Interview mit dem arabischen linken Autoren und Aktivisten Salameh Kaileh über die Entwicklung der Revolution und die Rolle islamistischer Gruppen in Syrien.
Du bist in Birzeit, im Westjordanland geboren, hast im Irak und in Ägypten gelebt und über 30 Jahre deines Lebens in Syrien verbracht, acht davon im Gefängnis. Was antwortest Du, wenn Dich jemand fragt, wo Du herkommst?
Ich bin aus der arabischen Welt, aus dem arabischen Land, ich bin einfach nur Araber.
Die Leute nennen mich Palästinenser oder Syrer, aber ich gehöre nicht nur zu einem Land und ich kämpfe gegen 22 Regime.
Manche dieser Regime haben die Unterstützung von linken Gruppen und Parteien. Viele Linke in Deutschland lehnen es ab Position für die syrische Revolution zu ergreifen. Grob zusammengefasst ist ihr Argument, dass die oppositionellen Gruppen von den USA, westlichen Regierungen und den Golf-Staaten unterstützt werden und daher einerseits als Agenten des Imperialismus handeln und andererseits konservativen Islamismus und Salafismus verbreiten. Unterstützung für die syrische Opposition sehen sie daher als Unterstützung imperialistischer Interessen und Unterstützung des Krieges selbst. Was hältst Du dieser Argumentation entgegen?
Diese Sicht teilen leider auch viele arabische Linke, die die weltpolitischen Veränderungen seit der globalen Krise des Kapitalismus nicht erkennen. Auch sehen sie nicht, dass die Ursachen des Aufstandes im ausbeuterischen Wirtschaftssystem und dem repressiven Regime liegen.
Die USA haben weder für die eine noch für die andere Seite ernsthaft Position ergriffen. Die Golf-Staaten sind geteilt in Saudi Arabien und Katar: In einer Koalition mit Frankreich und der Türkei hat Katar einen Teil der Opposition unterstützt, um die Muslimbrüder als die von ihnen favorisierte politische Alternative zu stärken. Die Saudis haben Angst vor der Revolution und wollen sie zerstören.
Die USA stecken seit 2008 in einer tiefen Finanzkrise. Da Kriege aber nicht mehr das Mittel sind, um die Krise zu überwinden, haben sich ihre außenpolitischen Interessen verändert: Der Fokus liegt nun auf Asien und dem pazifischen Raum. Die Zeiten in denen Amerika die einzige Weltmacht war sind vorbei und auch ihre Politik militärischer Interventionen ist zu Ende. Die Interessen der USA in dieser Region sind nun vor allem auf den Golf gerichtet.
Vor zehn Jahren, zu Beginn des Irakkrieges, hatte Amerika noch Interesse an einem Regimewechsel in Syrien. Das ist heute nicht mehr so. Viel wichtiger ist nun eine Übereinkunft mit Russland. Um die bilateralen Beziehungen zu verbessern, haben die USA zugestimmt, dass Russland die Kontrolle über Syrien übernimmt.
Das Problem mit den Linken ist, dass sie diese weltpolitischen Veränderungen in Folge der Finanzkrise nicht verstehen. Viele von ihnen sind noch immer in der alten schwarz-weißen Weltanschauung gefangen, in der sie nur zwischen imperialistischen und anti-imperialistischen Mächten unterscheiden können.
Im Verlauf des ersten Jahres war die syrische Revolution tatsächlich die Revolution des syrischen Volkes, ohne islamistischen Hintergrund. Trotzdem haben die Medien den Einfluss der wenigen islamistischen Gruppen, die es in dieser Zeit gab, übertrieben, während das syrische Regime die Aufständischen als bewaffnete Banden darstellte.
Seit 2012 begann das syrische Regime selbst, an der Formierung islamistischer Gruppen zu arbeiten. Dazu nutze es seine Kontakte zu Al-Qaida-nahen Gruppen im Irak und zu islamistischen Kämpfern in den eigenen Gefängnissen, von denen viele freigelassen wurden. Diese Leute waren es, die extremistische Gruppen wie Jabat Al-Nusra (Nusra Front) und Daaish (Ironisch anmutende Bezeichnung für ISIS, Islamischer Staat im Irak und der Levante) gründeten. Saudi Arabien begann die Extremisten mit Geld und Waffen zu unterstützen, um die Revolution von innen zu unterwandern. Aus diesem Grund sehen wir diese Gruppen als konterrevolutionär an. Das syrische Volk kämpft nicht nur gegen das Regime, sondern auch gegen die extremen Islamisten. Leider haben viele Linke nicht verstanden wie diese Gruppen entstanden sind.
Wie stellt sich aus deiner Sicht die Verbindung zwischen den islamistischen Gruppen und dem syrischen Regime dar?
Das Regime hat al-Qaeda über eine langen Zeitraum infiltriert und nach dem 11. September wichtige Informationen an die Bush-Regierung weitergeleitet. Das war natürlich vor der Besetzung des Irak durch die USA und bevor das syrische Regime begann, die islamistischen Gruppen, die besonders in den dörflichen Gebieten um Aleppo an Unterstützern gewannen oder die aus anderen Ländern nach Syrien kamen, zu benutzen um Druck auf die USA auszuüben. Es war offensichtlich, dass das Regime diese Gruppen infiltrierte, mit ihren Strukturen vertraut und über ihre Aktivitäten informiert war. Obwohl hunderte islamitischer Kämpfer in syrischen Gefängnissen landeten bevor oder nachdem sie in den Irak gingen, hielt das syrische Regime seine Kontakte zu einflussreichen Mitgliedern und Führungspersonen der al-Qaeda nahen Gruppen aufrecht.
