Der neue US-Präsident: Gewählt und getragen von den Hoffnungen von Millionen – finanziert und gefördert von den Reichen, der Wallstreet und den Großkonzernen. Yaak Pabst über den widersprüchlichen Charakter der Wahlmobilisierung für Barack Obama.
Chicago, der 4. November 2008: Zehntausende warten seit Stunden im Scheinwerferlicht, auf den neuen Präsidenten der USA. Ein historischer Tag. Als Barack Hussein Obama die Bühne betritt sind die 250.000 Menschen im Grant Park zu Chicago nicht mehr zu halten: Klatschen, Jauchzen, Jubelschreie. Tausende Hände, zur Faust geballt, ragen in den dunklen Abendhimmel. Victory! Sieg! Während Obama, um 23 Uhr Ortszeit auf dem Podium redet, stehen den Menschen vor Rührung die Tränen in den Augen. Aber nicht nur Chicago jubelt – das ganze Land ist im Freudentaumel. Am Times Square in New York kam der Verkehr zum Erliegen. Tausende belagern den Boulevard und skandierten: »Yes we can!«.
Die Wahl von Barack Obama drückt aus, dass sich Millionen Menschen einen Politikwechsel wünschen. Barack Obama ist es gelungen, die Wahl zu einem Referendum über George Bushs Politik zu machen. Millionen Menschen wurden mobilisiert und beschäftigten sich teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben mit Politik. Schlangen vor den Stimmlokalen prägten das Bild im ganzen Land am Wahltag. An manchen Orten warteten die Menschen bis zu vier Stunden geduldig, ehe ein Platz an den Wahlmaschinen frei war. Vorläufigen Zahlen zufolge dürften 136,6 Millionen Amerikaner abgestimmt haben. Nach Einschätzung des Wahlforschers Michael McDonald von der George Mason University in Virginia wären das 64,1 Prozent aller Einwohner der USA im stimmberechtigten Alter. Eine so hohe Wahlbeteiligung gab es in den USA zuletzt 1908. Selbst bei der Wahl John F. Kennedys lag sie niedriger. Die Wahl von Barack Obama ist für viele Menschen eine Befreiung. Sie ist ein Zeichen gegen den immer noch tief verankerten Rassismus in den USA und ein Sieg für alle die George Bushs neokonservative Politik hassen. In der Wahlnacht wurden Hunderte, vor allem junge Menschen interviewt. Ob Schwarz oder Weiß ihre Botschaft war dieselbe: Viele sprachen voller Stolz darüber, dass sie die Wahl entschieden haben und das ihre kollektive Aktion Obama den Sieg brachte. Dieses Gefühl bestätigen die Wahlanalysen.
Obamas Sieg in Zahlen
Obama gewann massive Unterstützung der Afroamerikanischen Bevölkerung – rund 95 Prozent aller Schwarzen wählten ihn. Obama gewann außerdem zweidrittel aller Wähler mit lateinamerikanischem Hintergrund (Hispanics). Dies ist besonders bemerkenswert. Denn die Hispanics unterstützen bei der Wahl 2004 noch mehrheitlich den konservativen George W. Bush. Ein Faktor der zum Einbruch der republikanischen Stimmen führte war sicherlich die Demonstration für die Rechte der Einwanderer im Mai 2006. Damals gingen über zwei Millionen Menschen, vor allem Hispanics, gegen die von den Republikanern geplanten Verschlechterungen beim Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts auf die Straße (12 Millionen Menschen leben in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung). Unter den weißen Amerikanern wählten 43 Prozent für Barack Obama und 55 Prozent für John McCain. Das ist aber nicht ungewöhnlich, denn sie entschieden sich auch bislang für den republikanischen Kandidaten, 2004 etwa mit 58 Prozent für Bush und nur 41 Prozent für John Kerry. Allerdings konnten die Demokraten vor allem in den umkämpften »Swing-States« punkten. In den ländlichen Gebieten wie North Dakota, Utah oder Montana die überwiegend weiß sind und als eher traditionell und republikanisch gelten, gewann Obama. Auch bei den weißen Wählern unter 30 Jahren hatte Obama eine Mehrheit. Insgesamt gewann Obama bei der Jugend mit 66 zu 33 Prozent. Allein bei den Erstwählern stimmten über 70 Prozent für den Demokraten.
Hoffnung auf ein friedliches und soziales Amerika
Die Gründe für den Wahlsieg von Obama sind eindeutig. Die Unzufriedenheit mit der Bush-Administration, die zu den unbeliebtesten Regierungen in der Geschichte der USA zählt, spielte bei der Wahl eine wichtige Rolle. Fast die Hälfte aller Wähler ging davon aus, dass McCain in wesentlichen Fragen die Politik Bushs fortsetzen würde. Das jedoch lehnte eine Mehrheit der Wähler die nicht an eine Partei gebunden sind ab. Bei ihnen schnitt Obama mit sechs Prozentpunkten Vorsprung deutlich besser ab als John McCain. Das wichtigste Thema der Wahl war jedoch die Wirtschaftskrise und die soziale Situation in Amerika. Zwei Drittel der Wähler bestätigten dies in Umfragen. Kein Wunder. Nach acht Jahren unter der Bush-Regierung geht es den meisten Menschen schlechter als je zuvor. Ein Viertel der Amerikaner lebt unterhalb der Armutsgrenze, 12,9 Millionen der Armen sind Kinder. Allein seit 2007 ist die Zahl derer, die trotz ihrer Vollzeit-Jobs bedürftig sind um 20 Prozent gestiegen, schätzt die Washingtoner Denkfabrik »Center for American Progress«. 40 Millionen Amerikaner können sich keine Krankenversicherung leisten. Allein im letzten halben Jahr verloren 8 Millionen US Amerikaner ihre Krankenversicherungen. Wegen der Immobilienkrise stehen bis zu einer Millionen Häuser vor der Zwangsvollstreckung – Zehntausenden Familien droht die Obdachlosigkeit. Die Automobilindustrie ist schwer angeschlagen und General Motors steht vor dem Bankrott. Ein Mögliche Folge sind Massenentlassungen von dramatischen Ausmaßen – Experten rechnen vor das bis zu 2,5 Millionen Arbeitsplätze gefährdet sind. Alleine in den letzten 2 Monaten haben über 500.000 Menschen in den USA ihren Job verloren.
