>> VORSCHAU auf marx21, Heft 11, Juni 2009
Vorabveröffentlichung aus der neuen marx21-Ausgabe: Robert Blättermann und Georg Frankl zu den Möglichkeiten linker Hochschulpolitik unter den Bedingungen von Bachelor und Master.
>> Artikel im Heft (PDF, 163 KB)
Die Situation an den deutschen Hochschulen hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Der neoliberale Umbau, der unter dem Schlagwort »Bologna-Prozess« vorangetrieben wurde, hat zu stärkerer Selektion und Schmalspur-Ausbildung geführt. Vor allem bei der Lehre wird gespart: Mit der Einführung des Bachelor als Regelabschluss hat sich die Studienzeit für die Mehrheit der Studierenden deutlich verkürzt. Zugleich wird fast überall Personal abgebaut, was zu überfüllten Seminaren und Vorlesungen führt. Die Kürzungen der öffentlichen Gelder haben die Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln erhöht – Mitteln, die nicht im regulären Budget enthalten sind, beispielsweise Sponsoring oder Kooperationen mit Unternehmen. Fächer und ganze Fachbereiche, besonders in den Geistes- und Kulturwissenschaften, die für die Wirtschaft nicht interessant sind, werden finanziell ausgetrocknet und geschlossen. Kritische Wissenschaften befinden sich gegenüber dem Mainstream auf dem Rückzug.
Gleichzeitig werden Milliarden in Eliteinitiativen gesteckt, mit denen an den Unis so genannte »Exzellenzbereiche« geschaffen werden. Statt besserer Ausbildung für die Masse soll bei diesen Leuchtturmprojekten lediglich eine Minderheit der Studierenden in den Genuss umfassenderer Bildung und Forschung kommen. Dies wirkt sich auch auf die Struktur der Hochschulen aus: Um im Konkurrenzkampf um »die besten Köpfe« und die meisten Fördergelder bestehen zu können, sind straffe Hierarchien und der Abbau demokratischer Mitbestimmung notwendig – im Sinne der betriebswirtschaftlichen Logik sind solche Strukturen effizienter. Die Macht der Präsidenten und Rektoren wird weiter gestärkt und ihnen werden aufsichtsratsähnliche Gremien zur Seite gestellt, die meist mit externen Vertretern, zum großen Teil aus der Wirtschaft, besetzt werden. Das hessische Wissenschaftsministerium spielt derzeit immer lauter mit dem Gedanken, die studentische Selbstverwaltung abzuschaffen.
Seit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge hat die traditionelle studentische Linke an Kraft und Attraktivität verloren. Die konsekutiven Studiengänge haben die Studienzeit verkürzt, die Studierenden sollen nur noch drei bis vier Jahre an der Uni verbleiben. Die Studienbedingungen haben sich verschärft und aufgrund der hohen Arbeitsbelastung und des starken Drucks bleibt weniger Zeit für politisches Engagement. Es scheint, als sei die heutige Generation von Studierenden unpolitischer, weil die Zahl derer, die sich in Fachschaftsinitiativen oder autonomen Zirkeln engagieren, abgenommen hat. Die eigentlichen Ursachen für das geringere politische Engagement sind jedoch die veränderten Rahmenbedingungen, auf die sich die linken Gruppen an den Hochschulen in ihrer Ausrichtung und den Angeboten noch nicht richtig eingestellt haben.