Zu Beginn der Revolution verhandelte das Regime mit diesen Gefängnisinsassen und entließ einige von ihnen. Ein Jahr später, nachdem eine große Gruppe von extremistischen Islamisten freigekommen war, wurde Jabat al-Nusra gegründet. Viele von den Gebieten, aus denen sich die syrische Armee zurückziehen musste, wurden von Jabhat al-Nusra eingenommen.
Die fundamentalistische Ideologie, die Einführung der Gesetze der Scharia und das Ziel einen islamistischen Staat zu gründen, führen zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung und den religiösen Minderheiten. Zudem entsteht der Eindruck, dass die Herrschaft der Islamisten die einzige Alternative zum Assad-Regime seien . Das sichert ihm Unterstützung, besonders unter den Alawiten, die die Mehrheit der syrischen Soldaten darstellen. Die Angst vor einer extremistisch islamistischen Alternative sorgt dafür, dass sie der Armee treu bleiben und weiterhin auf brutalste Weise gegen das syrische Volk kämpfen.
Die extremistischen Gruppen bringen das Regime in eine vorteilhafte Position, indem sie die Revolution zerstören, in einen konfessionellen Krieg verwandeln und auch oppositionelle Aktivisten bekämpfen. Das Regime setzt darauf, dass das Volk sein Vertrauen in die Revolution verliert.
Die Rolle der Islamisten erschwert auch die Positionierung der imperialistischen Mächte, die vorgeben Terrorismus zu bekämpfen und es nun schwer haben, ihre Nicht-Einmischung vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen.
Aber ISIS und Al-Nusra bekämpfen sich auch gegenseitig…
Jabhat Al-Nusra war die erste Gruppe, die den Aufbau eines Islamischen Staates auf syrischem Boden zum Ziel hatte. Diese Rolle wurde in Frage gestellt als sich Gruppe „Islamischer Staat im Irak“ zu „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ (ISIS) erhob. Viele Kämpfer liefen zu ISIS über und einige Führungspersonen von Jabhat al-Nusra wurden von ISIS verfolgt und festgenommen. Dies veranlasste Jabhat al-Nusra stärker mit anderen Truppen zu kooperieren, von denen es nun heißt sie würden ISIS bekämpfen.
Allerdings ist die Rolle von Jabhat al-Nusra im Kampf gegen ISIS ziemlich schwach. Sie versucht eher zwischen den verschiedenen Gruppen zu vermitteln, denn sie sieht den Konflikt als religiösen Disput innerhalb ihrer geteilten Ideologie an.
Generell scheint es als ob Saudi Arabien besonderen Einfluss auf Jabhat al-Nusra hat, während ISIS von Iran und dem syrischen Regime infiltriert ist.
Wer sind die Kämpfer, die sich gegen das Regime und die Islamisten richten und wie sind sie organisiert? In der Freien Syrischen Armee (FSA)?
Sie sind die einfachen armen Leute, die nichts von Politik verstehen. Es sind die Leute, die friedlich protestierten und dieselben Leute, die zu Waffen griffen, um sich selbst zu schützen und zu verteidigen. Leider haben sie es nicht geschafft, die oppositionelle Bewegung weiter zu entwickeln und über die lokalen Ebenen hinaus zu organisieren, denn es gibt kaum Unterstützung von linken Parteien und nicht genug Intellektuelle innerhalb der revolutionären Bewegung.
Es gibt Aktivisten, die zivile Hilfe leisten und Demonstrationen organisieren, wie auch bewaffnete Gruppen, innerhalb und außerhalb der FSA, sowie viele kleine Gruppen, die ihre eigenen Wohngebiete verteidigen. All diese Gruppen sind zersplittert und nicht gemeinsam organisiert. Das ist das Problem der syrischen Revolution: Sie ist chaotisch. In diesem Chaos war es für das Regime und die ausländischen Kräfte ein Leichtes die Revolution zu korrumpieren. Islamistische Gruppen hatten nur dadurch eine Chance zu wachsen und an Einfluss zu gewinnen, weil sie besser organisiert sind und von außen unterstützt werden. Trotzdem hat bis heute das syrische Volk die wichtigste Rolle in der Revolution.
Was ist mit den lokalen Koordinierungskomitees?
Es gibt viele Gruppen wie “Puls” (Nabd), “Straße” (Shaa’ria) und “Shabab al-Surie al-Thawr” (Junge syrische Revolutionäre), die meist zivile Namen tragen und auf der Ebene der zivilen Hilfe und lokalen Koordination sehr aktiv sind. Manche von ihnen organisieren Koordinierungskomitees.
Bekommen diese Gruppen Unterstützung von außen?
Nein. Niemand unterstützt sie und das ist es, was sie schwächer und schwächer werden lässt. Manche Aktivisten schließen sich zum Beispiel Jabat Al-Nusra an, obwohl sie gar keine Islamisten sind. Viele Kämpfer in diesen Gruppen fühlen sich nicht moralisch mit deren Zielen verbunden, sondern brauchen Zugang zu Geld und Waffen. Die Not treibt sie in solche Gruppen, nicht die islamistische Ideologie.
Interview: Nora Berneis