwa strafrechtliche Konsequenzen droht ihm der Asi-Daddy an, nein, der Herr Lehrer solle ihm doch bitte schön auch weiterhin ab und zu eine runterhauen, weil er sonst sowieso nicht spure. Nicht nur auf diesem Wege wird unter dem Deckmantel des Kalauers permanent verdeutlicht, wer einzig und allein an der Verwahrlosung der Kinder Schuld ist: deren ebenso verantwortungslose wie egoistische Hartz-IV-Eltern.
Müllers allmählich einsetzender Erfolg, der sich schließlich in der kollektiven Begeisterung für Schillers »Räuber« und dem Mitmachen der Asi-Queen Chantal (Jella Haase) bei »Jugend forscht« zeigt, lehrt: Diese vernachlässigten Bälger sind nur durch emotionale Härte zur Vernunft zu bringen.
Erziehung zum bedingungslosen Konformismus
Diszipliniert wird die 10b nämlich auch durch eine Exkursion. Nach dem Besuch bei einem todkranken Drogenabhängigen steuert die Gruppe eine Familie an, die als typische Hartz-IV-Sippe präsentiert wird. Etliche leere Bierdosen liegen herum, ihr Geschmack und ihre Sprache sind vulgär und der arbeitslose Sohn ist Nazi. Die Schüler gaffen und protokollieren. Wie im Zoo, nur mit ernsthaft pädagogischer Absicht. Schaut her, ruft der Film seinem überwiegend jugendlichen Publikum zu, wer sich nicht bedingungslos anpasst, endet wie diese jämmerlichen Gestalten.
Doch nicht nur die Schüler, auch die graue Maus Schnabelstedt verändert sich. Sobald sie ihre Individualität aufgegeben und sich äußerlich vom Freak zum Model gewandelt hat, verliebt sich Müller in sie und beide finden zusammen. Am Ende hat sich Zeki Müller nicht nur von seinem zwielichtigen Milieu verabschiedet, er hat seine Klasse zugleich so weit, dass sie artig das durch die Lektüreschlüssel Vorgekaute nachsprechen und lammfromm das auswendig Gelernte in ihren Klausuren wiedergeben.
So bleibt der Eindruck, dass Dağtekin hier im bunten Gewand einer mit Kloaken-Gags und Klischees angereicherten Migranten-Aufstiegsromanze eine Gesellschaft voller Schleimer anbetet. Die hier als Happy End präsentierte Gesellschaft wäre eine reine Abrichtungsmaschinerie zur wirtschaftlichen Verwertbarkeit und würde gewiss ganz im Sinne der Jugendrichter dieser Republik ausnahmslos arbeitsmarkttaugliche Sechzehnjährige heranzüchten.
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Schlagwörter: film, Hartz-IV, Inland, Kino, Kultur, Law-and-Order, Rezension