Traditionell gibt es zwei wesentliche Strömungen. Einige studentische Vertretungen werden von Autonomen und Vertretern der radikalen Linken dominiert. Diese Gruppen haben sich meist Nischen geschaffen, die sie nutzen, um sich von der Mehrheit der Studierenden abzugrenzen. Zwar sind sie kapitalismuskritisch und stellen immer wieder über ihre Kritik am Umbau der Hochschulen das System in Frage, jedoch bleibt diese Kritik meist abstrakt und abgehoben. Ein Beispiel hierfür ist ihre Forderung nach sofortiger Abschaffung des Bachelor- und Mastersystems. Jedoch würde die überwiegende Mehrheit der Studierenden gern einen Masterabschluss machen. Die Forderung »Master für alle« bekommt viel mehr Zuspruch und hat ebenfalls im Ergebnis die Abschaffung der Selektion in Bachelor und Master zur Folge. Die radikale Linke lehnt sie jedoch aus ideologischen Gründen ab. Der mangelnde Bezug zu den tatsächlichen Problemen der Studierenden und die sehr eigene Kultur sind wohl Hauptgründe dafür, warum sich die Linksradikalen an der Hochschule auf dem Rückzug befinden. Auf der anderen Seite existiert eine Strömung, die auf eine rein hochschulpolitische Vertretung und Artikulierung der studentischen Interessen setzt. Über Service- und Ergänzungsangebote, Beratung und Mitarbeit in den universitären Gremien sollen die Interessen der Studierenden wahrgenommen werden. Dieser richtige Ansatz, sich im Kampf gegen die neoliberale Hochschulpolitik an den konkreten Bedürfnissen und Problemen der Studierenden zu orientieren, lässt allerdings außer Acht, dass der Umbau der Hochschulen der kapitalistischen Logik folgt. Es gibt einen handfesten Interessengegensatz zwischen den Bedürfnissen der Studierenden nach besseren Studienbedingungen für alle und den Plänen von Politik und Kapital, die Mittel für die Masse der Studierenden weiter einzuschränken. Allein Service-Angebote und Gremienarbeit können diese Logik nicht durchbrechen und weder die Angriffe auf die Hochschulen abwehren noch die Situation der Studierenden verbessern.
Diese beiden Strategien der studentischen Linken sind mit der Umsetzung der Bologna-Reformen in die Krise geraten. Sie konnten den drastischen Umbau der Hochschulen nicht verhindern und ein »Weiter so« wird den veränderten Rahmenbedingungen für linke Politik an den Hochschulen nicht gerecht.
Ein Ausgreifen studentischen Protests in die Gesamtgesellschaft und politischer Druck sind notwendig, um die realen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verschieben und Verbesserungen durchzusetzen. Dabei war schon dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) der 1960er Jahre klar, dass es keine demokratische Hochschule innerhalb einer undemokratischen Gesellschaft geben kann.
Der Hintergrund der Studentenproteste der sechziger Jahre war eine massive Bildungsexpansion, die von der Wirtschaft eingefordert worden war – ausgebildete Fachkräfte wurden gebraucht. Die Universität öffnete sich für Mittelschichts- und Arbeiterkinder. Die politischen Aktivisten trafen an der Hochschule auf ein verknöchertes und in Traditionen verhaftetes Ständesystem. Die politischen Rahmenbedingungen – Blockkonfrontation, Vietnamkrieg, Aufarbeitung der NS-Verbrechen – radikalisierten die Kritik an Konservatismus und Reformfeindlichkeit der Institution Universität.
Der SDS verband damals in seiner Praxis radikale Kapitalismuskritik mit den konkreten Auseinandersetzungen an den Hochschulen. Die studentischen Belange wurden politisiert und auch gesellschaftliche Auseinandersetzungen, etwa gegen den Vietnamkrieg oder Antifaschismus, wurden an die Hochschulen getragen.
Ein gutes Beispiel zur Illustration dieser Strategie der »Aufklärung in der Aktion« des SDS ereignete sich 1966 an der Freien Universität in Berlin. Im Bündnis mit anderen politischen Gruppen wurde bei einem Teach-In mit 3000 Beteiligten eine Sitzung des Akademischen Senats für zwölf Stunden blockiert. Der Protest richtete sich gegen Zwangsexmatrikulationen an der medizinischen Fakultät. Natürlich entwickelten sich Diskussionen unter den Studierenden, es waren auch konservative Gruppen vertreten. Etwa 20 anwesende SDS-Mitglieder waren in der Lage, Ad-hoc-Referate zu halten und dabei unter anderem die gesamtgesellschaftliche Dimension des Protestes zu diskutieren. Diese Strategie der Aufklärung in der Aktion und der Symbiose von Theorie und Praxis bot damals die Möglichkeit und kann sie heute wieder bieten, eine breite Bewegung gegen die Angriffe auf die Hochschulen und zugleich einen starken, lokal verankerten linken Studierendenverband aufzubauen.
Heute, in Zeiten von Bildungsabbau, sind die Studierenden von der Wirtschaftskrise in doppelter Weise betroffen: Einerseits werden sie durch die Haushaltskonsolidierung mit weiteren Einsparungen im Bildungssektor konfrontiert – wie Bibliotheksschließungen, Personalabbau an der Hochschule oder Schließung von Fächern und ganzen Fachbereichen.
