In Thailand geht es um mehr als nur den Konflikt zwischen einer alten und neuen Elite, schreibt Giles Ji Ungpakorn (Vorabdruck aus marx21, Heft 15)
Hunderttausende »Rothemden« sind in den vergangenen Wochen für mehr Demokratie durch die Straßen Bangkoks und anderer thailändischer Städte gezogen. Damit wollten sie ihre Stärke demonstrieren und der Lüge der royalistischen Regierung und der Medien entgegentreten, dass die Rothemden nicht die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Das erklärte Ziel der Bewegung ist, die vom Militär installierte Regierung von Abhisit Vejjajiva zur Durchführung von Neuwahlen zu zwingen. Es ist jedoch schwer zu erkennen, wie die Führung der Rothemden die großen Demonstrationen in eine Kraft verwandeln will, die sich dem Militär, das 2006 einen Putsch organisiert hat, entgegenstellen und es besiegen kann. Denn die Führung der Bewegung ist nicht bereit, das Militär und die Monarchie entschlossen anzugreifen. Neuwahlen werden dieses Problem nicht lösen.
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Dieser Artikel ist ein Vorabveröffentlichung aus dem neuen marx21-Magazin. Das Heft erscheint am 1. Mai.
Themen im neuen Heft unter anderem:
- Feature: Sind die Kommunen noch zu retten? Interview mit Georg Fülberth: »Sinnvoll wäre ein Schuldenerlass für die Gemeinden«. Jürgen Ehlers Jürgen Ehlers geht der Frage nach, ob Bürgerhaushalte zu mehr Mitbestimmung führen.
- Schwerpunkt Tatort Kriche: Interview mit Maya Mosler über Kindesmissbrauch: »Der Zölibat ist Kern des Problems«; Auszüge aus der Schrift »Kirche und Sozialismus« von Rosa Luxemburg.
- Weitere Themen:Interview: »Griechenland ist in Aufruhr«; Kirgisistan: Revolte durchkreuzt Pläne des Westens; Nahostkonflikt: Hermann Dierkes über die Verantwortung der deutschen Linken.
- Außerdem schreiben: Dietmar Dath erklärt, warum Rosa Luxemburg aktueller denn je ist; Elmar Altvater setzt seine Serie »Marx neu entdecken« fort; Christine Buchholz über den Programmentwurf der LINKEN.
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Die großen Teilnehmerzahlen der Demonstrationen bedeuten dennoch einen wichtigen Fortschritt. Die überwältigende Mehrheit der Rothemden sind arme Leute und ihre Führung spricht öffentlich vom »Klassenkampf« zwischen den einfachen Menschen und der Elite. Die Bewegung wird allerdings weiter gehen und unter den städtischen Arbeitern und den unteren Rängen der Armee agitieren müssen, um genug Kraft für eine wirkliche Veränderung zu gewinnen. Jeder Kompromiss wird die Macht der royalistischen Elite, die durchgängig alle Schritte Richtung Demokratisierung blockiert hat, erhalten.
Die politische Krise, die wir in Thailand seit dem Putsch vom 19. September 2006 gegen die gewählte Regierung von Thaksin Shinawatra erleben, ist Ausdruck eines ernsthaften Klassenkampfes zwischen den reichen Konservativen einerseits und den städtischen und ländlichen Armen andererseits.
Das Vakuum auf der Linken nach dem Zusammenbruch der Kommunistischen Partei Thailands gab dem Millionär Thaksin und seiner Partei »Thai Rak Thai« (»Thais lieben Thais«) die Möglichkeit, Millionen einfacher Thailänder zu begeistern. Obwohl viele Kommentatoren behaupten, dass der gegenwärtige Konflikt nur eine Auseinandersetzung zwischen Thaksin und den Konservativen sei – also zwischen »der modernen kapitalistischen Klasse« und »der alten Feudalordnung« – geht es um etwas anderes. Thaksin baute durch seine sozialpolitischen Maßnahmen, zu denen die erste allgemeine Gesundheitsversorgung des Landes ebenso zählte wie Programme zur ländlichen Entwicklung, eine Allianz mit Arbeitern und ländlichen Armen auf. Die Rothemden mögen Thaksin, aber sie kämpfen nicht ausschließlich für seine Rückkehr. Sie wollen vor allem echte Demokratie und soziale Gerechtigkeit.
Sowohl Thaksin als auch seine konservativen Gegner sind insofern moderne Royalisten, als sie alle versuchen, die Institutionen der Monarchie zu benutzen, um eine kapitalistische Klassenherrschaft zu stützen. Die Konservativen wandten sich schrittweise von Thaksin ab, weil sie fürchteten, durch seine weitreichenden Modernisierungsprogramme, die sich breiter Unterstützung in der Bevölkerung erfreuten, ihre Privilegien zu verlieren.
Derzeit fängt die Demokratiebewegung an, die gesamte Elitenstruktur einschließlich der Monarchie in Frage zu stellen. Nennenswert ist auch die Selbstorganisation und die eigenständige Finanzierung der Rothemden durch ihre Mitglieder. Dieser Klassenkampf führt zu einer Veränderung politischer Einstellungen und stellt alle Teile der Gesellschaft auf die Probe. Die zentrale Frage, vor der die Bewegung nun steht, ist die, wie die Anliegen der Arbeiterklasse aufzugreifen sind und wie die Staatsmacht zu ergreifen ist.