Eine Krankenversicherung für Alle, Schutz der Immobilien vor Zwangsversteigerungen, Steuersenkungen für Arme, mehr Klimaschutz, Kampf gegen Rassismus, die Schließung von Guantánamo und eine friedlicher Außenpolitik. Dementsprechend groß sind die Hoffnungen vor allem der arbeitenden Bevölkerung, dass er seinen sozialen und politischen Versprechungen nachkommt.
Zwei Klassen für Obama
In diesem Zusammenhang ist es interessant die Klassenzusammensetzung der Stimmen für die Demokraten näher zu beleuchten. Sie offenbart den widersprüchlichen Charakter der Wahlmobilisierung für Obama. Auf der einen Seite gab es eine Massenmobilisierung von unten. Angesichts der Wirtschaftskrise und der verhassten Außenpolitik der Bush-Administration setzte sich eine Mehrheit der Arbeiterklasse, der Armen, der Schwarzen und der Jugend für Obama ein. Rund 75 Prozent der Haushalte mit einem Jahreseinkommen von weniger als 15.000 Dollar wählten Obama. Auch Haushalte mit einem Jahreseinkommen von bis zu 50.000 Dollar wählten konsequent Obama (Das Durchschnittseinkommen in Amerika liegt bei 43.318 Dollar). Aber auch die Reichen mit einem Einkommen von 200.000 Dollar und mehr entschieden sich, wenn auch weniger deutlich, mit 52 Prozent für den Demokraten. Zu Beginn seiner Wahlkampagne spendeten Millionen Menschen aus ärmeren Verhältnissen für Obama. Doch als Obama in den US-Vorwahlen seinen Vorsprung ausbauen könnte, begannen auch die Reichen und das »Big Business« die Unterstützung für Obama auszuweiten. Bis Mitte Oktober 2008 hatte Obamas Wahlkampagne bis zu 640 Millionen Dollar zusammengesammelt. Von diesem Budget kamen ca. die Hälfte aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten. Die andere Hälfte kamen von den Reichen, der Wallstreet und den Großkonzernen. Alleine 250 Millionen Dollar konnten so für TV Werbung ausgegeben werden. McCains Budget im Oktober betrug 47 Millionen US-Dollar.
Der Sieg von Obama war also das Produkt zweier völlig unterschiedlicher Klassenkräfte: Der Mobilisierung der Mehrheit der Arbeiterklasse und der Unterstützung eines Teils der herrschend Klasse der USA. Die große Frage wird sein, welche dieser beiden Kräfte die US-Politik in den nächsten Jahren beeinflussen wird. Die Hoffnungen die Millionen Menschen in Obama setzen sind immens. Doch es wird nicht lange dauern, bis sie mit der Wirklichkeit zusammenprallen. Obama erbt einen riesigen Berg von Problemen. Ob im Staat oder im Land – die USA plagen Rekordschulden. Während New York ein Haushaltsloch von 12,5 Milliarden Dollar vor sich herschiebt, wird das Defizit auf Bundesebene, daran zweifelt kaum jemand, in diesem Jahr wegen des Rettungspakets für die Banken auf eine Rekordsumme von einer Milliarden Dollar steigen. Insgesamt liegt die Staatsverschuldung bei 10,5 Billionen Dollar. Zugleich bestreiten die USA zwei Kriege, die jedes Jahr mindestens 150 Milliarden. Dollar kosten. Wenn Obama seine Wahlversprechen finanzieren will, musste er die US-Kriege beenden und die Reichen und Großkonzerne zur Kasse bitten. Aber sie finanzierten einen Großteil des Wahlkampfes von Obama. Nicht nur deswegen ist Skepsis angesagt. Zwar wurden die Demokraten von der Mehrheit der Arbeiterklasse gewählt aber sie sind die Partei der Reichen. So gehen 93 Prozent der gewerkschaftlichen Spenden an die Demokraten aber diese machen nur 14 Prozent des Gesamtetats der Demokraten aus. 67 Prozent der Parteispenden kommt von Großkonzernen und Banken. Noam Chomsky, US-Linker und Literaturprofessor macht im Spiegel Interview klar: »Natürlich gibt es Unterschiede [zwischen den Demokraten und den Republikanern; YP], aber sie sind nicht fundamental. Niemand sollte sich Illusionen machen. Die USA sind im Kern ein Einparteiensystem, und diese eine regierende Partei ist die Business-Partei«.
Einen fundamentalen Wandel in der US-Politik wird es also nur geben, wenn massive soziale Bewegungen und Klassenkämpfe von unten Obama, die Demokraten und das Kapital unter Druck setzen. Die Linke in den USA steht vor enormen Herausforderungen.
Zum Autor:
Yaak Pabst ist Politologe und Redakteur von marx21.