Andererseits haben sie oftmals selbst in ihren Jobs, über ihre Eltern oder in ihrer Lebensplanung mit den Auswirkungen der Krise zu kämpfen. Der Kampf gegen die Kürzungen und die Forderung nach Verbesserung der eigenen Situation muss heute im Mittelpunkt linker Hochschulpolitik stehen. Die Linke an den Hochschulen muss in dieser Situation den Protest an vorderster Front mitorganisieren und dabei den gesellschaftlichen Hintergrund des Bildungsabbaus beleuchten.
Im letzten Jahr haben die hessischen Studierenden bewiesen, dass breiter Protest erfolgreich sein kann. Durch zahlreiche Aktionen und dauerhaften Protest rangen sie SPD und Grünen das Wahlkampfversprechen ab, Studiengebühren wieder abzuschaffen. DIE LINKE konnte dann im Landtag Druck auf diese beiden Parteien ausüben, so dass tatsächlich die Gebühren wieder zurückgenommen wurden. Damit wurde ein neoliberaler Angriff auf den breiten Zugang zu Bildung zurückschlagen – ein Erfolg, von denen wir in den letzten Jahren nur wenige verbuchen konnten. Aus Angst vor neuen Unruhen wagt es heute selbst Roland Koch nicht, Studiengebühren wieder einzuführen.
Die Erfolgsaussichten eines politischen Engagements in universitären Gremien muss von Hochschule zu Hochschule verschieden bewertet werden. Der Einfluss von Studierendenparlamenten ist meist sehr gering. Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) bzw. StudentInnenrat (StuRa) sind finanziell und räumlich oft gut ausgestattet und von daher auch stark umkämpft. Dabei orientieren sich die verschieden vertretenen Gruppen meist allzu sehr am bürgerlichen Parlamentarismus, was die Organisation von Kampagnen und Protesten aus der studentischen Selbstverwaltung heraus sehr müßig und zeitaufwendig machen kann. Ein fruchtbarerer Ansatz für die Arbeit in diesen Gremien würde sie nicht als Selbstzweck sondern als Mittel zum Zweck der Politisierung der Hochschulöffentlichkeit und der Mobilisierung der Studierenden für ihre Interessen verstehen. Der Erfolg der hessischen Studierendenbewegung wurde entsprechend nicht in erster Linie am runden Tisch ausgehandelt, sondern durch breite Mobilisierung auf der Straße erkämpft. Es gelang, breite Bündnisse zwischen AStA, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und anderen außer-universitären Gruppierungen aufzubauen und so den politischen Druck zu erhöhen.
Linke Hochschulgruppen müssen angesichts der Krise neu diskutieren, wie eine sozialistische Hochschulstrategie aussehen kann. Damit sie Ausstrahlungskraft entwickeln und wachsen können, braucht es eine fruchtbare Einheit von Theoriearbeit und aktionistischer Praxis: Bibliotheksschließungen, Mensa-Preiserhöhungen und überfüllte Seminare können heute eine ähnlich mobilisierende Wirkung haben wie der Schah-Besuch 1967. Gremienarbeit muss Teil einer Gesamtstrategie zum Aufbau der Gruppe und zur Mobilisierung der Studierenden sein. Orientierung auf die tatsächlichen Interessen und Belange der Studierenden, Aktivität und Präsenz auf dem Campus sowie Aufklärung über die gesellschaftlichen Hintergründe und Ursachen sind die Eckpfeiler linker Hochschulpolitik in unserer Zeit.
Zu den Autoren:
Robert Blättermann ist Mitglied von Die Linke.SDS an der Universität Erfurt. Georg Frankl ist Mitglied von Die Linke.SDS an der Freien Universität Berlin.
Mehr im Internet:
- Eine scharfe Kritik an der Ökonomisierung der Universität liefert die Abschiedsvorlesung des Politologie-Professors Bodo Zeuner von der FU Berlin: »Die Freie Universität vor dem Börsengang«. Online unter nachdenkseiten.de oder in der Prokla Nr. 148.
Bildungsstreik 2009:
Mehr auf marx21.de:
- 150.000-mal Streik: Der bundesweite Bildungsstreik in über 80 Städten hat begonnen. 150.000 Teilnehmer werden erwartet.